Kultur, Live

on3 – Festival im Loop

Sebastian Gierke
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on3

Gotterfahrung? Gerade so nicht. Das on3-Festival bot wieder extrem viel. Sehen, erkennen, durchdringen, vermehren, wachsen.

Die Basslinie drängt, die Sechzehntel rattern. Ein nervöser kleiner Loop, immer wiederholt. Das ist ein Drauf-los-Rennen jenseits eines Plans, ohne Ziel. Nach vorne im Kreis. Dieser Lauf, den der Bassist von Kele da anstimmt, zieht einen hinein, entwickelt einen ungeheuren Sog.

Einen Sog, wie ihn auch die zwei Studios und der Orchesterproberaum hervorbringen, die drei Bühnen des on3-Festivals, die einen rennen lassen, im Kreis, von einer Bühne zur anderen. Immer weiter.

Kele

Kele

Bei Kele gewinnt die Musik durch den Loop eine extreme Physis, wird zu einer gewaltigen Macht. Der Moment dehnt sich aus, das Verhältnis zwischen erlebter und gemessener Zeit verändert sich – zu Gunsten der erlebten. Der Moment dehnt sich. Es ist einer dieser raren Augenblicke, in denen die Zeit stillzustehen scheint und man sich in ihr bewegt. Rasend schnell.

Kele

Kele

Von den hinteren Reihen wird man durch die Musik nach vorne an den Bühnenrand gesaugt, wird plötzlich von verschwitzen T-Shirts wie ein Ball hin und her geschossen. Lass prallen…den mach ich rein…

Der Bass fährt einem durch den Körper. Er presst die Tanzenden gleichzeitig zu Boden und lässt sie schweben, die T-Shirts würden durch die Druckwelle um die Körper wehen, klebten sie nicht an den Leibern.

Hände hoch. Faust in den Himmel. Kele steht am Bühnenrand und wird immer größer. Er beugt sich über einen. Von Gotterfahrung zu sprechen – wäre jetzt aber tatsächlich etwas übertrieben.

Kele Okereke, eigentlich Sänger von Bloc Party, legte beim on3-Festival einen grandiosen Auftritt hin. Seine elektrifizierten Songs zündeten sofort. Er selbst war gut gelaunt, die Band auch, aber vor allem der großartige Sound im Studio 1 des Bayerischen Rundfunks war es, der diesen Gig außergewöhnlich machte.

Dabei ist die ausgelassene Party ja eigentlich gar nicht das Begehr des on3-Festivals. Zumindest nicht in erster Linie. Das Festival war schon immer auch als Entdeckungsreise konzipiert.

Vor einiger Zeit habe ich schon mal an anderer Stelle über das Festival geschrieben:

„Qualität und Abwechslung machen dieses Musikfestival besonders. Die Leute kommen nicht, weil sie Hits hören wollen, die sie sowieso schon kennen. Sie kommen nicht, weil sie eine angesagte Band sehen wollen. Sie kommen nicht, weil sie eine ausgelassene Party feiern wollen. Sie kommen – tatsächlich – weil sie etwas dazulernen, sich ein wenig orientieren wollen in der globalisierten Popwelt, wo alles zwar nur einen Mausklick entfernt ist, die Qualität aber in der Masse unsichtbar wird.“

Das ist immer noch so. Immer noch kaum Band-T-Shirts zu sehen, immer noch kaum Alkoholleichen, Rauchverbot? Wird sich dran gehalten.

Und auch wenn der relativ bescheidene Umgang mit einem etwas aus der Rolle gefallenen Pete Doherty im vergangenen Jahr einige Zweifel aufkommen ließ: Die Leute hier sind aufgeschlossen und erfahrungshungrig. Sehen und Hören kann hier für den Einzelnen auch und immer noch bedeuten: erkennen, durchdringen, vermehren, wachsen.

Neben Kele war das in diesem Jahr für mich vor allem bei den Kölnern MIT der Fall, die wunderbar im Geiste Kraftwerks musizierten, ihre Loops wie Fußfallen auslegten und die Leute in ihren Bann zogen, ganz anderes als Kele, unterkühlt und reduziert, durch den starken Bezug auf Minimal auch über die Elektropioniere Kraftwerk hinausweisend.

MIT

MIT

Außerdem begeisterte mich die Frickelei von Joasihno alias Cico Beck, der diesmal verstärkt um einen Schlagzeuger auf der Bühne stand. Auch er nutzt die Energie des Loop, schichtete Sounds übereinander, produziert im Laufe dieses Prozesses eine große Dichte.

Ziemlich gut auch die Indie-Rocker Born Ruffians, vor allem der Schlagzeuger hat mich beeindruckt. Der Kerl hat druckvoll und gleichzeitig vertrackt gespielt, ziemlich schwierig das.

Born Ruffians

Born Ruffians

Der Powerpop von Telekinesis klingt eher weniger vertrackt aber auch ganz hübsch. Keine Indie-Bräsigkeit zu finden, auf diesem Festival.

Console alias Martin Gretschmann stellte sein neues Album „Herself“ vor. Live klang das tastend, hatte eine schöne Entwicklungsspannung, Gretschmann baute die Tracks langsam auf, aber bei mir blieb, beim ersten Hören, auch einiges an Orientierungslosigkeit zurück. Ich glaube, ich werde mir das noch ein paar Mal in Ruhe anhören müssen.

Console

Console

Verpasst hab ich leider die ziemlich abgefahrenen Crystal Fighters und die Kanadierin Little Scream, die unterstützt von einigen Arcade-Fire-Musikern und mit Secial Guest Scott Matthew ihren melancholischen Kammerpop darbot. Das war ein bisschen ärgerlich und lag auch an einem neuen Raumkonzept in diesem Jahr.

Das kleine Studio 3 war nicht mehr geöffnet, sondern im Nebengebäude der Orchesterprobraum. Der ist zwar größer, weshalb, mein Eindruck, wohl auch ein paar mehr Karten verkauft wurden, als in den vergangenen Jahren, man konnte ihn aber nur über den zugigen Hof, eine Treppe, einen engen Gang und deshalb auch nur mit der Erlaubnis einiger eher wenig freundlichen Security-Männern erreichen. Das führte zu Wartezeiten und einige blieben eben auch ganz draußen. Die Visuals in dem Raum waren aber geil.

Und bei den drei Jungs von Sizarr war ich zu spät, das Studio 2 überfüllt, Reinkommen nicht mehr möglich. Ein kurzer Blick über die Köpfe der hüpfenden Menge zeigte aber, dass die Landauer Senkrechtstarter wohl einer der Party-Höhepunkte des Festivals waren. Die sollte man sich merken.

Auf on3.de gibt es das auch nochmal hübsch aufbereitet. Dort haben die Macher Videos, Mitschnitte, Interviews und einiges mehr zusammengestellt. Das Festival zum Nacherleben, hier entlang.

Joasihno

Joasihno

workmit

Console

Console

mit

studio

Fotos: Piritta Kleiner

[Für alle dies bemerkt haben: Der Artikel war aus Versehen schon in einer Rohfassung online. Also unfertig. Sorry.]

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