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Alles über Autos: Warum tut ihr das?

Marco Eisenack

Ein junges Theaterkollektiv nimmt das Auto unter die Lupe und entdeckt dabei weit mehr als nur Blech und Benzin.
Was bedeutet das Auto heute: Statussymbol, Klimakiller oder letzte Bastion der Freiheit? Zwischen Familiengeschichte, Produktionsstraße und Verkehrschaos in München begeben sich die Theatermacher:innen die  am 21. und 28. Mai in den Kammerspielen auf eine performative Spurensuche.

Was sie dabei über Robotik, Roadmovies und gesellschaftliche Abhängigkeiten gelernt haben und warum ein Leben ohne Autos vielleicht nur mit den Öffis erreichbar ist, erzählen sie uns im Interview:

MUCBOOK: Wie habt ihr euch kennengelernt?

Drei von uns kennen sich durch ein Projekt für die Bayerischen Theatertage am Stadttheater Ingolstadt. Die anderen sind nach und nach dazu gekommen. Man lernt über die Jahre von Hospitanzen und Assistenzen viele Menschen kennen. Aber es ist selten und wertvoll, wenn man Leute trifft, die so auf einer Wellenlänge sind.

Beschreibt euer Kollektiv in 3 Sätzen!

Wir glauben an eine bessere Zukunft der Welt und der Arbeit. Wir haben Spaß am Absurden  und wollen gemeinschaftlich Theater machen, ohne Hierarchien. Wir haben uns noch immer nicht auf einen Kollektiv-Namen geeinigt.

Theater kann alles sein – warum gerade ein Stück über Autos?

Im Rahmen des Projekts ‘Volksstück 2.0’ bei den Bayerischen Theatertagen sollten wir eine Szene zu Ingolstadt entwickeln. Da Louisas Großeltern lange bei Audi am Fließband gearbeitet haben, hatten wir einen persönlichen Bezug und ein Interesse an einer näheren Beschäftigung mit dem Thema. Obwohl wir alle ursprünglich das Gefühl hatten, darüber hinaus nicht viele Bezugspunkte zu Autos zu haben, haben wir dadurch sehr schnell gemerkt, dass unsere Leben viel abhängiger vom Auto sind als wir dachten. Uns ist aufgefallen, dass sich an der Figur des Autos viele politisch und persönlich relevante Themen abarbeiten lassen. Wir können natürlich im Rahmen eines Stücks nicht alles über Autos erzählen, dafür aber zeigen, dass sich vom Auto ausgehend eine Geschichte über fast alles erzählen lässt.

Wenn „Alles über Autos“ ein Auto wäre – welches Modell wäre es? Und vor allem, welche Musik würde laufen?

Ein DeLorean DMC 12, der mit Plutoniumantrieb und Fluxkompensator nicht durch den Raum, sondern durch die Zeit fährt.

Once in a Lifetime – Talking Heads

Zwischen BMW und Radl-Hauptstadt: Welche Rolle spielt München in eurem Projekt?

Der Verkehr in München ist natürlich für die meisten von uns unser direktester Bezugspunkt zu dem Thema. Jeden Morgen ärgern wir uns über die Autos auf der Maximilianstraße, während wir versuchen, zum Proberaum auf der anderen Seite zu kommen.

Wir wollten aber kein Stück machen, dass sich auf eine bestimmte Stadt fokussiert. Unsere Herangehensweise ist mehr daran interessiert, persönliche Geschichten auf eine universelle Weise zu erzählen, als uns an konkreten lokalen Gegebenheiten abzuarbeiten. In unserer Recherche sind neben Erfahrungen aus Bayern auch Geschichten aus Italien oder China eingeflossen.

Ihr thematisiert die Träume von Industriearbeiter:innen und die Realitäten von Roboterarmen – habt ihr mit Menschen aus der Branche gesprochen? Was hat euch am meisten überrascht? 

Wir haben mit aktuellen und ehemaligen Angestellten der Auto-Industrie gesprochen und sind in diese Gespräche vielleicht ein bisschen naiv reingegangen. Wir waren sehr interessiert an dem Zusammenspiel von Mensch und Maschine und haben entsprechend gefragt, ob sie durch die Automatisierung ihre Arbeitsplätze bedroht sehen. De facto erleichtern die Roboter aber die Arbeit immens und es ist eher die Angst davor, dass die deutsche Industrie und Politik zu sehr an Verbrennern festhält und den Anschluss an den internationalen E-Auto-Markt verliert, die die Leute beschäftigt. 

Wie viel Auto steckt heute noch in unserer Vorstellung von Freiheit? Und wie viel davon ist Leasingvertrag?

Wir sind alle mit Roadmovies aufgewachsen und natürlich ist ein Transportmittel, das man individuell nutzen kann, mit dem man so gut wie überall hinkommt, befreiend. Es gibt aktuell keine Infrastruktur, die uns in ähnlich komfortabler Weise an abgelegene oder auch weniger abgelegene Orte bringen kann. Aber dass dieses System, in dem immer mehr produziert werden muss, uns in anders einengende Strukturen zwingt, gehört genauso zur Geschichte des Autos wie die Befreiung durch Anbindung.

Gibt es eine Szene in eurem Stück, bei der ihr jedes Mal denkt: ‘Verdammt, das trifft es genau.’:

Relativ zu Beginn des Stücks gibt es eine Stelle, in der zwei ältere Figuren auf ihr Leben blicken, den gesellschaftlichen Stand, den sie sich in der Automobilindustrie erarbeitet haben und die Situation der Enkelgeneration reflektieren, deren Lebensträume durch die Klimakrise geprägt sind. Diese Stelle fängt die Konflikte, die wir im Stück verhandeln, sehr gut ein.

Welchen Satz aus eurem Stück sollten wir auf dem T-Shirt tragen?

GEBAUT ZUM ARBEITEN, GEBOREN ZUM WARTEN.

Ohne Autos keine Roadmovies – wäre das nicht ein herber Verlust?

Für uns alle ist das Auto mit Nostalgie behaftet – ob aufgrund unserer eigenen Roadtrips oder derjenigen, die wir aus Filmen kennen. Allerdings würden wir sagen, dass es heutzutage ohnehin schwieriger geworden ist, das Autofahren auf diejenige Art zu romantisieren, wie es in Roadmovies passiert. Die Straßen werden immer voller und Autos sind eher ein Ausdruck von Status als von Freiheit. Ein Unterwegssein und Erleben von Abenteuern ist auch mit anderen Verkehrsmitteln möglich. Wir wären bereit für das neue Genre des Railmovies.

Wie geht ihr auf den Konflikt ein, dass da eine Industrie aktiv an der Weltzerstörung mitarbeitet – und gleichzeitig mit ihren Steuern und Löhnen unsere Stadt maßgeblich mitfinanziert?

Unsere Abhängigkeit von der Automobilbranche und der Konflikt, der entsteht, wenn wir uns trotz dieser Abhängigkeit für Klimaschutz entscheiden wollen, ist ein zentrales Thema unseres Stücks. Wir müssen Wege finden, mit unserer Abhängigkeit umzugehen, ohne Kompromisse für den Erhalt unserer Zukunft zu machen. Um herauszufinden, wie genau wir mit diesem Spannungsfeld umgehen, solltet ihr das Stück angucken 🙂

Was hat sich in den Köpfen der Menschen im besten Fall geändert, wenn sie euer Stück gesehen haben? 

Dass es nicht darum geht, Umweltschutz gegen Arbeitsplätze auszuspielen. Es gibt bereits Zukunftsvisionen, die von mutigen Arbeiter:innen in dieser Branche kommen und die sowohl die Bedingungen von Arbeit als auch die von Umweltschutz neu verhandeln. Das Collettivo di Fabbrica in der Nähe von Florenz ist ein gutes Beispiel dafür und war für uns eine große Inspirationsquelle.

Vervollständige den Satz: Ein Leben ohne Autos ist …

…nur mit den Öffis erreichbar.

Die Beitragsbilder wurden von den Münchner Kammerspielen zur Verfügung gestellt.

Titelbild: Germaine Nassal