Er hat sich einen festen Platz in der Kulturgeschichte gesichert und ganze Bibliotheken mit Sekundärliteratur gefüllt: Goethes Faust. Das deutsche Nationaldrama in zwei Teilen lässt den Gelehrten Dr. Heinrich Faust auf der Suche nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält”, mit Unterstützung dunkler Mächte zum gigantischen Rundumschlag ausholen. Den Preis für den Höllenspaß indes bezahlen andere – namentlich das naive, wenn auch spirituell gefestigte Gretchen. So weit, so bekannt.
200 Jahre nach dem Auftakt des Faust’schen Bühnenzaubers liegen die Dinge gar nicht so anders. Die Welt ist längst noch nicht genug. Der Sog des Individualismus hat inzwischen alle erfasst. Die 15-jährigen Mädchen kommen jetzt aus Kreuzberg, wo sich Naivität niemand mehr leisten mag. Ihre Freunde sind doppelt so alt und haben türkischen Migrationshintergrund. In Bettina Blümners PRINZESSINNENBAD gibt es nur zwei Regeln: Kein Heroin und nicht schwanger werden! Und Faust? Wir erahnen ihn im Schweizer Florian Burkhardt, der Anfang der Nullerjahre die internationale Unterhaltungsindustrie aufmischt. Marcel Gisler erzählt in ELECTROBOY von seiner unglaublichen Karriere als Schauspieler, Topmodel und Internetpionier, bis – wie könnte es anders sein? – ein Gretchen seinen Weg kreuzt. Anders als in der Literatur wartet am Ende nicht die religiöse Verklärung, sondern das Erwachsenwerden oder der Sturz in die totale Isolation.
GRETCHEN RELOADED – FAUST GOES ELECTRO lässt die männliche und die weibliche Handlung in zwei Dokumentarfilmen aufeinanderprallen. Ein Teufelsritt, der die Geschichte aller historischen Details und Manierismen entkleidet und sie ins Schmerzzentrum des modernen Menschen stellt. Es bleibt die unstillbare Sehnsucht nach Erfüllung und Glück im Hier und Jetzt. „Werd’ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! …” – das Ergebnis kennen wir. Anne Thomé
Karten gibt es an der Abendkasse