ANDY WARHOL Hannover 1981 ©Thomas_Elsner
Aktuell, Kultur

So erlebte Michael Reinboth als Gründer von ELASTE, „Germany’s first glossy Indie Mag”, die 80er in München

Michael Reinboth

1980 bis 1986, war eine aufwühlende Zeit! Es gab so viele neue Phänomene und Veränderungen, die uns so stark beeinflusst haben das Elaste Magazin zu gründen und 6 Jahre durchzuhalten. Das vielleicht wichtigste Ereignis war MTV. Flower Power, Glam Rock, Fusion-Rock, Jazz und Disco, Plateau-Schiuhe, Schlabberhosen aber auch Punk waren adhoc vorbei.

Andy Warhols Prophezeiung „Jeder kann für fünfzehn Minuten ein Superstar werden“ war plötzlich Realität.

„New Romantics“, New Wave, Post-Punk mit ihrem coolen Styling:  flache, spitze Schuhe, enge, schmale Hosen und möglichst in Schwarz, Neonröhren statt Discokugeln und russischen Konstruktivismus anstelle der hippyesken Roger-Dean-Ästhetik, finstere HR-Giger-Biomechanoiden-Düsterness statt bunter Blasebalg-Typo und Graffiti anstatt der Schule der Neuen Prächtigkeit und dem Fotorealismus.

Hang Around New Wave Styling 1980 in Hannover. ©Thomas Elsner

Wir wussten allerdings auch nicht so recht, wo es hingeht, aber es war spannend, virulent, Aufbruchstimmung mit dem Slogan: „Geschichte wird gemacht – es geht voran”

Multiplex-Kinos waren neu, Blockbuster Filme en masse kamen raus, hier nur ein paar Highlights der Kino-Geschichte Ausschnit 1980 – 86: „Bladerunner“ (Ridley Scott), Subway“ (Luc Besson), die Filme von John Carpenter (Die Klapperschlange / Das Ding Aus Einer Anderen Welt / Das Philadelphia Experiment), Scarface (Brian De Palma), Brazil (Terry Gilliam), Terminator (James Cameron), Christiane F (Uli Edel), The Elephant Man, Dune, Blue Velvet (alle David Lynch), The Element Of Crime (Lars Von Trier), Videodrome (David Cronenberg), Possession (Andrzej Zulawski), Paris Texas (Wim Wenders) , Jim Jarmush mit gleich drei Filmen: Permanent Vacation, Stranger Than Paradise und Down By Law.

Dazu der Start des Home Entertainments VHS Video, die Marktreife des Camcorders. Was viele vielleicht nicht wissen, weil sie in den letzten 20 Jahren erst so richtig “mega“ geworden ist, dabei ist das alles schon über 40 Jahre her (Start 1982): Die futuristische Cyberpunk -Saga „Akira“ von Autor, Illustrator, Animator Katsuhiro Otomo war die erste Manga-Story überhaupt, die ins Englische übersetzt wurde, und die Animation (der Film wurde erst 1988 fertig) gilt bis heute als der Urknall des Manga-Animations-Filmgenres.

Und ja, die Grünen wurden salonfähig und zogen erstmals in den Bundestag ein. Die Stars der Straße hielten Einzug in die die Galerien (wie Jean-Michel Basquiat, Futura 2000, Keith Haring), und ein deutscher Konditor und Kinoplatzanweiser wurde in New York Gesangsstar (Klaus Nomi). Eine Künstlerin aus der visuellen Kunst bzw. der Theater- und Performance-Szene, Laurie Anderson, erweiterte mit ihrem Welthit „O Superman“ die fünfzehn Minuten von Warhol um eine wichtige Nuance:

„….du kannst kommen wie du bist, aber du musst zahlen, wenn du gehst“

Perfomances wurden hip, in Nachtclubs oder auf Musikbühnen. In den Clubs gab es nicht mehr eine Spanne bei der Beats-per-Minute Geschwindigkeit, von 92 BPM bis 150 BPM (Devo), alles war nicht nur erlaubt, sondern sogar gewünscht. Über den Brenner tönte nicht nur Italo-Disco, sondern auch der Cosmic Sound. Und die tanzbare Weltmusik bekam Register-Fächer in den Plattenläden. All das passierte zwischen 1980 und 1986.

13_HUMAN_LEAGUE_München_1984_©Thomas_Elsner

Human League, München 1984 ©Thomas_Elsner

House und Techno haben ihren Ursprung in dieser Zeit.

Larry Levan und Arthur Russel waren die maßgeblichen Wegbereiter. Ihren Stil nannte man Garage, eindeutig der Vorreiter (auf einem Groove reiten) für den späteren House-Sound. Alle nach(t)fahrenden Produzenten des Techno zählen Kraftwerk, Joy Division, Depeche Mode zu ihren wichtigsten Einflüssen. Gut, Kraftwerk war schon früher wichtig, aber ihre größten und besten Chart- und Clubhits kamen ’79 bis ’84 heraus.

Begünstigt wurde dies alles durch Sampling und die legendären Simmons Drums, 1978 von Dave Simmons erfunden und 1980 zur Marktreife gelangt. Diese elektronischen Drum-Kits, die man im Stehen spielen konnte, und mit denen beispielsweise Orchestral Manoeuvres In The Dark (OMD) auftrumpften, hatte nach 1980 jede elektronische Band im Studio und vor allem auf der Bühne. Auch ganz wichtig waren die ersten Drum Sequencer wie der Roland CR78 bzw. der Nachfolger Roland TR808, den John Foxx, OMD, Gary Numan, Soft Cell, Human League etc. nutzten. Auch die Linn LM1 war wichtig, obwohl Giorgio Moroder die im Munich Disco Sound erstmalig schon früher einsetzte, doch ab 1979 war der Trademark Sound dann allgegenwärtig.

Der quasi erste digitale Synthesizer mit Sampling Technik war der 1979 entworfene „Fairlight CMI“. Der war zwar zu teuer für die Bühne, aber bekam schnell durch Peter Gabriels Album „Melt“ großen Einfluss, insbesondere durch Jean-Michel Jarre und The Art Of Noise. Erschwinglicher wurden dann der erste Amiga Sampler und ab 1984 der Sonic Mirage.

SIOUXSIE-TheBanshees_ROBERT_SMITH_Munich_1982_©Thomas_Elsner

SIOUXSIE-TheBanshees, Robert Smith, München 1982 ©Thomas Elsner

Man kann der Musikgeschichte also attestieren: Sampling ging 1980 kommerziell steil. Mit dem Sampling einher ging das Rewind des Beats am Plattenteller. Erwähnen sollte man da Brian Eno mit seinen Soundtechniken und einflussreichen Ambient-Alben, oder Philip Glass mit dem Emulator (siehe dazu das Interview mit Philip Glass im ELASTE 1980 – 1986 Buch). Damals lief von HipHop, Cosmic, Garage, Funk, New Wave, Industrial bis World Music alles in einer Nacht. Heute würde jeder sagen: Was für ein Scheiß-DJ. Damals wusste keiner, wo es hingeht.

Es war eine komisch-schöne Aufbruchsstimmung – mehr nicht.

1980 bis 1986 berührte man sich noch persönlich im Plattenladen. Dort lagen die neuen Fanzines oder Kultmagazine aus: Spex, I-D, The Face, Elaste. Auch Möbel bekamen da ein neues Design (Ettore Sottsass, Memphis Design), Mode sowieso; Plattencover wurden grau oder monochrom, Schmuck gab’s jetzt mit scharfen Zacken oder Neon.

Die Enfants terribles der Mode Jean Paul Gaultier, Yohji Yamamoto, Commes des Garçons und Rei Kawakubo, die 1981 in Paris erstmals ihre Mode zeigte, hatten Anfang der Achtziger ihren ersten fetten Medienrummel (und auch einige Mode-Strecken in „Elaste“). Sie leiteten ihre Ideen von Alltagskleidung und glamouröser Pop-Kultur ab und schufen das, was man bis heute postmodernen Streetwear Chic nennt.

Diese so geile Zeit war auch die wahre Geburtsstunde des „Pride“, eine Explosion, die sich lange angekündigt hatte, die aber erst 1983/84 begann, so richtig populär zu werden. Und die bis heute anhält: Das große Coming-out der Homosexualität. Am 2. April 1984 kam „I Want To Break Free” von Queen heraus (im Video war Freddie Mercury als englische Hausfrau verkleidet), eine Woche später erschien „West End Girls“ von den Pet Shop Boys. Zwei Monate zuvor erschien das Album von The Smith (Morrissey) von dem der Song „William, It Was Really Nothing“ ausgekoppelt wurde, in dem ein Mann zum ersten Mal den Heiratsantrag eines anderen Mannes ablehnte. Zeitgleich kamen Culture Club, Wham!, Bronski Beat, Frankie Goes o Hollywood und “Sex Crime” von den Eurythmics – alles binnen 16 Monaten, eine Revolution, während der Duran Duran, die Strähnchen und Mascara trugen, zwar die Mädchen verrückt machten, aber damit das Anti-Bürgerliche der Pop-Gay-Community clever zu antizipieren wussten. Auch Künstler wie Divine und Leigh Bowery, der gerade in der Tate Modern gezeigt wird, und der für die Queer-Bewegung wirklich wegweisend in seiner Gesamtkunst als Performer, Modedesigner und Clubbetreiber war, sei zu erwähnen.

Depeche Mode, Hannover 1982 ©Thomas Elsner

Depeche Mode, Hannover 1982 ©Thomas Elsner

Dass dieser wegweisende Umbruch den Geschmack des Todes in sich trug, würde ich verneinen. In weniger als zwei Jahren war die schwule Bewegung raus aus dem Ghetto, und auch wenn das Vorhandensein einer neuen Krankheit Panik auslöste – das Wort Aids wurde erstmals 1982 in der Times erwähnt, und am 22. April 1984 wurde bekanntgegeben, dass der französische Wissenschaftler Robert Gallo das Aids-Virus isoliert hatte –, so hat sogar dieser Tsunami diese Bewegung nicht in die Isolation treiben können (ein Vergleich zur jüngsten Pandemie steht noch aus).

Die wichtig(st)en Musik- und kulturellen Phänomene dieser Zeit waren auf jeden Fall:

New Wave, New Romantic, Goth, Electronic Body Music (EBM), Post Punk:  traten Visage, Ultravox, Culture Club, Duran Duran, Adam & The Ants, The Human League, und Spandau Ballet, zunächst mehr als reine Modeerscheinungen auf, kamen mit New Order, Throbbing Gristle, Psychic TV, OMD, Joy Division, Depeche Mode, The Cure oder Anne Clark kühlere, distanziertere, introvertiertere und aus heutiger Sicht sehr langlebige Projekte auf den Plan; und später dann, mit Goth und EBM-Bands wie Clock, DVA, Front 242, Nitzer Ebb oder Scraping Foetus und Off The Wheel (auch im Elaste Buch drin) wurde es noch dunkler oder härter.

Oh man, war das eine aufregende, tolle Zeit.

Ich sage nicht, dass früher alles besser war, aber ich behaupte, so ein 560 Seiten Buch „Elaste 1980 -1986“ zeigt und spricht Bände, dagegen kackt jeder social media post voll ab, und so viele gute Filme gab es danach nur sporadisch.

Das Best-of-Buch
Elaste 1980–1986
erschien am 19.11.2025

zweisprachiger Band mit 560 Seiten und 900 Abbildungen

Der Titel setzt einem der einflussreichsten und innovativsten Zeitgeist-Magazine der New-Wave-Ära ein längst fälliges Denkmal.
Die legendäre Zeitschrift ELASTE gilt als bebilderter Soundtrack einer Generation.
Ein Buch wie ein Mixtape und ein Must-Read für alle, die Popkultur nicht nur konsumieren, sondern verstehen wollen.

Auf BBC 6 Music wurde die Veröffentlichung des ELASTE Magazins bereits als “Germany’s First Glossy Indie Mag” gewürdigt.

Die Geschichte von ELASTE ist die Geschichte einer Bewegung – die der New Wave-Generation in Westdeutschland. Gegründet 1980 in Hannover, war das Magazin ein Fanal der Kulturrevolte und das erste glossy Indie-Magazin der Bundesrepublik: im Eigenverlag herausgegeben, ein Statement irgendwo zwischen Pop-Avantgarde, Subversion und Stilbewusstsein. Zu denen, die Look und Geist des Magazins prägten, gehörten u. a. Jon Savage, Ellen von Unwerth und Diedrich Diederichsen. Wie kein zweites Magazin agierte ELASTE dabei an der Schnittstelle von Musik, Mode und Gesellschaft, mit Headlinern wie Warhol, The Rolling Stones, Kraftwerk. Dieses Buch von den ELASTE-Herausgebern Thomas Elsner und Michael Reinboth, blickt zurück auf den Pioniergeist, die Köpfe und die Geschichten hinter der Zeitschrift. Beschreibung auf Thalia.de 

Titelbild mit Andy Warhol – Foto: Thomas Elsner

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