Sprayaktion in der Negerhalle
Aktuell, Kultur

München in den 80ern: Bernhard Springer über eine Stadt im Siff

Marco Eisenack

Von wegen Bussi-Bussi: In den 1980er-Jahren war München mehr als der schicke Kir Royal-Kosmos, dem sich Helmut Dietl so gerne in seinen Filmen widmete. An der Isar wucherte ein Dschungel bunter Subkulturen in dem sich nicht nur Paradiesvögel wie Freddy Mercury gern ein Nest bauten. Unter anderem die Kunstakademie zog eine politisch meist rot gefärbte Avantgarde aus ganz Deutschland ins tiefschwarze Bayernland der Strauß-Ära.

Vielfach vergessen: Die umtriebige Münchner Punkszene. Mittendrin: Bernhard Springer, Künstler, Filmemacher und Pionier der Fanzine-Kultur. Sein selbstgeklebte Schnippel-Heft “plastic indianer”, das er gemeinsam mit Wolfgang L. Diller herausgab, wurde zum Medien-Symbol einer Szene, die gegen den Mainstream rebellierte. Mit scharfen Texten, provokanten Bildern und einer unnachahmlichen Mischung aus Punk, Kunst und Politik dokumentierten die 19 Ausgeben des Fanzines das pulsierende Leben der Münchner Underground-Szene.

Das Cover der ersten Ausgabe des Fanzines plastic indianer.
Das Cover der ersten Ausgabe des Fanzines plastic indianer.

“plastic indianer”: Mehr als nur ein Fanzine

“plastic indianer” war nicht nur ein Fanzine, es war ein Manifest. Es bot eine Plattform für Künstler, Musiker und Schriftsteller, die sich abseits der etablierten Kultur bewegten. Springer und Diller nutzten es, um die vielfältigen Facetten der Münchner Subkultur zu porträtieren – von Punkkonzerten in besetzten Häusern bis hin zu politischen Protesten. Das Fanzine wurde zum Sprachrohr einer Bewegung, die für Selbstbestimmung, Solidarität und basisdemokratische Strukturen kämpfte.

Bernhard Springer ist nicht nur durch “plastic indianer” bekannt geworden. Als freischaffender Künstler in den Bereichen Malerei, Film, Video und Skulptur hat er ein umfangreiches Werk geschaffen. Er war Gründungsmitglied der Künstlergruppe “frisch gestrichen” und der Produzentengalerie “Galerie U5” im Münchner Westend. Seine Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt, und er hat mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter den Prix du Conseil de L’Europe für das Künstlervideo “Plastic Indianer No 15”.

Bernhard Springer 1983
Bernhard Springer 1983

Münchens Punk der 80er: Zeit für ein Symposium

Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums von DANCE ENERGY, einem Kollektiv von Choreograph:innen und Tänzer:innen, das 1985 in München gegründet wurde, findet im Lenbachhaus, TanzTendenz und monopol Kino das Symposium “A Less Stable Universe” statt. Bernhard Springer wird dort sozusagen in der Rolle als teilnehmender Beobachter der sogenannten 1978er-Generation über subversive Kunst und alternative Lebenskonzepte sprechen. Das Symposium bietet eine Plattform für Gespräche, Vorträge und Ausstellungen, die sich mit der Münchner Kunst- und Tanzszene der 1980er Jahre auseinandersetzen.

Wer durch das Programm des Symposiums stöbert, staunt, was schon damals alles möglich war bzw. was damals alles noch möglich war. Und wie sehr sich München verändert hat. Wir haben Bernhard Springer an einem Samstagnachmittag spontan angerufen und wollten von ihm wissen, wie München damals wirklich war. Erfahren haben wir unter anderem, dass man zum Feiern oft mal raus, statt reingefahren ist. Zum Beispiel in eine von einem Kollektiv verwaltete Gaststätte in Ampermoching.

Bernhard Springer heute, Foto: Miroslaw-Sadecki-Trampler
Bernhard Springer heute, Foto: Miroslaw-Sadecki-Trampler

MUCBOOK: Bernhard, du warst in den 80er Jahren in der Münchner Punkszene unterwegs. Wie hat das damals angefangen?

Bernhard Springer: Alles begann mit der Alabama-Halle. Dort fanden damals die besten Punk-Konzerte statt, mit Bands wie den Dead Kennedys, Exploited oder Peter & The test tube babies und lokalen Helden wie The schrott. The schrott konnten damals nur zwei Stücke spielen, aber das Publikum wollte immer mehr Zugaben. Also spielten sie die zwei Stücke immer wieder. Das war typisch für die Szene – das Lokale zählte mehr als das Internationale. Die Exploited standen hinten und waren sauer, weil sie nicht loslegen konnten.

Das klingt nach einer Zeit voller Freiräume. Was war das Besondere an dieser „Hallenkultur“?

Die Hallenkultur war damals ein Synonym für Freiräume. Wenn ein Ort dichtmachte, ist man einfach weitergezogen. Es gab immer wieder neue Möglichkeiten – Theaterfabrik, Kunstpark Ost, später die Domagk-Ateliers. Das war ein riesiges Gelände, elf Atelierhäuser, ein absoluter Freiraum. Niemand hätte gedacht, dass so etwas in München möglich ist – das wirkte eher wie Berlin.

Und wie habt ihr euch als Künstlergruppe formiert?

Ende der 70er Jahre haben wir uns als Künstler zusammengeschlossen, die realistisch gemalt haben. Das war damals überhaupt nicht angesagt. Wir waren wie eine Art Selbsthilfegruppe. Wir hatten unsere Produzentengalerie im Westend und haben überall in der Stadt ausgestellt, wo es ging – in Hallen, besetzten Häusern, sogar in einem Puff. Und in einem Pissoir in der Bergmannstraße, Ecke Anglerstraße. Wir haben sonntags mittags mit Schampus ausgestellt, bis die Polizei kam. Das gibt es sogar auf YouTube zu sehen. Wir haben auch in einem Puff ausgestellt, im Salambo. Viele Musiker und Künstler konnten damals nicht von ihrer Kunst leben und fuhren Taxi. Als Taxifahrer hatten sie dann Verbindungen zu solchen Orten, weil sie Provision bekommen haben, wenn sie Kundschaft gebracht haben.

Wie kam es zur Gründung des Fanzines “plastic indianer”?

Wir hatten unsere Künstlergruppe “frisch gestrichen” und später “Neue Heimat”. Da kamen dann auch andere dazu, wie Peter Becker (1958-2021), der in München als einer der ersten VJ bekannt ist, und Gerhard Prokop, ein beinharter Fotorealist. Wir haben unsere Galerie im Westend gehabt und dort Videokunst gemacht. Das hat die Leute damals sehr interessiert. Unser Fanzine “plastic indianer” war eine Reaktion auf die Punk-Szene und die neuen Medien. Es war als Gegenöffentlichkeit gedacht, aber auch als Informationsquelle. .

Wie habt ihr das Fanzine verbreitet?

Wir haben nur eine geringe Auflage gemacht, in einem der ersten Copy-Läden in der Kaulbachstraße. Der Witz war, dass man beim Kopieren die Fans und vor allem auch die anderen Fanzine-Macher getroffen hat. Es war so gedacht, dass die Leute es selbst weiterkopieren. Heute würde man das Reichweite nennen. Und natürlich haben wir das Fanzine in Ampermoching verkauft. Das haben die anderen auch gemacht, Lorenz Lorenz mit Die Einsamkeit des Amokläufers, Upstart, FSK, Zusatzzahl, Zloff oder Freizeit81.

Wieso in Ampermoching?

Es gab für Punk damals in München nicht so viele Abspielstätten. In Ampermoching haben ein paar Hippies den Gasthof zur Post übernommen, da ging immer der Punk ab. Da waren die ganzen Punk-Konzerte. Da sind legendäre Sachen abgegangen.

Also eine Art Blog nur auf Papier?

Ja, absolut: Das war Gegenöffentlichkeit, lange vor dem Internet. Wir wollten Informationen verbreiten, die es im Radio oder in den Mainstream-Medien nicht gab. Das war alles sehr DIY: Kopierer, Schere, Kleber – und natürlich viele Urheberrechtsverletzungen (lacht). Es gab keine Zensur, keine Ausgewogenheit. In gewisser Weise waren wir Social-Media-Vorläufer: Jeder konnte mitmachen, alles wurde weiterkopiert.

Ihr habt auch viel mit Videokunst experimentiert.

Ja, wir haben früh mit neuen Medien gearbeitet. Das war damals etwas Besonderes. Wir waren sozusagen mit unserer Produzentengalerie U5 Wegbereiter für diese Kunstform. Außer uns gab es nur noch die B.O.A., die waren allerdings schon früher dran. Damals galt Video bspw. an der Akademie noch nicht als Kunst. Wir haben das einfach gemacht und irgendwann wurde es selbstverständlich.

Wie siehst du die heutige Subkultur in München im Vergleich zu den 80er Jahren?

Damals hatten wir den Impetus, einfach weiterzuziehen, wenn die Zivilisation einen einholt. Heute gibt es diese freien Flächen einfach nicht mehr. Das ist ein Problem in München. Die freie Prärie ist nicht mehr zu finden. Damals gab es diese Alternativbewegung, die nach anderen Lebensformen suchte. Das war aber auch eine Absetzbewegung gegenüber den 68ern. Wir waren die 78er und hatten keine Lust mehr auf diese ewigen Diskussionen, wie die Revolution richtig zu Ende zu bringen ist.

Weihnachtsausstellung des Künsterlkollektivs "frisch gestrichen" in der Galerie U5 aka Werkstatt 1982 im Westend in der Bergmannstraße.
Weihnachtsausstellung des Künsterlkollektivs "frisch gestrichen" in der Galerie U5 aka Werkstatt 1982 im Westend in der Bergmannstraße.

Was habt ihr anders gemacht?

Wir waren die 78er – pragmatisch, solidarisch, wir haben gemacht statt nur diskutiert. Wir wohnten damals in einem Haus in der Bergmannstraße. Das bestand aus lauter WGs und nur zwei Ausländerwohnungen. In der WG unter dem Dach wohnten Mitgliedern vom Blatt und von Embryo. Das war ein anderes Miteinander. Im Westend haben wir zum Beispiel Münchens ersten Kinderladen Rumpelpilz gegründet,

Was vermisst du am meisten aus den 80er Jahren?

Ich habe es nicht so mit dem “früher war alles besser”. Ich bin in den 60er und Ende der 50er Jahre aufgewachsen und ehrlich gesagt, wenn ich diese Rückwärtsbewegungen sehe, dann muss man sich daran erinnern: das waren wirklich keine goldenen Zeiten. Wenn ich alleine daran denke, wie man in der Erziehung damals noch verprügelt wurde.

Was waren die prägendsten Orte der Münchner Subkultur in den 80er Jahren?

Es gab viele wichtige Orte. Die Alabama-Halle war einer der ersten. Dann gab es die Theaterfabrik, das Nachtcafé, das Frauenhofer beim Werkstattkino und natürlich Ampermoching oder die damaligen Szene-Kneipen. Viele dieser Orte gibt es heute nicht mehr, aber einige haben sich bewahrt, wie das Werkstattkino oder das Optimal.

Du hast in einem Interview mal ein schönes Goethe-Zitat angeführt: “Wenn du das nicht hast, dieses Stirb und Werde, bist du ein armseliger Gast auf dieser Erde” Wolltest du damit sagen, dass du kein Problem mit dem Verschwinden von subkulturellen Orten hast?

Ja und nein. Früher war es normal, dass man weiterzog, wenn ein Ort wegfiel. Aber heute gibt es diese Flächen einfach nicht mehr. Die freie Prärie ist nicht mehr zu finden. Gerade für Künstlerinnen und Künstler ist das ein Problem – viele können sich die Stadt nicht mehr leisten und wandern ab, nach Leipzig, nach Chemnitz, oft sogar noch nach Berlin.

Ist Subkultur heute in München weniger möglich als damals?

Auf jeden Fall. Es fehlt an günstigen Ateliers, an Orten für Experimente. Die Stadt ist dichter, teurer, und das macht es schwer für Subkultur.

Legendäre Hallenkultur: Dort, wo heute das Goethe-Institut steht, machte das Tanztheater Neger ein altes Backsteinbebäude zu einem deutschlandweit beachteten Vorreiter der so genannten Hallenkultur.
Legendäre Hallenkultur: Dort, wo heute das Goethe-Institut steht, machte das Tanztheater Neger ein altes Backsteinbebäude zu einem deutschlandweit beachteten Vorreiter der so genannten Hallenkultur.
Weihnachtskarte von Bernhard Springer mit dem Motiv der Alabamahalle, die 1988 dem Abriss geweiht ist.
Weihnachtskarte von Bernhard Springer mit dem Motiv der Alabamahalle, die 1988 dem Abriss geweiht ist.

Bernhard Springer: don‘t cry – work

plastic-indianer spricht über Alternativkultur der 1980er in München

Tanztendenz München e.V, Lindwurmstraße 88, 5. Stock

Samstag, 26.07.2025
17:00 Uhr – 18:00 Uhr

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