Kultur

Radikales Recycling

Regina Karl
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Beim Radikal-Jung-Festival am Münchner Volkstheater gewinnt „Amerika“ den Publikums- und Kritikerpreis – und zeigt, dass radikales junges Theater auch radikal traditionelles Theater sein kann. Ein Abschlussbericht.

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Große Entwicklungen: das ist alles, was sich Bastian Kraft in seiner Dankesrede noch wünschen konnte, nachdem er am vergangenen Freitagabend nun offiziell zum Publikums- und Kritikerliebling des diesjährigen Radikal-Jungs-Festivals am Volkstheater ausgerufen wurde. Mit seiner Inszenierung von Franz Kafkas „Amerika“, die das Romanfragment gekonnt auf nur einen Darsteller (Philipp Hochmair) in einem verspiegelten Glaskasten reduziert, überzeugte Kraft nicht nur die Zuschauer, sondern gewann auch den Kritikerpreis des Festivals. Neu war in diesem Jahr die von Jens Hillje geleitete Masterclass aus jungen wie radikalen Regiestudenten, die das Festival mit Lob und Kritik eine Woche begleiten durften. Auch sie durften einen Preis vergeben, der am Freitag an Antú Romero Nunes, Regisseur von Schillers „Geisterseher“ und heimlicher Star des Festivals ging. Ein paar mitleidsvolle Blicke trafen Nunes, ein paar verärgerte die Jury, als der Doppelsieg von „Amerika“ verkündet wurde. Dementsprechend dann auch tosender Applaus, als zumindest die Masterclass ihren neuen Meister auserkoren hatte.

Das Publikum schien offenbar gespalten. Schon gegen Ende der Woche zeichnete sich das gemischte Doppel aus Nunes und Kraft ab. Das mag auch daran gelegen haben, dass die letzten Arbeiten, die gezeigt wurden, weniger aufschlussreich oder gar vielversprechend für junges Radikaltheater waren. Johannes Schmits „Im Pelz“, eine Variation und Hommage auf die altgediente „Venus im Pelz“ von Sacher-Masoch, erzählt behutsam und flauschig die Geschichte des jungen Bourgeois Severin von Kusiemski, der sich zum Sklaven der gutbetuchten wie gutbeleibten Wanda von Dunajew macht. Geschickt: Schmit verzichtet auf allzuviel Domina-Ästhetik, setzt lieber auf fahles Licht und sanfte Gewalt seiner beiden wohlgemerkt weiblichen Schauspieler. Ein sinnlicher Abend, der jedoch an einem Thema scheitert, das unsere Phantasie und Imagination längst zur Genüge durchgespielt hat.

Und dann am Freitagabend zum Abschluss noch der große Wurf – leider ohne Ziel: Simon Solbergs „Romeo und Julia“-Produktion aus Dresden. Leider scheinen ein wenig Gangster-Rap und möglichst brutale und authentische Fight-Club-Szenen alles zu sein, was das (deutsche) Theater aus Baz Luhrmanns quietschebunten, lauten und kitschigen Kinofassung – die im Ãœbrigen eine geniale Reflexion auf Shakespeares Welt von Sex, Drugs und Rock´n´Roll ist – gelernt hat. Zu viel Ghetto, zu viel gespielte Leidenschaft und vor allem zu viel Anleihen am Film.

Das Radikal-Sein, das macht offenbar auch nach vielen Jahren Festival nach wie vor Probleme. Jung sind sie alle, nur was genau zeichnet nun nach einer Woche „Theater, Theater“ die Radikalität dieser jungen Wilden aus? Wenn sie denn wild sein wollen wie im Falle Solbergs wirkt das eher aufgesetzt als richtungsweisend. Laut Meinung der Kritiker-Jury war wie gesagt das Theater Krafts das Paradebeispiel für „radikales“, „junges“, ja sogar „machtvolles“ Theater. Worin diese Macht besteht, das wurde lediglich mit einer Nacherzählung des ungewöhnlichen und atmosphärischen Settings und dem One-Man-Show-Charakter von „Amerika“ begründet. Vielleicht kann man hier noch weitergehen und den Einzelfall zum Beginn einer Regel machen: Die Radikalität der jungen Theatermacher besteht wohlmöglich in ihrem behutsam Hang zur Klassik. Hier ein Shakespeare, da ein Kafka und wenn denn schon neue Dramatik, dann ist sie aus Altem gemacht („Im Pelz“). Dazwischen immer wieder die ganz großen Geschichten um Liebe, Macht und die Frage nach dem Selbst. Das diesjährige Festival hat das Theater sicher nicht neu erfunden, vielmehr hat es mit Vorsicht und Bedacht die fast schon kanonischen Mittel aus Illusion und Schauspielkunst wiedergefunden.

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