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Angepasst – der Preis der Selbstoptimierung

Josephine Musil-Gutsch
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Das mucbook-Print führte Interviews mit der Soziologin Paula-Irene Villa und dem Berufungsberater Dirk Riedmüller. Hier nochmal das ganze Gespräch.

Ohne die Anpassung der Arten keine Evolution, ohne Fortschritt kein Überleben, ohne Überleben überhaupt nichts- so weit die einfache Mathematik. Dennoch stellt sich das reflexionsbegabte Tier Mensch oft genug die Frage: Bin ich zu angepasst? Und vor allem: An wen und was eigentlich?

Interview_Villa

Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa, seit 2008 Lehrstuhlinhaberin für Soziologie und Gender Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität, wuchs in Argentinien, Kanada, USA und Deutschland auf. Für Mucbook hat sie sich Gedanken gemacht, was Angepasstheit für uns heute bedeutet.

Frau Villa, ist die Generation zwischen 18 und 30 Jahren wirklich so angepasst?
Angepasstheit bedeutet mit dem Strom zu schwimmen, aber eine einzige Stromlinie existiert nicht mehr. Vor ein bis zwei Generationen war das noch: Ausbildung, Titel, Arbeit, Rente. Heute muss man jung, schnell, dynamisch, innovativ, mobil, flexibel sein. Das führt nicht zu Bravheit, sondern zu einer großen Angst und Verunsicherung in der jungen Generation. Diese versuchen viele mit abstrakten Chiffren zu begegnen, also immer schneller, immer flexibler, immer optimierender.

Also geht es hier vor allem um Selbstoptimierung?

Ja, auf jeden Fall. Das ist auch eine Form von Bravheit, wenn man so will. Selbstoptimierung hat nichts mit Protest zu tun. Es ist auch nichts Neues und hebt sich nicht von der vorherigen Generation ab. Bei der Selbstoptimierung sind sich junge Erwachsene und ihre Eltern unheimlich ähnlich, auf fast schon unheimliche Art und Weise.

Aber es gibt auch viele Querdenker.
Ja, da stimme ich Ihnen zu. Neue Medien, Durchlässigkeit in der Lebensgestaltung, ein ständiger Wechsel, ein Sich-nicht-Festlegen machen „Querdenkertum“ möglich. Wie ich heute bin, muss ich nicht immer noch in 20 Jahren sein.

Was bedeutet „brav“ eigentlich?
Ganz bildungsbürgerlich würde ich sagen: Brav ist, nicht zu hinterfragen. Auch ein Ausprobieren mit offenem Ausgang, eine Art Risiko eingehen, gehört für mich dazu, dass ich etwas nicht brav finde. Zum Beispiel von der Großstadt in die Berge zu ziehen oder einen Drogentrip auszuprobieren.

Will die junge Generation überhaupt Risiken eingehen?
Für junge Erwachsene ist das ganze Leben irrsinnig riskant geworden ist. Nicht in einem körperlich-existenziellen Sinne, sondern durch die Unvorhersehbarkeit in ihren Biographien. Sie haben keine Ahnung, was ihr Abitur wo wert ist, was ein Studium oder Bildungstitel zählen wird, ob sie eine Rente kriegen.

Das macht vielen Menschen Angst. Was hat das mit dem Alter zu tun?
Was bei jungen Menschen ankommt, ist ein starker Druck. Ihnen wird gesagt: Wenn du kein super Abitur machst, dann wird aus dir gar nichts. Neben dem Studium sollen Praktika und Volontariate absolviert werden und neben dem Job Fortbildungen, Optimierungstrainings, Rhetorik-und Präsentationscoachings. Immer mehr zu machen als der Standard kommt nicht von der Angst sondern von einem Druck, der als selbstverständlich angesehen wird.

Ist das auch eine Art von Anpassung?
Meine Generation assoziiert Anpassung mit Blassheit, nicht auffallen, nicht gesehen werden. Aber in der Gegenwart funktioniert Anpassung nach der Heidi-Klum-Supermodel-Logik: An die eigenen Grenzen gehen und sich mit Challenges zu beweisen. In der Gegenwart ist Anpassung ein extrovertiertes, sich rampensäuisch zur Schau stellen: „Seht her, wie ich mich optimiere!“

Was raten Sie jungen Menschen?
Ich persönlich kann keinen jungen Menschen raten, sich locker zu machen und die Norm abzustreifen, dafür bin ich viel zu sehr Soziologin und weiß, dass das so nicht funktioniert. Ich würde mir aber wünschen, dass wir als Gesellschaft von dieser Form des Drucks wegkommen und uns hinwenden der Muße, Langeweile, Ineffektivität und es einfach einmal gut sein lassen. Nicht immer überall zu denken, dass die Zeit mit den eigenen Kindern Quality Time, der Sport besonders optimiert und das Ausgehen effektives Dating sein muss. Einfach sagen zu können: Es ist egal was dabei rumkommt, Hauptsache im Moment ist es gut.

Interview_Riedmueller

Mucbook hat außerdem mit dem Münchner Berufungsberater Dirk Riedmüller gesprochen. Low-Budget-Gründungen, Leben unplugged oder Verlagerung der Prioritäten er hilft, die richtige Lebensform zu finden.

Herr Riedmüller, warum sind junge Menschen heutzutage so angepasst?
Das Problem ist, dass uns von klein auf gesagt wird, was wir tun sollen und wie wir zu funktionieren haben. Wer funktioniert, wird in einer Gesellschaft akzeptiert. Die Konfrontation mit dem eigenen Ich sind junge Leute nicht gewöhnt. Sie versuchen Halt darin zu finden, was man ihnen vormacht. Meistens stellt sich erst in der zweiten Lebensphase die Frage: „Was will ich?“ Selbstbestimmung erreichen viele erst später.

Haben vor allem junge Menschen ein großes Bedürfnis nach Sicherheit?
In unseren schwierigen Zeiten natürlich schon. das Bedürfnis nach Sicherheit. Wir leben in einer schnellen Welt, die uns selber nicht mehr spüren lässt, wer wir sind und was wir wollen. Oft steht das Geld und nicht der Mensch im Vordergrund. Aber die Intuition, dass sich etwas falsch anfühlt, ist trotzdem bei vielen noch stärker. Man kann sich generell mehr Freiheiten herausnehmen, als man denkt.Wie weit man rausgehen und wild leben sollte, muss natürlich jeder für sich wissen. Einige suchen nur ein Gespräch mit dem Chef, andere ein Leben unplugged.

Was tun Sie konkret, um den Menschen zu helfen?
Ich motiviere Menschen, sich zu fragen: Passt mein Umfeld für mich? Bin ich selbstbestimmt? Was hat Priorität für mich? Will ich das so? Wenn man es nicht will, hat man eh schon innerlich gekündigt. Dann geht es darum herauszufinden welches Umfeld besser passt, Begeisterungen in Lebensgrundlagen zu verwandeln.

Aber geht man da nicht große Risiken ein?
Man kann ja seinen Butterbrotjob von fünf Arbeitstagen in der Woche auf vier reduzieren und am freien Tag die eigenen Projekte vorantreiben. Etwas verändern, ohne ökonomisch erfolgreich sein zu müssen. Deshalb haben richtige Aussteiger mit nichts ein Problem. Die wissen einfach, wie sich das anfühlt, wenn etwas verändert wird.

Gibt es nur die Wahl zwischen Geld und Glücklich sein?

Ich wehre mich gegen, das was immer suggeriert wird, nämlich dass kreativ und frei Armut bedeutet. Es gibt viele Menschen, die Geld mit ihrem Querdenkertum verdienen. Am besten man macht einen Kompromiss aus beidem. Also weder kopfloses Aussteigen noch Tütensuppen-Gleichmacher-Mentalität. Man sollte seinen eigenen Rhythmus finden und sein wahrhaftiges Ich. Und wenn man das hat, dann lebt man richtig.

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