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Ohne Filter und Retusche: München durch die Linse von Fotograf Tobias Meier

MUCBOOK Redaktion

Tobias Meier ist Fotograf, Münchner seit 13 Jahren und jetzt auch Schöpfer seines ersten Fotobands „München Streifzüge. Darin gewährt er einen unverfälschten Blick auf die Stadt – eine Perspektive, die Formen, Farben und den Wandel Münchens in den Mittelpunkt stellt. Ohne inszenierte Szenen, ohne Filter oder digitale Retusche dokumentiert er den urbanen Alltag und entdeckt dabei ein Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, zwischen Subkultur und Kommerz. Im Interview erzählt Tobias von seinen Anfängen in der Fotografie, den Herausforderungen der dokumentarischen Arbeit und seiner Liebe zu einem München, das weit mehr als nur „geschleckte“ Fassaden zu bieten hat. Seine Streifzüge vom Hasenbergl über Neuhausen und Schwabing bis Neuperlach sind in jedem Fall eins: sehr sehenswert!

„In der Werbebroschüre München gibt es eben doch auch vergilbte und eingerissene Seiten, sie existieren neben, zwischen und unter den Hochglanzseiten.“ (Klappentext)

Hallo Tobias, vor kurzem ist dein erster Fotoband erschienen. Was hat dich ursprünglich zur Fotografie gebracht? 

Es begann mit dem Kauf meiner ersten kleinen Digitalkamera. Vermutlich war ich damals noch keine 18 Jahre alt. Kein besonders hochwertiges Gerät, aber genau richtig für meine Zwecke. Ich begann zu experimentieren und nutzte die Fotos als Coverbilder für eigene Musik Compilations.

2010 besuchte ich eher zufällig eine Ausstellung von Ed Templeton (Profi-Skater und Künstler, Anm. d. Red.). Seine Bilder zeigten eine Subkultur, in der sich Erschütterung und Sanftheit abwechseln, geprägt von einer intensiven und unverfälschten Rohheit. Porträts und Einblicke in seine Reisen und seinen Alltag – ein Alltag fernab des Gewöhnlichen, geprägt von verstörenden Bildern wie verletzten Körpern, bewaffneten Kindern, Gewalt und der entblößten Intimität jugendlicher Erfahrungen. Diese authentische Intensität beeindruckte mich sehr. Eine solche Welt war komplett neu für mich.

Soweit ich mich erinnere, war es wahrscheinlich eine der ersten Ausstellungen überhaupt, die ich besuchte. Diese Eindrücke haben mich tief berührt und mir eine völlig neue Perspektive auf Fotografie eröffnet. Das war der Auslöser, mich intensiver mit dem Medium auseinanderzusetzen. 2012 kaufte ich mir dann meine erste digitale Spiegelreflexkamera. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Fotografie ein zentraler Bestandteil meines Lebens.

Was bedeutet dokumentarische Fotografie für dich – wie gehst du an die Dinge heran?

Dokumentarische Fotografie bedeutet für mich, die Wirklichkeit unverfälscht einzufangen und Geschichten zu erzählen, ohne künstlich einzugreifen. Meine Herangehensweise ist geprägt von dem Anspruch, die Motive so festzuhalten, wie ich sie vorfinde, ohne Eingriffe oder Inszenierungen. Dabei folge ich konsequent einigen selbst auferlegten Prinzipien. Störende Elemente entferne ich weder während der Aufnahme analog noch durch digitale Retusche.

Wenn nötig, wähle ich einen anderen Bildausschnitt, um sie zu vermeiden. Ich erlaube mir nur wenig digitale Nachbearbeitung und versuche, diese so gering wie möglich zu halten. Meine Anpassungen beschränken sich auf den Bildausschnitt sowie dezente Korrekturen der Tonwerte, des Mikrokontrastes und der Textur.

Für meine Instagram Stories habe ich mir bewusst noch strengere Regeln gesetzt. Hier nutze ich ausschließlich die Kamera meines Smartphones, um Inhalte in Echtzeit zu posten – mit maximal fünfzehn Minuten Verzögerung und stets in chronologischer Reihenfolge entsprechend dem Aufnahmedatum. Dabei verzichte ich auf Filter, Bearbeitungen oder Kommentare. Fotos und Videos erscheinen genauso, wie sie aufgenommen wurden, mit dem Originalton der Szene. Rund 90 Prozent meiner Story-Posts entsprechen diesen Prinzipien.

Du lebst und knipst seit 13 Jahren in München: Wie schwer fiel dir die Auswahl der Motive?

Es waren sicherlich mehrere hundert Fotos. Die genaue Anzahl kann ich spontan nicht nennen. Die größte Herausforderung war jedoch, dass seit der Idee, 2021 ein Buch über München zu machen, immer neue Fotos hinzu kamen. Diese Dynamik hat den Auswahlprozess zusätzlich erschwert.

Ein Klischee, das sich bei deiner Arbeit über München bestätigt hat?

Dass viele Ecken wie geschleckt sind.

Eines, das du nicht mehr mit dir herum trägst?

Dass alle Ecken wie geschleckt sind.

Inwiefern dokumentiert das Buch auch einen Wandel der Stadt und wie hast du diesen erlebt?

Einige der Orte, die ich fotografiert habe, gibt es heute so nicht mehr. Andere waren schon zum Zeitpunkt der Aufnahmen nur temporärer Natur.

Die deutlichsten Veränderungen habe ich in den letzten Jahren in Berg am Laim erlebt, vor allem im Werksviertel. Das liegt sicher auch daran, dass ich in der Nähe wohne und dort häufiger unterwegs bin als in anderen Stadtteilen. 

Grundsätzlich freue ich mich immer wieder,  wenn neue Räume für Kultur und Subkultur in der Stadt entstehen und erschlossen werden. Auch wenn viele dieser Orte nur temporär bestehen sollen, sind sie eine echte Bereicherung. Gleichzeitig ärgert es mich, wenn alte, gewachsene Kneipen, Restaurants und Läden durch seelenlose Ketten oder austauschbare Trendlokale ersetzt werden. Viele dieser neuen Lokale gleichen sich, wirken kalt und ungemütlich und tragen so zum Verlust der Vielfalt bei.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem DISTANZ Verlag?

Ich habe mich mit dem Projekt initiativ beim Verlag beworben. Dabei hat mir die Gestalterin Jenna Gesse entscheidend geholfen, die Inhalte professionell und gestalterisch hochwertig aufzubereiten.

Die Bilder zeigen sehr wenige Personen: Was steckt hinter dieser künstlerischen Entscheidung?

Die Entscheidung, nur wenige Personen in meinen Bildern zu zeigen, hat verschiedene Gründe. Vordergründig habe ich jedoch irgendwann festgestellt, dass klassische „Street Photography“ nicht das Genre ist, das mich besonders fasziniert oder dem ich mich langfristig widmen möchte.

In meinen Bildkompositionen lege ich mehr Wert auf Formen und Farben als auf menschliche Ausdrucksformen. Natürlich fotografiere ich auch gerne Menschen, wenn sich die Gelegenheit bietet, aber es gibt andere Fotograf*innen, die das einfach besser können als ich.

Gibt es Orte und Themen – in München oder außerhalb – die dich für die Zukunft besonders interessieren?

Als ich frisch nach München gezogen bin, habe ich mir vorgenommen, jeden Stadtteil einmal zu besuchen. Das habe ich bisher noch nicht geschafft.  

Aktuell gibt es keine konkreten Orte oder Themen, die mich besonders interessieren. Am liebsten streife ich intuitiv durch die Stadt und lasse mich treiben. Der Rest ergibt sich dann von selbst – oder eben nicht. Manche Faktoren kann ich ohnehin nicht beeinflussen.

Hast du einen Tipp für alle, die sich auch in der dokumentarischen oder künstlerischen Fotografie versuchen wollen?

Der wichtigste Tipp: Fangt einfach an und fotografiert so viel wie möglich! Setzt euch mit euren Bildern auseinander, experimentiert und lernt daraus. Und sucht den Austausch – ehrliches Feedback von Anderen ist unglaublich wertvoll und hilfreich.

„München Streifzüge“ ist im DISTANZ Verlag erschienen (22 EUR). Die Bilder im Beitrag stammen daraus (© Tobias Meier).