Kultur

Nieder mit der Kunstfreiheit?

Juliane Becker

Nach sechseinhalb Stunden Verhandlung wurde es am vergangenen Abend vor dem Münchner Landgericht beschlossen: Frank Castorfs Baal darf nur noch zweimal gezeigt werden. Bertolt Brechts Erben hatten vor einigen Wochen eine einstweilige Verfügung gegen das Residenztheater erwirkt.

Der Fall Brecht/Castorf ist ein spezieller. So speziell wie die Agierenden eben auch. Maria-Barbara Brecht-Schall ist die Haupterbin Bertolt Brechts und legt bekanntermaßen Wert auf originalgetreue Aufführungen der Werke. Ob der Herr Papa allerdings wollte, dass er Teil eines so maßlosen Rechtsstreits wird, bleibt zu bezweifeln. Auf der anderen Seite steht Frank Castorf, Schrecken der Regietheaterphobiker, der in seinen Inszenierungen gerne mal literweise Blut fließen lässt und der mit radikaler Hand Texte entfernt, streicht und ersetzt. Genau dies war Brecht-Schall offenbar ein Dorn im Auge.

(c) Thomas Aurin

(c) Thomas Aurin

Der Suhrkamp-Verlag, der die Erben bei dem Prozess vertrat, hatte einen Vergleich strikt abgelehnt, berichtete Die Zeit. Das Residenztheater hatte demnach vorgeschlagen, Baal nur noch an den bereits geplanten Aufführungsterminen zu zeigen, den Titel des Stückes zu ändern und auf die starken Bearbeitungen im Text hinzuweisen. Der Suhrkamp-Verlag pochte allerdings darauf, dass es sich bei Castorfs Inszenierung um eine “nicht autorisierte Bearbeitung” handele, weil Texte, u.a. von Heiner Müller und vielen weiteren Autoren hinzugefügt wurden.

Intendant Martin Kušej schrieb in seinem Statement am 30. Januar:

Da der Suhrkamp Verlag, dem die Arbeitsweise und Ästhetik des Regisseurs Frank Castorf vertraut ist, sich bewusst für eine Vergabe der Aufführungsrechte an das Residenztheater und den Regisseur Frank Castorf entschieden hat und das Residenztheater bereits weit vor Probenbeginn damit begonnen hat, den Rechteinhabern des Brecht-Textes die literarische und szenische Erarbeitung der Inszenierung kenntlich zu machen, ist dieser Schritt für uns völlig unverständlich.

Da liegt der springende Punkt. Wo Castorf drauf steht, ist auch Castorf drin. Jetzt mahnend die Hand zu heben und sich in seiner Brech’schen Ehre gekränkt zu fühlen, grenzt an Lächerlichkeit. Zumal Brecht-Schall wohl eine Einladung des Residenztheaters, sich die Inszenierung doch einmal anzusehen, abgelehnt hatte. Castorf selbst findet den Rechtsstreit unsinnig: “Die kennen mich doch und wissen, was da rauskommt”. “Kilometerbreit Staub” liege auf Baal, dieses “juvenile Erstlingswerk”, das nicht einmal den Autor zufriedengestellt hatte, müsse neu aufgemischt werden.

Man mag über Castorf und seinen Inszenierungsstil denken, was man wolle: Künstlerische Freiheit sollte vor der Eitelkeit der Erben stehen. Castorf hat Baal, dieser literarischen Leiche, ein letztes Mal zu etwas Leben verholfen – und somit schon mehr für Brechts Erbe getan als Maria-Barbara Brecht-Schall. 11 Jahre hat sie noch das Verfügungsrecht über Vaters Stücke. Vielleicht wird’s ja 2026 noch was.

EDIT: Heute morgen veröffentlichte das Residenztheater folgenden Post auf seiner Facebook-Seite:

“Der Suhrkamp Verlag hat das Residenztheater auf die sofortige Einstellung weiterer Aufführungen der ‘Baal’-Inszenierung von Frank Castorf und Zahlung einer Vertragsstrafe verklagt. Gestern ist es nach sechseinhalbstündiger Verhandlung vor dem Landgericht München zu einem Vergleich gekommen, der die Minimalpositionen beider Seiten abbildet: Die Inszenierung in ihrer jetzigen Form kann noch einmal in München und einmal beim Theatertreffen in Berlin gezeigt werden. Man kann uns aber natürlich nicht das Theaterspielen verbieten, sondern nur die Verwendung bestimmter Texte in bestimmten Zusammenhängen. Wir werden daher selbstverständlich nach einem kreativen Umgang mit der entstandenen Situation suchen. Das sind wir dieser wirklich außergewöhnlichen Inszenierung, allen Beteiligten auf und hinter der Bühne und vor allem dem Publikum schuldig.” Martin Kušej, 19. Februar 2015

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