Kultur

The Great Escape

Regina Karl
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Alvis Hermanis zeigt in der Premiere von “Ruf der Wildnis”  in den Kammerspielen Hunde und graue Melancholie – die Kammerspiele selbst zeigen sich nach Intendantenwechsel ganz in weiß und schwarz.

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Von dieser kosmischen Traurigkeit, von der unausweichlichen Einsamkeit, die uns alle umgibt, will Alvis Hermanis in seinen Inszenierungen erzählen. So auch in „Ruf der Wildnis“ nach Jack Londons Abenteuerschinken, den Hermanis am vergangenen Freitag in den Münchner Kammerspielen präsentierte.

Mit Einsamkeit und Traurigkeit war es dann jedoch nicht weit her, feiern doch die Kammerspiele gerade ausgelassen neue Intendanz und neues Image. Der Holländer Johan Simons wird in nächster Zeit die Geschicke der Münchner „Kammer“ leiten. Das erste Kräftemessen gab es bereits am Donnerstagabend als Simons mit „Hotel Savoy“ von Joseph Roth einen entsprechend grandiosen Spielzeitauftakt auf die Bühne brachte. Doch nicht nur den ein oder anderen neuen Regisseur haben die Kammerspiele gewonnen, auch sonst scheint alles anders: Ob in der U-Bahn, auf dem Marienplatz oder in der „In München“, überall leuchten einem die schwarz weißen Plakate entgegen, deren Optik zwischen Western-Salon und Jahrmarkt-Ästhetik changiert. Vergessen sind die quietschbunten Reklamezettel und Schaukästen, vergessen auch die längst überfälligen Spielzeitmotti der Baumbauer-Ära. In getragenem Schwarz-Weiß sind nun auch Schauspielhaus, Werkstattbühne und die neu eröffnete Spielhalle gehalten.

In der Grauzone dazwischen bleibt leider Hermanis Inszenierung hängen. Bei all dem Bling-Bling und Glamour, mit dem die Kammerspiele momentan aufwarten, mag man sich nicht so recht einlassen auf Hermanis allzu melancholisches Reality-Theater: Der Vorhang fährt hoch, im Hintergrund  der zutiefst rührende Song „The Great Escape“ von Patrick Watson, auf einer Ansammlung billiger Orientteppiche sechs verschlissene Sofas und obendrauf je ein Hund, der einen mit tieftraurigen Augen anblickt. Bonjour tristesse! Den Sozialwohnungs-Schick behält Hermanis dann auch konsequent bei. Über Einsamkeit wollte er erzählen, sechs Hundebesitzer hat er in gemeinsamer Recherche mit seinen Schauspielern auf die Bühne gebracht. Und die sind – überraschend oder nicht – allesamt Verlierer und Außenseiter. Da ist Elvira (Anette Paulmann spielt die blondierte Hausfrau im glitzernder Viskosetop sehr nuanciert und hält sie konsequent an der Schwelle zum völligen Zusammenbruch), deren Tochter vom Auto überfahren wurde und die sich seitdem immer von ihrem Hund Möppi begleitet in einen völlig verblendeten Katholizismus flüchtet. Und Harald (Walter Hess in gewohnt markant-militärischer Sprachmanier), der Firma und Frau verloren hat, unter Bauschutt begraben jedoch den Mischling Tobi findet, mit dem er ein neues Leben in trauter Zweisamkeit beginnt. Dragan, der serbokroatische Polizeibeamte, dessen Streifen-Schäferhund gerne mal Pennern im Englischen Garten die Bauchdecke aufreißt (fantastisch: ein wieder mal grenzdebiler Thomas Schmauser, dessen Auftritt an seine Zeiten als fränkischer Kommissar erinnert). Vanessa (Katharina Schubert im Sarah Connor-Look), die tagsüber alte Herren in teuren Cafés um eine Cappuccino mit extra viel Milchschaum bezirzt, bis sie abends mit ihrem Pudel Prinz Poldi zum Fernsehen in ihr Einzimmerloch zurückkehrt. Franzine (eine unglaubliche Travestie-Show von Kristof van Boven), der zwar ihr Mops Zorella die Treue hält, dessen Ehemann sie jedoch längst wegen ein paar thailändischen Massagemädchen sitzen gelassen hat. Und schließlich Erik (Benny Claessens), der Kämpfer an der Animal Liberation Front, der mit seinen fettigen und kratzigen Dreadlocks, seinem Death Metal Outfit und seinem mächtigen Bauchumfang eigentlich aussieht wie ein harmloser Zivildienstleistender aus dem Tierheim. Gescheiterte Sozialfälle, Menschen wie du und ich. Und wenn einem gar nichts mehr bleibt, dann kann man ja immer noch auf den Hund kommen.

Ihr Vater habe die Familie verlassen als sie noch sehr klein war, erzählt Vanessa. Klar, was auch sonst. Immerhin hat er ihr vor seinem Weggang regelmäßig aus Jack Londons „Ruf der Wildnis“ vorgelesen. Der Roman wird abschnittweise anzitiert und dient als Folie für animalische Ausbrüche der Schauspieler. Sobald die Geschichte des Goldgräber-Hundes Buck anklingt werden die dressierten Filmhündchen zum schmucken Beiwerk der Inszenierung und das Tier in einem jeden von uns wird geweckt. Abwechselnd bellen, schnüffeln und beißen sich die sechs Schauspieler durch die Sofalandschaft. Das wirkt zum Teil komisch, denn das sind Tierimitationen ja nun immer. Zum Teil driftet die Animal-Show jedoch ins Belanglose bis Abstoßende ab, spätestens dann, wenn Benny Claessens als Buck angeschirrt wird und sich dazu mit voller Leibesfülle über die Bühne wälzt, dabei keucht, schwitzt, knurrt und immer wieder die Unterhose verliert.

„The great escape“? Hermanis bedient vieles. Die Sehnsucht nach dem back to basic in der kulturellen Verblendung. Er weckt unseren Voyeurismus den sozial Randständigen gegenüber, deren ach so authentische Lebensgeschichten dann vom alteingesessenen Abonnement-Publikum belächelt oder bemitleidet werden können. Das Pathos des „Das-könnte-auch-dein-Nachbar-sein“ lässt Hermanis von seinen Darstellern dann auch voll ausspielen. Eigentlich sitzen wir doch alle im selben Boot mit unserer kosmischen Traurigkeit. Und doch wird Hermanis Hunde-Zirkus am Ende mit begeisterten Standing-Ovations und geringschätzigen Buhrufen zugleich quittiert. Worin er jedoch Recht behält: Mit seinem Tränen-Trigger-Theater verhält es sich wie mit einem Hundespaziergang. Für die einen ein notwendiges Übel, für die anderen die zwei schönsten Stunden des Tages.

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