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The Sound of Mobility – wie Mobilität klingt

MUCBOOK Magazin

In unserer aktuellen Printausgabe wollten wir wissen: Wie klingt die mobile Stadt, der Sound der Mobilität? Manos Tsangaris – Komponist, Trommler, Leiter der Münchener Biennale (zusammen mit Daniel Ott) und einer der bekanntesten Vertreter des neuen Musiktheaters – nahm uns daraufhin mit auf einen akustischen Streifzug.

Bei meiner Ankunft in München fiel mir letztens die Stimme des Ansagers im Hauptbahnhof besonders auf. Alle Verbindungen, Verspätungen, Ausfälle wurden von einem Mann mit junger, angenehmer Stimme freundlich vorgetragen. Keine Computerstimme. Ich war überrascht. In ganz Deutschland haben wir uns an das seltsame Ruckeln der künstlichen Ansagerinnen gewöhnt, die reichlich melodie- und seelenlos ihren algorithmischen Dienst versehen. War bloß der Hauptrechner ausgefallen und musste ein Mensch einspringen? Oder hat die Bahn in München ein Einsehen, das zum angenehmen Klang der menschlichen Variante zurückführt?

Rhythmuskomplex an der Ampel 

Die Akustik-Signale für Blinde an den Verkehrsampeln habe ich immer geliebt – aus musikalischen Gründen. Vor allem dann, wenn an Kreuzungen mehrere Ampeln geschaltet werden und das periodische Tackern der einzelnen Anlagen rhythmisch voneinander abweicht. Die jeweils für sich ganz regelmäßigen Impulse weichen leicht im Tempo voneinander ab. So ergeben sich komplexe rhythmische Strukturen. Und durch die räumlichen Abstände entsteht eine dynamische Staffelung – fein abgestufte Lautstärken. Auch unsere Haltung, die Entfernung und der Winkel unserer Köpfe spielen eine Rolle beim Ampelkonzert. Danach kommt das Pfeifsignal, dieses Piep-Piep-Piep, das signalisieren soll, dass man gefahrlos die Straßenseite wechseln kann. Also los…

Staukonzerte

Vor vielen Jahren las ich eine wunderbare Erzählung von Julio Cortázar mit dem Titel „Südliche Autobahn“. Darin geht es um einen Verkehrsstau, der sich über Tage (in meiner Erinnerung: über Wochen) einfach nicht mehr auflöst. Die Menschen campieren in ihren Fahrzeugen, werden zu Nachbarinnen, Freunden, Feinden, Unterstützerinnen … alles Dorfgeschichten, die dem Stau geschuldet sind. Ich habe vergessen, wie sich die Geschichte  auflöst, stelle mir aber vor, wie es geklungen haben mag, wenn alle unter Erleichterungs-Seufzern endlich den Motor wieder anlassen und losfahren – insgeheim vielleicht auch traurig, diese Staugemeinschaft schließlich verlassen zu müssen? Ich glaube, es war die Universität der Künste Berlin, die schon in den 1990er-Jahren Staukonzerte veranstaltete, also musikalische Ereignisse für Menschen in Fahrzeugen, die gezwungen waren, stehen zu bleiben. Man könnte auch sagen, die keine Chance hatten, zu fliehen.

Meister unter sich

John Cage war einer der wegweisenden Komponisten des 20. Jahrhunderts. Angeblich pflegte er, wenn er etwas „Leben in die Bude“ lassen wollte, vergnüglich das Fenster seines Lofts an der Sixth Avenue in NYC zu öffnen und mit Genuss dem stetigen Verkehrsstrom unten in der Straße zu lauschen. Seiner Aussage nach tausendmal besser als zum Beispiel Musik von Beethoven, die er ablehnte wegen ihrer – aus seiner Sicht – subjektivistischen und aufdringlich intentionalen Dramaturgie: Fühl dies, kombiniere das, hier geht’s lang! Direkt unter dem Loft John Cages und seines Lebenspartners Merce Cunningham lebten jahrelang Yoko Ono und John Lennon. Cage soll sich wegen deren ewigen Gitarrenspiels regelmäßig beschwert haben. Gegen die Sixth Avenue hatten Beethoven und Beatles bei ihm einfach keine Chance.

Lautlose PS-Monster

Etwas verärgert bin ich, dass auch andere jetzt auf eine meiner lang gehüteten Geschäftsideen gestoßen sind: nämlich diese neuen Elektro-Fahrzeuge mit einem proaktiven Sounddesign auszustatten, um sie weniger gefährlich zu machen. Das nahezu geräuschlose Anschleichen – übrigens auch der Elektroroller – gefährdet Fußgänger*innen und vor allem Kinder. So ein ordentlicher Dieselmotor oder das Gebrüll eines Maserati warnt uns ja allerorten vor seinem Kommen und wir können rechtzeitig in Deckung gehen. Jetzt lese ich, dass in den Autofabriken hochelaboriertes Sound-Design entsteht, um die Warnung vor anrasenden Maschinen mit angenehmen Klängen zu verbinden. Jetzt wird es berückend schön – bitte stehen bleiben!

Zirp, zirp

Ja, diese Grillen. Diese Tsitsika-Sounds liegengebliebener oder unrechtmäßig bewegter Elektroroller, die nachts, auf den Gehsteig geworfen, in gewissen regelmäßigen Intervallen ihr elektrisches Zirpen ausstoßen. Eine furchtbare Sound-Simulation, die mir jedes Mal vor Augen führt, dass in Deutschland, wo Grillen an sich ja eher selten sind, der allgemeine Insektenbestand um rund achtzig Prozent zurückgegangen ist. Was man übrigens auch hören kann. Weniger Insekten-Schwirren um unsere Köpfe herum in den Gärten und an den Badeseen, also auch weniger tierischer Sound of Mobility. Aber die Mücke nachts, die im Dunkeln um meinen Kopf herum – sssssshhhhh – kreist und mich gleich anzapfen wird, die höre ich dann doch immer noch regelmäßig.

Der Adel auf den Gleisen

Die Königin der Transportmittel ist für mich persönlich die Trambahn. Gerade in München. Sieht sie nicht herrlich aus in ihrem mittelblauen bayerischen Outfit? Vor vielen Jahren einmal, als ich hier zu Gast war, bin ich in eine beliebige Bahn eingestiegen, bis zur Endstation mitgefahren und wieder zurück. Das Wetter war schön, die einsteigenden Menschen (fast) alle gut gelaunt. Ich genoss die Szenenfolgen in der Bahn und draußen das Vorbeiziehen des urbanen Lebens. Doch eigentlich ist es drinnen ja gefährlich: Wenn man bedenkt, dass die Armeslänge bei Säugetieren den kritischen Bereich für Gefahr markiert, sind wir den Menschen viel zu nahe. Na ja, die Leute in der Tram schienen alle friedlich zu sein. Und von außen? Dieses spezifische, etwas altmodische Klingeln der Bahn, das Fußgängerinnen warnt oder insistierend Autos von den Gleisen verscheucht, gehört für mich doch zum akustischen Stadtpanorama mehr noch als hupende Autos oder schimpfende Fußgänger. 

Wie klingt die Mobilität der Zukunft?

Leises und doch kräftiges Surren der Drohnen, die uns abholen und automatisiert an gewünschte Zielorte hieven? Oder das diskrete Piepen des Beam-Scanners, der unser Alter Ego in die gewünschten Sites unserer Bi- und Trilokation katapultiert, wo wir ein schnelles Geschäfts-Meeting absolvieren, während wir uns gleichzeitig im Café entspannen?

Reisen wir zum Abschluss aber kurz zurück in die Antike: Die sogenannten Peripatetiker (Aristoteles und Konsorten) philosophierten gerne im Gehen. Sie sind ja andauernd die Säulengänge rauf- und runterspaziert und haben dabei mit ihren Kollegen und Eleven – alles Männer, scheint es – vor sich hin gedacht. Der Sound of Mobility war hier wohl ein stetiges Murmeln, vielleicht durchsetzt mit dem gelegentlichen Quietschen antiker Sandalen. 

Egal zu welcher Zeit und Epoche, wir bewegen uns. Unsere Ohrmuscheln geben dem Fahrt- und Laufwind dabei einen leichten Widerstand. Dieses leise Rauschen, das dabei entsteht, ist für mich der elementarste Sound of Mobility. 


Dieser Text erschien zuerst in unserer aktuellen Printausgabe zum Thema Mobilität in München.

Mehr über das Werk und die Projekte unseres Gastautors Manos Tsangaris erfährst du hier.


Beitragsbild: Sam Poullain on Unsplash

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