Kultur, Nach(t)kritik

Wir sind alle endlich – Theater in der Schauburg

Markus Michalek

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Elisabethplatz, Schauburg, Freitagabend. Ein junges Team um Tobias Ginsburg, Mitglied des Münchner Theaterkollektivs fake(to)pretend hat im Rahmen der “Next Generation”-Reihe (Schauburg)* zur Inszenierung seines neuen Stücks “Endlich” geladen.

Ein Stück über die Endlichkeit der Dinge, des Seins, das bei einer humorvoll metaleptisch gebrochenen Gilgemescherzählung beginnt und mit einem Blick auf die letzten Tage eines Menschenlebens schließt. Dazwischen gelingt es den beiden Schauspielerin Philip Lind und Matthias Renger (oft genug fast schon unheimlich perfekt) die gesamte Bandbreite an menschlichen Emotionen auszureizen – vom Lachen bis hin zum Weinen mit allen Zwischenschritten. Dies mag sicherlich der gekonnten Inszenierung von Regisseur Tobias Ginsburg und dem dramaturgischen Geschick von Adrian Herrmann geschuldet sein, die vielschichtig Videointerviews, Trockeneis, futuristisch-mystische Todestheorien & Ewigkeitshoffnungen, unmittelbare Authentizitätsmomente, gespielte Autofiktion sowie neben der fast schon pflichtanwesenden Judith Butler und dem Simulacrenschöpfer Baudrillard selbst UNO-Statistiken in die elf Tafeln des Gilgameschepos einweben.

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Theater, wie es Zuschauer genießen können, denn die intellektuelle Distanz, die sonst oft zwischen Bühne und Zuschauerraum herrscht, bricht irgendwann  weg. Das mag an den Pointen und höchst skurrilen Momenten zu Beginn des Stücks liegen, die langsam Schicht um Schicht des Trennstrichs “Dort Bühne – hier Publikum” abtragen, das mag an der unmittelbaren Wucht der Trauer liegen, die aus der Höhe des Gelächters über das Publikum hereinbricht, am Damoklesschwert Todesschmerz, wenn der eigene Gedanke einen unbeliebsamen Schlenker vollführt und der Brustkorb unvermittelt ein wenig eng wird … vielleicht aber ist die Präsenz des Stücks auch einfach nur der Tatsache geschuldet, dass sich um Tobias Ginsburg ein vielversprechendes Team versammelt hat. Jeder Platz ist hier wichtig, denn einsam-narzistische Galionsfiguren, die als Spielmacher ein schemenhaftes Team hinter sich scharen, glänzen in “Endlich” durch ihre angenehme Abwesenheit.

Egal ob Technik, Maske, Dramaturgie, Bühnenbild, Regie oder Schauspiel – alle haben ihren definierten Platz in dieser Inszenierung, niemand schwingt sich auf Kosten der Anderen nach Oben, das alles harmonisiert. In diesen Fallhöhen wie Bandbreiten mag noch eine weitere Dimension verborgen sein, deren Nachhall sich erst langsam in Gedanken manifestiert – gelingt es in einem Stück über das Ende, die Endlichkeit, nicht nur Emotionen und Diskurse wie Trauer, Schmerz, Angst sondern auch Freude, Humor und Schönheit im Austausch mit dem Publikum zu rekapitulieren, dann ist eine perfekte Performanz vom Sinnbild des menschlichen Lebens gegeben; von der Geburt (in diesem Fall dem ersten Satz), bis zum Tod, dem Ende von “Endlich”.

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Für Tobias Ginsburg, der sich mit dem in “Endlich” angelegten Dokumentationstheater  in die Tradition Hans-Werner Kroesingers stellt und dennoch seinen eigenen Ansatz verfolgt, beweist das vor allem, auf einem richtigen Weg zu sein – der Schuh ist nicht zu groß.
Denn wir alle kennen die Wunde, auf die es abzielt: niemand ist vor dem Tod oder dessen Erfahrung gefeit. Weder Gilgamesch, noch der Wächter des Waldes Huwawa, noch Herr R. und Frau S., die ihre eigene Vorstellung von Endlichkeit und ewigem Leben besitzen, noch Du oder Ich. Letzten Endes sind wir alle nur Erzählungen.

Wer den Tod nicht fürchtet und seiner eigenen Erzählung ein Kapitel hinzufügen möchte, sollte sich die Gelegenheiten vom 3.11. bis zum 6.11. nicht entgehen lassen. Es empfiehlt sich, Karten zu reservieren – Infos und mehr hier. Mehr über fake(to)pretend gibt es auf deren Homepage.

(Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von Next Generation sowie fake(to)pretend)

*Anm. d. Red: In einer früheren Fassung des Artikels wurde das Theaterkollektiv fake(to)pretend fälschlicherweise als “Next Generation” bezeichnet.

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