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„Improvisation ist wie ein musikalisches Kennenlernen“ – Studiobesuch bei Drummer und Produzent Simon Popp

2025 war er für den Deutschen Jazzpreis nominiert. Und auch sonst läuft jede Menge beim Münchner Musiker und Komponisten Simon Popp. Für sein neustes Album trafen sich drei Schlagzeuger im Studio – bei seinem Live-Projekt „Percussive Maintenance“ am 05.11. setzt er ganz auf Improvisation.

Wenn man Simon Popp in seinem Studio im ersten Stock des alten Gasteigs besucht, fällt sofort auf, dass hier kein klassischer Proberaum auf einen wartet. Helles Tageslicht, aufgeräumt ist es, in den Regalen Instrumente aus aller Welt – Schlagzeuge, Trommeln, Becken, Percussions, ein großer Gong und ein Meer aus Kabeln. Daneben Instrumente, die so speziell aussehen, dass man als Otto Normalo wohl noch nie von ihnen gehört hat. Und Studioequipment natürlich.

„Das ist mein Arbeitsraum“, sagt Popp. „Hier nehme ich auf – für eigene Projekte wie für andere Musiker. Und ich komponiere auch für Theater oder Auftragsarbeiten.“

Bevor der Betrieb des Gasteigs umzog, wurden hier die Bratschen der Orchester vor den Auftritten gestimmt. Deshalb ist der Raum schalldicht. „Gut für mich, aber auch für alle anderen“, sagt Popp schmunzelnd. Sonst landeten Schlagzeuger oft im Keller, weil sie so laut sind. Er ist glücklich über seine lichtdurchfluteten 40 Quadratmeter hier.

Von der Schülerband in die Münchner Szene

Popp wuchs in der Nähe von Aichach bei Schrobenhausen auf, begann mit neun Jahren zu trommeln – inspiriert vom Onkel, der selbst Drummer war. Schon früh bewegt er sich zwischen lautstarken Bandformationen, die er mit Freunden gründet, und Orchesterprojekten aus der Musikschule. Bei ersteren kann er intuitiver agieren, im Ensemble sitzt er vor dem klassischen Notenblatt. „Ich fand beides spannend, im Orchester spielt man ganz anders als in einer Band“, sagt er.

Später studierte Popp Jazzschlagzeug und zog dafür nach München. Heute ist er Teil der Münchner Musikszene und recht umtriebig. Er veröffentlicht auf dem Münchner Label Squama Records, spielt in Projekten wie Fazer oder 9ms und ist auch solo aktiv. Bei Squama war er von Anfang an dabei, mittlerweile sind es 18 Veröffentlichungen in verschiedenen Konstellationen auf dem Label.

Musikalisch bewegt er sich an den Schnittstellen von Jazz, Ambient und elektronischer Musik. Je nach Projekt in einer etwas anderen Ausrichtung. Mit der international bekannten Münchner Techno-Künstlerin Polygonia aus dem Blitz-Umfeld brachte er zuletzt ein Album namens „Candid“ heraus.

„Percussive Maintenance“: Improvisation mit immer neuen Gästen

So viel zu dem, was nachhörbar ist. Aber auch das Flüchtige hat es ihm angetan. Sein Herzensprojekt auf der Bühne ist die Reihe „Percussive Maintenance“, die seit 2022 läuft. „Die Idee kam mir, weil ich Improvisation liebe – dieses im Moment Musik erschaffen, ohne zu wissen, wohin es geht.”

Für jede Ausgabe stellt er eine neue Kollaboration auf die Beine. „Ich möchte interessante Besetzungen ausprobieren“, sagt Popp. Oft mit ungewöhnlichen Instrumentenkombinationen: Saxophon, Harfe und Schlagzeug oder Sousaphon und Drums. Auch das Publikum “wird ein Teil davon, wenn man große Bögen entstehen lässt.“

Marja Burchard von Embryo war schon zu Gast für eine der ersten Ausgaben. Später auch Micha Acher von The Notwist, Ralph Heidel, Beni Brachtel oder JJ Whitefield, um einige zu nennen. Für die kommende Ausgabe am 5. November hat er sich Stenny, bekannt als Resident-DJ aus dem Blitz-Club, eingeladen. Dann werden wohl auch Synthesizer, Effektgeräte und Laptop mit eingepackt.

Stenny ist in Turin geboren und aufgewachsen, hat sich in den letzten zehn Jahren als Produzent und DJ aus München heraus einen Namen gemacht. Er ist eines der Aushängeschilder des Münchner Labels Ilian Tape. „Ich kenne ihn und seine Musik schon lange“, so Popp. „Er hat damals einen Remix von einem Stück von mir gemacht – so kam der Kontakt zustande.“

Als wäre Improvisieren an sich nicht genug der Unwägbarkeit, gibt es aber noch einen Clou bei der Sache: „Wir werden vorher nicht proben. Das Kennenlernen passiert live auf der Bühne. Unsere beiden Welten werden sich irgendwo in der Mitte treffen.“

„Räumlichkeiten sind immer die große Frage“

Seit 2009 lebt Popp in München. Durch sein Studium an der Hochschule für Musik und Theater konnte er hier Kontakte knüpfen, war schnell Teil einer aktiven Szene. „Es gibt hier unglaublich viele Leute, die etwas schaffen wollen“, sagt er. Er wundere sich selbst immer wieder, wie viele spannende Sachen er noch kennenlernt. Doch ein Problem gibt es: „Es gibt viele Clubs und Live-Angebote, aber Räumlichkeiten sind immer die große Frage.“

Die Zwischennutzung im alten Gasteig sieht er deshalb als Glücksfall: „Das ist schon einmalig, dass die Subkultur so gebündelt an einem Ort ist und so viel Austausch stattfindet.“ Die Jahre davor war die Suche nach Probe- und Studioräumen oder Ateliers für viele, die jetzt hier sind, immer das große Fragezeichen gewesen.

Neben der Bezahlbarkeit der Räume liegt für ihn ein Vorteil auf der Hand: „Die Wege sind viel kürzer, wenn man zusammen in einem Haus ist. Man läuft sich über den Weg und lernt neue Leute kennen – die Hürde, mal eine Aufnahmesession auszumachen ist viel geringer. Es ist ein guter Vibe.“

Treuer Begleiter im Studio ist meist auch ein Vierbeiner: sein Hund Mina. Beim Treffen zeigt die sich von ihrer ruhigen Seite – aber bei Raschelsounds im Studio, wird sie hellwach, erzählt Popp lachend. Klar, klingt schließlich, als würde jemand eine Tüte Trockenfutter anschleppen.

Drei Schlagzeuger, ein Klangkörper

Neben seinen Impro-Sessions arbeitet Popp weiter an eigenen Releases. Zuletzt setzte er sich zusammen mit Florian Mück und Sebastian Wolfgruber an drei Schlagzeug-Sets für ein gemeinsames Album unter dem Titel „Trio“. „Klingt erstmal überfordernd, funktioniert aber wunderbar“, sagt Popp lachend. „Wir denken eher wie ein gemeinsames Instrument. Mit vielen Percussions, Woodpeck, Gongs, Synths und Röhrentönen.“

In dieser Formation treten sie im Dezember in den Münchner Kammerspielen im Werkraum auf. „München ist die Stadt der hochveranlagten Drummer*innen“, heißt es dazu im Veranstaltungstext der Kammerspiele. Nirgends werde „so fein getrommelt, gerührt und geschabt wie hier“. Gitarren fehlen bei dieser Veranstaltung im Klangbild. Popp gelobt aber, auch mit dem vorhandenen Instrumentarium Melodien und Harmonien zu erzeugen. Ein Drumbattle muss niemand fürchten.

Die nächsten Termine

 

Wer offen ist für Experimente, sollte vorbeischauen – oder einfach reinhören. Wie Popp sagt: „Improvisation ist wie ein musikalisches Kennenlernen – für die Musiker genauso wie fürs Publikum.“

Bilder: © Florian Kraus