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Was passiert, wenn ein Kollektiv von Künstler:innen nicht nur Räume bespielt, sondern sie sich aneignet – radikal, solidarisch und mit 100 Sprayern aus der Szene? Haus2 im Münchner Kreativquartier ist vieles: gelebte Utopie, Statement gegen die Verwertungslogik einer Stadt, ein Ort für Gemeinschaft, Gestaltung und Selbstwerdung.
Im Interview erzählt Fabian Gatermann, warum man sich bewusst nicht als Atelierhaus versteht, wie aus Graffiti ein politisches Bekenntnis wird – und was passiert, wenn eine Verwaltung plötzlich Mut zeigt. Eine Geschichte über Fassaden, die mehr erzählen, als man auf den ersten Blick sieht.
Was genau ist das Haus2 – ist es ein Atelierhaus, eine politische Utopie oder ein bayerischer Anlaufpunkt für kollaborative Selbstverwirklichung?
Wir sind unterschiedlicher, als es sich vermuten lässt. Das Haus2 besteht aus Künstler:innen unterschiedlicher Disziplinen, die vorwiegend in der bildenden und darstellenden Kunst, Musik, Text, Design, Illustration und der kulturellen Bildung in sich überschneidenden Bereichen arbeiten. Wir haben als Hausgemeinschaft einen gemeinnützigen Verein gegründet und uns vor drei Jahren von der Kreativwirtschaft München emanzipiert. Diese hatte bis dato die Belegung des Hauses weniger mit kuratorischen Kompetenzen als mit wirtschaftlichen Zuordnungen organisiert. Aber darauf haben Kreative ja eigentlich keinen Bock – sich von einer Verwaltungskampagne in irgendwelche Teilmärkte stecken zu lassen, während gleichzeitig das zuständige Betreuungsreferat die Mieten durch die Decke gehen lässt. Und da haben wir hier in München wirklich Luft nach oben, für Zwischennutzungen beispielsweise schafft es die Stadt Hamburg Mieten von 1,50/qm für Kreative zu realisieren. Die meisten Künstler:innen im Haus2, finden neue interdisziplinäre Lösungen oder schaffen sich selbst Nischen.
Wir versuchen den Begriff Atelierhaus zu vermeiden, weil er in der Stadt immer nur als temporär geförderter Raum verstanden wird, der meist auf fünf Jahre beschränkt ist. Wir fördern und moderieren im Haus Kollaboration zwischen den Künstler:innen durch offenes Miteinander und Verständnis füreinander. Das ist mehr Arbeit, aber auch mehr Gewinn. Wir vertiefen uns in unsere Projekte, aber wir sind vor allem Künstler:innen, die voneinander lernen und persönlich wachsen wollen.
Klar, wir postulieren hier erstmal eine Utopie, aber wir sind schon auf einem guten Weg, das auch real auf den Boden die Straße zu bekommen. Wenn wir hier auch noch vernünftige Mieten und das offizielle Mandat der Stadt mit der Rückanmietung hätten, könnten wir auf noch mehr kollaboratives Engagement zurückgreifen. Dann hätten wir Mieten im Haus2 auf der Höhe eines städtischen Atelierhauses, konkret wären das warm unter 10.-/qm. Dazu muss sich die Stadt bewusst für unser kollaboratives Konzept entscheiden und Entscheidungsmacht abgeben und teilen. Wir machen die Organisation effektiver, günstiger, nachhaltiger und kompetenter und übernehmen ja damit diese bisher nicht gut laufenden Verwaltungsaufgaben. Wir haben für unser Haus2 einen offiziellen Stadtratsantrag der Mehrheitsfraktionen seit 2022. Dieser wurde interessanterweise nur immer noch nicht beantwortet oder bearbeitet. So leben wir mit der Möglichkeit, dass wir bei einer anderen Entscheidung hier innerhalb von 3 Monaten das Feld räumen müssen.
Dabei geht es in meinem Verständnis nicht so sehr um Selbstverwirklichung, sondern Selbstwerdung und die Frage, welche Voraussetzungen wir in einer sich stärker prekarisierenden Arbeitswelt für Künstler:innen brauchen.
Wie kam es eigentlich dazu, dass das Haus2 heute aussieht wie ein Tag-Battle zwischen Brooklyn und Neuperlach Mitte?
Es waren unterschiedliche Konzepte im Gespräch. Die Wände von Haus2 waren teilweise unten schon random besprüht, das hat aber niemanden interessiert. Das Ganze dann einfach bis unters Dach hochzuziehen, habe ich erstmal nur als stringente Idee empfunden. Aber da liegen ja viele Ebenen mit drinnen: wie die Aneignung von Raum, die Hinterfragung der eigenen Rolle als Künstler*innen zur Gentrifizierung und das eigene Empfinden von Schönheit.
Wir haben dann im Haus2 die Idee mit allen besprochen, Bedenken ausgeräumt und soziokratisch für die Umsetzung votiert. Glücklicherweise hatten wir mehrere gute Kontakte in die Szene, so dass wir auch die richtigen Writer:innen dafür begeistern konnten. Dann kommt die ganze Arbeit mit Anträgen, Finanzierung, Haftung, Versicherung, Vorleistung, Orga. Zum Glück ist es dann irgendwann soweit, dass wir es umsetzen können. Ich mag es sehr, Projekte wie offene Experimente zu konzeptionieren, bei denen das Ergebnis zu einem Stück nicht abzusehen ist. Aber Graffiti ist ja mega anschlussfähig. Auf der Fassade werden die Tags vom “ich” zum “Wir” und wir haben auch einige Arbeiten aus anderen Gewerken wie Licht, Neon, Spiegelarbeiten sowie Keramik auf der Fassade. Ich kann mir gut vorstellen, dass man das auch weiter überschreibt.
Was sagt man eigentlich der Stadtverwaltung, wenn plötzlich 800 Sprühdosen leer sind und das eigene Atelierhaus aussieht wie ein Protestbekenntnis auf LSD?
LSD wird ja mittlerweile auch als Therapie gegen Angststörung verwendet, vielleicht ändert sich da die Sicht im Laufe der Zeit auch auf unser Haus2…Im Ernst:
Fairerweise muss ich dazusagen, dass Stadtverwaltung nicht gleich Stadtverwaltung ist. Ich würde mal ein paar Linien ziehen: Anfangs dachten wir, dass wir das Projekt nie umsetzen können, so ein Gerüst ist einfach richtig teuer. Aber im Verlauf der Antragsstellung war da plötzlich ganz viel Verständnis für das Projekt und letzten Endes haben das Kulturreferat und die Bezirksausschüsse mit großem Engagement mitfinanziert. Weil wir Künstler:innen ja gerne meckern, dass der Verwaltung der Mut fehlt. Das tut er mit Sicherheit an vielen Stellen. Aber ganz bestimmt nicht immer. Ich kann also nur mit dazu aufrufen, noch mutigere Projekte einzureichen, die relevante Fragen stellen.
Die Münchner Gewerbehöfe als Eigentümerin hätte sich sicherlich mehr was Hübsches in Richtung Street Art gewünscht. Ich durfte mir dann schon subjektive Meinungen anhören, welche Sachen wie hässlich sind. Meine Frage war immer: Wann reden wir über eine Absenkung des Mietpreises, wenn Sachen hässlich sind? Ich denke anhand solcher Gespräche wird deutlich, dass die Fassade hier als Diskussionsgrundlage gut funktioniert.

©Fabian Gatermann
Haus2 ist jetzt eine der auffälligsten Fassaden Münchens. Was war zuerst da: die Idee zum Haus als Leinwand oder der Frust über Gentrifizierung?
Ich glaube, das sind beides Erzählungen, die sich in der Fassade gut übereinanderlegen lassen, ohne dass sie sich gegenseitig beeinträchtigen, Gentrifizierung betrifft ja in München fast alle Menschen, da wird man hier ja schon fast mit geboren.
War das eine Kunstaktion oder ein Statement gegen die Aufwertung des Viertels?
Das Gelände und das Haus2 stehen unter viel (politischem) Dampf, ich denke, man kann die Fassade gar nicht anders als politisch lesen. Will sich die reiche Stadt München Subkultur noch leisten, oder ist´s schon wurscht?
Der Begriff Subkultur ist sicherlich schon problematisch, als wären wir unter der Hochkultur oder als gäbe es keinen Schnittstellen dazwischen. Ein Teil der Wahrheit ist ja auch, dass wir Künstler*innen mit unserer Arbeit ja schon oft Teil der Aufwertungsspirale sind, ohne dass es uns wirklich bewusst ist. Mit dem Projekt können wir auch unsere eigene Rolle hinterfragen.
Gab es eigentlich einen Moment in diesen sechs Tagen, wo jemand aus dem Kollektiv gesagt hat: “Wollt’s ihr uns narrisch machen?”
Die sechs Tage waren für uns alle eine unglaublich intensive Erfahrung. Ich bin überrascht vor allem von der kollaborativen Gestaltungskraft der Graffitiszene. Wir haben die Fassade zum Kreativlabor Open mit einem Schauspieler (Lucas Rüppel) eröffnet, der einen Eröffnungsrede von Tuncay Acar vorgetragen hat. Der Inhalt wollte den Leuten weismachen, dass wir das Haus2 sofort unter Denkmalschutz stellen und konsequent das wirtschaftliche Potential von Graffiti Tags in München durch eine Task Force ausschöpfen. Da kamen zum Glück schon etwas irritierte Rückmeldungen.
Warum habt ihr euch ganz bewusst auch an die “illegale Szene” gewandt – und was unterscheidet einen Writer von einem Künstler mit Galerievertrag?
Es macht aus meinem Verständnis immer Sinn, Künstler:innen eine Bühne zu geben, die keine haben. Writer:innen nehmen sich ihre Bühne, das ist schon eine Geste, die mich bei allen Formatierungen stark beeindruckt. In der Galerie bekommst du als Künstler:in deinen Platz angewiesen. Man könnte sich beeinflusst sehen, sich mehr an den marktwirtschaftlichen Kriterien und Codes des Kunstmartkes zu orientieren. Allerdings kann man Kunstwerke auch multidimensionaler anlegen. Ich will das gar nicht gegeneinander ausspielen, es ist schön, dass es beides gibt. Es gibt zum Glück viele Künstler:innen, die diese Linie in beide Richtungen übertreten – so wie beispielsweise Veli Silver aus Zürich, der auch bei uns auf der Fassade war.
Was ist für dich der Unterschied zwischen einem Graffito und einem Kunstwerk – außer dass man das eine meist mit Handschuhen sprayt?
Ich lese auf der einen Seite vor allem die Frage, wem die Stadt gehört und ein aktivistisches Potential. Ob Graffiti Kunst ist, diskutieren ja wirklich nur noch relativ kunstfremde Menschen. Die Frage ist für mich eher, an welcher Stelle welche Form von Kunst Sinn macht. Da habe ich wirklich größten Respekt vor Künstler:innen, die Wände malen, vor allem in München. Und ich finde die Writer:innen haben schon gute Expertise im kollaborativen Arbeiten, von denen wir hier lernen konnten.
In einer Stadt, in der es so wenige bezahlbare Ateliers gibt: Was bedeutet Selbstverwaltung für Euch konkret?
In erster Linie Mitbestimmung und Entscheidungen zusammen treffen. Im Haus2 machen wir das mit flachen Hierarchien und Soziokratie. Dafür brauchen wir das Engagement der Leute und ein Mindset, das gestalten will. Wir wollen auf Augenhöhe mit der Verwaltung reden. Wir im Haus2 entscheiden mittlerweile gemeinsam, wer in unser Haus passt und was die Gemeinschaft erweitert. Dafür brauchen wir Bedingungen, die uns nicht nach 5 Jahren das Rückrad brechen oder die Miete ins Unbezahlbare steigen lässt. Im Haus 2 gelten gerade bis zu 22.- den qm als “preisgedämpfte” Fläche, das ist schon sehr viel für Künstler:innen.
Was passiert deiner Meinung nach mit einem Ort wie dem Kreativquartier, wenn drumherum Start-ups, Strafjustizzentrum und Neubauten wachsen? Was spürt man jetzt schon?
Das fühlt sich schon viel beengter an. Es gibt Pläne vor allem aus der Kreativwirtschaft die “prekären Künstler:innen” durch Start-Ups zu ersetzen. Das macht mir Angst, dass das in der Verwaltung tatsächlich oft so vollkommen unkritisch gesehen wird, dass wir so unser eigenes kulturelles Kapital ausrotten. Die Nachverdichtung ist für einige Projekte wie das Import Export sogar existenzbedrohlich. Wenn da Wohnungen mit 4 Meter Abstand an ein soziokulturelles Venue rangeklotzt werden, dann hat wohl irgendwo die Planung nicht gut ineinandergegriffen. Wenn man die Betroffenen vorab nicht einbindet, müssen die das dann hinterher alleine ausbaden.
Gleichzeitig wird gerade allen vor Augen geführt, worum es hier auf dem Gelände letztendlich geht. Das Kreativlabor als kultureller Teil des Kreativquartiers ist der künstlerische Nucleus und ein wahnsinnig wichtiger (dritter) Raum für München. Ich hoffe, dass das Kulturreferat hier seiner Verantwortung gerecht wird und eine nachhaltige Lösung mit fairen Mieten und einer Selbstorganisation auf dem Gelände mitträgt. Wir haben ja einerseits knappe Kassen in der Stadt, andererseits geben wir knapp 10 Millionen an einen privaten Tennisklub oder ballern in die 2. Stammstrecke rein. Das kann man oft auf dem Gelände gar nicht mehr vermitteln.
Ich denke aber, dass sich gerade hier soviel angesammelt hat, weil hier dieser Nucleus für die Stadt eine ganz wichtige Rolle einnimmt. Die ganze Nachbarschaft profitiert hier unglaublich davon, leider lässt es sich oft nicht so gut in Excel Sheets quantifizieren, welche Erfolge die ganzen Projekte auf dem Gelände in der Stadt feiern. Aber Räume, in denen Theater, Musik, Kunst, junge Menschen und künstlerische Experimente stattfinden, braucht die Stadt ja fast mehr als alles andere. Sonst ersticken wir hier in München doch an unserer eigenen Sättigung.
Titelfoto: Haus2 ©Fabian Gatermann