Stadt

Die Antwort auf Adolf Bleibtreu

Letzte Artikel von Timofey Neshitov (Alle anzeigen)

Vor 60 Jahren lieferten sich Münchner Juden blutige Straßenkämpfe mit der Polizei. Schuld war ein in der Süddeutschen Zeitung erschiener Leserbrief.

„Ich versichere Ihnen, dass ich kein Nazi war, aber ich bin ein hundertprozentiger Deutscher“, schrieb ein Leser, der sich Adolf Bleibtreu nannte, am 9. August 1949 in einer Zuschrift an die Süddeutsche Zeitung. „Ich gehöre zu den so genannten „Stillen im Lande“ und die Flüsterpropaganda ist mir mehr wert, als hundert Zeitungen“. Der hetzerische Leserbrief, in dem Juden („diese Blutsauger“) aufgefordert wurden, nach Amerika zu gehen, obwohl Amerikaner „uns alles verzeihen, nur das eine nicht: dass wir nicht alle vergast haben“, brachte das Fass zum Überlaufen: Münchner Juden gingen auf die Strasse. SZ-Chefredakteur Werner Friedmann, der in Italien weilte, entschuldigte sich später für die folgenreiche Redaktionspanne.

Der Protestmarsch von der Möhlstraße, damals die Hauptader des jüdischen München, zum Süddeutschen Verlag – „Nieder mit dem Stürmer von 1949!“ – fing kaum an, da liefen die knapp 300 Demonstranten in eine Polizeisperre. Aus 300 wurden schnell 750, die meisten davon Displaced Persons (DP’s) – osteuropäische Juden, die auf ihrem Weg nach Palästina in provisorischen, von den Amerikanern verwalteten Aufnahmelagern gelandet waren.

Während eine kleine Restgruppe deutscher Juden nach dem Krieg versuchte, die jüdische Gemeinde in München wiederaufzubauen, kämpften Zehntausende DP’s nur ums Ausreisen und führten, so die Münchner Antisemitismusforscherin Juliane Wetzel, ein „bewusstes Ghetto-Dasein.“ Es war der Frust des jahrelangen, gezwungenen Wartens im Land der Täter, der am Morgen des 10. August in Gewalt mündete.

Laut internen Polizeiakten riefen einige Demonstranten: „Nieder mit den deutschen Mördern!“ – und als die DP’s auf die Gummiknüppel der Polizei mit herausgerissenen Pflastersteinen antworteten, schossen die Beamten in die Menge. Drei Demonstranten wurden schwer verletzt, mehrere Einsatzwagen in Brand gesteckt. Erst der amerikanischen Militärpolizei gelang es, die zweieinhalbstündige Straßenschlacht in der Nähe des Friedensengels zu beenden.

Am 11. August, drei Tage vor der ersten Bundestagswahl, warnte ein Kommunique des Zentralkomitees der Befreiten Juden vor einem Wahlsieg der Rechtsextremen. Eine Neuauflage der Reichstagswahl von 1933 blieb zwar aus, aber Max Mannheimer, ehemaliger Mitarbeiter des Zentralkomitees, erinnert sich an „einen starken, unterschwelligen Antisemitismus im Alltag.“

Die New York Times, die ausgiebig über Friedhofschändungen und verwüstete Koscher-Metzgereien in der ehemaligen Hauptstadt der Bewegung berichtete, fragte Oberbürgermeister Karl Scharnagl nach den Gründen. Es läge, antwortete der Mitbegründer der CSU, an den nichtdeutschen Juden, die als „Schwarzhändler“ gesehen würden, und daran, dass „das deutsche Gesetz keine Kontrolle über sie hat.“

Eine Statistik der US-Militärverwaltung belegt jedoch, dass die DP’s nicht mehr und nicht weniger am Schwarzhandel beteiligt waren als die Deutschen. Polizeipräsident Franz Xaver Pitzer, der „die Juden“ als potentiellen Täterkreis führte, wurde Ende 1949 seines Amtes enthoben – wegen illegalen Goldhandels.

1Comment

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons