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Regina Karl
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Was ist radikal, was ist jung? Beim diesjährige Radikal Jung-Festival  ging auf  der Reise von Ost nach West, durch Reales und Virtuelles, von der Vergangenheit in die Zukunft vor allem eines verloren: Identitäten. Für einen besonders geschickten Umgang mit dem Verwirrspiel um Sein und Nicht-Sein in ihrer Produktion „Arab Queen“ erhielt Nicole Oder dafür den Publikumspreis.

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Rotes Plasma auf einem riesigen Gaze-Vorhang in der Münchner Reithalle. Plötzlich Spot auf eine hell erleuchtete Badewanne. Darin eine junge Frau, halb tot vor Langeweile, die uns angafft. Ein Mann im Hasenkostüm gesellt sich zu ihr, aus mächtigen Boxen dröhnt ein unerträgliches Surren und Brummen wie unter einer Autobahnbrücke. Dann das Black.

Der Hase ist eine der vielen Iden

titäten aus Second Life, die Lieblings-Wohnstatt der jungen Frau, der man zuvor eine Stunde lang durch ihre düster-schauerliche Wohnung gefolgt ist. Einziger Ausweg aus diesem Mauerwerk ist für sie nur noch das Web 3.0, ihre persönliche vierte Dimension in der sie ein schönes rotes Kleid trägt, ABBA-Songs singen darf und von Hasenmännern liebevoll in den Arm genommen wird.

Verstörend und klangvoll zugleich war Fabrice Murgias Inszenierung „Life:Reset“ vom Théâtre National Brüssel. Murgia präsentiert uns auf einer Drehbühne die Totale einer Einsamkeit. Vom Badezimmer bis zur Spüle sind alle Winkel der Wohnung mit Kameras ausgestattet. Belanglos wirkt dieses Überwachsungsszenario. Wo bleibt das Quantum Voyeurismus, wenn man über eine Stunde eine Frau beim Nichtstun beobachtet? Und doch birgt diese dröge Langeweile einen ungemein harten Existentialismus.

Murgia dreht seinen Sound so lange auf und seine Bühne so lange hin und her, bis uns Augen und Ohren langsam taub werden. Irgendwo dazwischen fängt man an, sich heillos zwischen Cyberspace und Realität zu verlieren. Auf die Frage, ob wir nun imstande sind, alles zu sein, was wir wollen, ob sich Wahrnehmung schon durch einen geschickten Dreh an der Bühnenkurbel verschieben lässt, antwortet nur das rote Plasma auf dem Vorhang. Eine zähe Masse, ein virtuelles Fremdgebilde in Signalfarben ist die Ursuppe, auf der wir mittlerweile dahergeschwommen kommen.

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Ob im World Wide Web, im Geschichtsbuch, zuhause am Küchentisch oder draußen auf der Straße, schleppen wir sie mit uns herum, unsere Identitäten. Ob wir wollen oder nicht, heften sie sich an uns dran und bleiben kleben. Manche davon kommen als drohende Väter unseres Bewusstseins aus der Vergangenheit, andere sind noch Zukunftsmusik. Diesen Wiedergängern des Selbst konnte man beim Festival vor allem in Robert Borgmanns „Vatermord“ begegnen.

Borgmann verschneidet das expressionistische Aufbegehren in Arnolt Bronnens selten gespieltem Stück zu einer Collage aus Erinnerungsspuren. Gustaf Gründgens trifft auf Hannah Arendt, Götz George wird an einer Nähmaschine mit John F. Kennedy verwoben. Heidegger taucht als Kunstfigur in einem Kriegerdenkmal von Joseph Beuys auf. Es wiegt schwer, unser Geschichts-Gewissen und hinterlässt vor allem eines: Geschichten. Deren permanenter Nachhall ist der stumme Schrei des Ödipus, der geblendet von all dem Storytelling über Väter und Söhne wahr und falsch nicht mehr unterscheiden kann.

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In diesem Grabenkampf mit unserem geistigen Erbe bleibt für jeden etwas übrig. Wohin sich unsere Geschichte(n) in Zukunft entwerfen, das kann jedoch keiner sagen. Nach einer Woche radikalen und jungen Inszenierungen scheint es aber, dass unsere Identitäten sich mal wieder in Zeiten des Aufbruchs befinden. Als Chilene wandert man ein und als Serbe wieder aus, in München ist man jung, in Berlin sogar radikal, türkisch-deutsch und deutsch-türkisch kann man gut und gerne auf einmal sein, und wer hier der Vater und wer der Sohn ist, das kann auch niemand so genau sagen. Alles ist möglich, nichts aber nötig. Wenn überhaupt, dann sind wir transkulturelle Wanderer auf dem Weg zur Globalisierung. Oder doch eher multikulturell? Oder post-migrantisch? Oder a-historisch? Oder…?

Es ist beruhigend, dass keine der Inszenierungen versucht hat, für diese Fragen ein Regelwerk aufzustellen. Ein bisschen Labeling für Radikalität und Jugend gab es dann aber doch wieder. Zwar ging bei der diesjährigen Preisverleihung der neue Verkaufsschlager “Verrücktes Blut” ausnahmsweise mal nicht über die Ladentheke. Wenn auch sehr viel verhaltener, bot aber auch die Inszenierung “Arab Queen” von Nicole Oder (unsere Kritik hier) allerlei verkehrte Selbst- und Fremdbilder, wofür sie in in diesem Jahr mit dem 2 500 € schweren Publikumspreis ausgezeichnet wurde. Dieses radikal junge transkulturell-dekonstruktive Post-Migrantentheater – das muss man dann aber doch sagen – ist eigentlich Nurkan Erpulats Markenzeichen. Aber was ist schon eine Marke?

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