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Bodenpolitik in Bayern: Der große Ausverkauf geht weiter – ein Debattenbeitrag
Das Land Bayern veräußert nach wie vor eigene Grundstücke an Höchstbietende. Zu welchen Problemen das führt und welche Lösungen Bezirksrätin Florina Vilgertshofer fordert, schreibt sie in diesem Gastbeitrag.
Vor 11 Jahren gelang es dem damaligen bayerischen Finanzminister, Markus Söder, durch den Verkauf von 33.000 bezahlbaren Wohnungen der staatlichen GBW, die Bayern LB zu retten. Der Preis dafür war ein wohnungspolitischer Skandal, der seinesgleichen sucht: Durch die Privatisierung von bezahlbaren Wohnungen wurden tausende Mieterinnen und Mieter in ganz Bayern und auch in München aus ihren angestammten Wohnungen verdrängt. Diese Wohnungen, verkauft für die Rettung einer Bank, waren nun den Mächten des Marktes ausgesetzt, also für Immobilienspekulation freigegeben.
Eine Steigerung von knapp 44%
Die Miet- und Bodenpreise in München, die schon damals, vor elf Jahren, zu den höchsten der Republik zählten, sind seitdem nicht gesunken. Im Gegenteil: 2015 betrug die durchschnittliche Netto-Kaltmiete in München 10,13 € pro Quadratmeter – heute, im Jahr 2024, sind es 14,59 €. Das ist eine Steigerung von knapp 44 % (Zahlen von Statista.com – basierend auf Daten des Münchner Mietspiegels). Selbst Familien mit gutem Einkommen suchen hier oft lange und verzweifelt nach einer bezahlbaren Wohnung und wer nicht schon vor zehn Jahren Mitglied in einer Genossenschaft wurde, ein gutes soziales Netz hat oder eine Wohnung erbt, hat es in der Isarmetropole wirklich schwer. Als bezahlbar gilt Wohnraum in einer allgemeinen Definition, wenn nicht mehr als 30% des Nettoeinkommens für die Miete draufgehen. Für viele Menschen in München ist das absolut utopisch.
Dabei ist das Recht auf eine angemessene Wohnung in der Verfassung des Freistaats Bayern verankert. Angemessen – heißt das nicht auch: bezahlbar? Eigentlich müsste sich der Freistaat, also die Bayerische Staatsregierung, dann doch darum kümmern, dass es besser wird, mit der Wohnungsnot in München – oder?
Das Zerwirk ist nur ein weiteres Beispiel für eine verfehlte Bodenpolitik
Das Gegenteil ist der Fall. Nach wie vor verkauft der Freistaat Bayern Grund und Boden, der für den Wohnungsbau oder generell im Sinne der Allgemeinheit genutzt werden kann, zum Höchstpreis. Ein Beispiel, das kürzlich für Empörung sorgte, ist der geplante Verkauf des Zerwirkgewölbes, das älteste nutzbare Gebäude in München, mitten in der Altstadt.
Wohlige Erinnerungen an durchtanzte Nächte im Nachtclub Crux oder an Pommes und eine Hoibe in der Spezlwirtschaft kommen einem beim Zerwirk vielleicht in den Sinn. Jetzt soll es höchstbietend abgegeben werden, die zukünftige Nutzung dieses Gebäudes mit jahrhundertelanger Geschichte spielt dabei wohl keine Rolle – jedenfalls hat sich die Bayerische Immobiliengesellschaft auf Nachfrage dazu nicht geäußert.
(Eine Petition zum Stopp des Verkaufs kann hier unterzeichnet werden.)
Das Problem sind die hohen Bodenpreise
Trotz seit Jahren steigender Preise in den Ballungsgebieten und explizit im Großraum München gibt es kein Zeichen für ein Wende in der Bodenpolitik, einem Stopp des Ausverkaufs, die den Schutz der Mieterinnen und Mieter in den Vordergrund stellen würde. Dabei würde es anders gehen, denn auch in Bayern wäre es möglich, die Bodenpolitik im Sinne der Allgemeinheit zu gestalten.
Denn: Wohnen – das ist die soziale Frage unserer Zeit. Zu erkennen, dass steigende Mieten auch mit steigenden Bodenpreisen zusammenhängen, ist kein Hexenwerk. Wer 2020 in München ein Haus bauen wollte, musste knapp 80 % der gesamten Baukosten für den Erwerb des Grundstücks einplanen. Das ist verdammt viel. Fragt man Genossenschaften oder gemeinwohlorientierte Wohnbauunternehmen, was notwendig wäre, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist die Antwort eindeutig: günstige Grundstücke. Denn wenn die Kosten für den Bau geringer sind, dann können es auch die Mieten sein. Der Bodenpreis ist mit 80 % ein entscheidender Faktor. Das Fazit: Damit Mieten nicht weiterhin steigen, dürfen Bodenpreise nicht unkontrolliert den Mechanismen des Marktes überlassen werden, dessen Ziel die Wertsteigerung ist. Schon 1967 urteilte das Bundesverfassungsgericht:
„Die Tatsache, daß der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern. “
Bundesverfassungsgericht (1967): Das Bundesverfassungsgericht zur Problematik von Eigentum an Grund und Boden in einer Entscheidung vom 12. Januar 1967 (Auszug). In: Knirsch, Hanspeter (Hg.) (1972): Bodenrecht. Berlin: De Gruyter. S. 85f.
Vergabe im Erbbau wäre oft besser!
Aber zurück zum Freistaat Bayern. Der Freistaat scheint nicht der beste Bauherr zu sein, denn oft ziehen sich staatliche Bauprojekte ewig hin, werden teurer als geplant, und und und. Doch es gibt ein Instrument, das den Boden nicht für alle Ewigkeit dem freien Markt übergibt und das Bauen dennoch Privaten überlässt: das Erbbaurecht. Mit der Vergabe in Erbpacht könnten die Grundstücke in den kommenden Jahren genutzt werden, würden aber nicht dem freien Markt übergeben. Eine zukunftsgewandte Bodenpolitik schließt eine solche Nutzung nicht von vornherein aus. In Bayern wird dieses Instrument bisher aber zu wenig genutzt, an der Tagesordnung sind nach wie vor die Verkäufe zum Höchstpreis.
Der Grund für die Verkaufslogik
Doch warum vergibt der Freistaat Grundstücke nicht an Genossenschaften oder gemeinnützige Wohnbauunternehmen, zu bestimmten Bedingungen und günstigeren Preisen? Wenn man zum Beispiel nach Österreich schaut, ins schöne Wien etwa, stellt man fest: ein Großteil der Wohnungen dort gehört entweder der Stadt oder Genossenschaften. Beide sind damit wichtige Akteure bei der Preisgestaltung der Mieten. Die Probleme rasant steigender Mieten und Immobilienspekulationen gibt es dort kaum.
Warum sich nicht hier ein Beispiel nehmen? Warum nicht möglichst viel Grund in den Ballungsräumen mit angespanntem Mietmarkt in die Hand von Akteuren geben, deren Ziel es ist bezahlbare Wohnungen zu schaffen und nicht die eigenen Profite zu steigern? Worin begründet sich der Verkauf an den oder die Meistbietenden?
Die Antwort auf diese Frage findet sich in der Haushaltsordnung des Freistaats:
In Art. 63 BayHO heißt es: „(3) Vermögensgegenstände dürfen nur zu ihrem vollen Wert veräußert werden.“ Und in Art. 81 der Bayerischen Verfassung steht: „Das Grundstockvermögen des Staates darf in seinem Wertbestand nur auf Grund eines Gesetzes verringert werden. Der Erlös aus der Veräußerung von Bestandteilen des Grundstockvermögens ist zu Neuerwerbungen für dieses Vermögen zu verwenden.“
Es gab da mal eine gute Idee…
Was heißt das? Das Grundstockvermögen des Freistaats, dazu gehören auch die Werte seiner Immobilien, darf also laut Gesetz nicht kleiner werden oder unter Marktwert veräußert werden. Außer ein Gesetz bestimmt Ausnahmen. Und so eines gab es in Bayern schon mal: zwischen 1996 und 2004, das „Verbilligungsgesetz“. Es erlaubte dem Freistaat, Immobilien und Grundstücke, zum Beispiel an Kommunen oder gemeinnützige Organisationen, günstiger abzugeben.
Boden, der von Genossenschaften oder gemeinnützigen Wohnbauunternehmen bewirtschaftet wird, wäre damit ebenfalls der Logik des Marktes entzogen und diente nicht als Spekulationsobjekt. Je mehr Grund und Boden einer gemeinwohlorientieren Nutzung zufließt, desto kleiner der Einfluss derer, die lediglich an Profitsteigerung interessiert sind. Liebe Bayerische Staatsregierung, wie wärs damit?
Beitragsbild: Robert Anasch auf Unsplash; Bild (1): Elias Keilhauer via Unsplash; Bild (2): ©Florina Vilgertshofer