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Bürgergutachten für das Kunstareal

kunstareal

Nachdem die Stadt in den letzten Jahren, und auch derzeit noch mit der „Perspektive München“ bereits Bürgerinnen und Bürger und Vertreter von Organisationen eingebunden hat, soll nun ein weiterer Weg gegangen werden, der noch näher zum Bürger führt. Die Münchner Stadtplanungsreferentin Prof. Merk hat ein Bürgergutachten für München ins Spiel gebracht. In einem SZ-Interview brachte sie dieses Vorhaben an die Öffentlichkeit. Vor kurzem wurde es in einer Stadtrats-Anhörung näher besprochen.

Was heißt „Bürgergutachten“ und warum dieses Verfahren? Was bringt es? Bürgerbeteiligung wird gefordert; Politik und Verwaltung wollen neue Wege gehen und die Bürgerinnen und Bürger mehr einbeziehen. Sie sollen Mitverantwortung übernehmen. Die Gestaltung der Stadt, in der wir alle leben, soll uns allen noch besser dienen und besser gefallen. Zwischen Kommunalpolitik, Stadtverwaltung und Bürgerschaft soll ein erweiterter Dialog entstehen. Wenn Nichtfachleute, sogenannte Laien, in der Stadtplanung mitreden sollen, brauchen sie dafür das, was auch Fachleute brauchen: Informationen, Zeit, Austausch und Ge-spräch, schrittweise Entscheidungsvorgänge und effiziente Strukturen.

In besonders geschickter Form sorgt dafür das Verfahren „Bürgergutachten durch Planungszellen“. Es wurde Anfang der 1970er-Jahre von dem Wuppertaler Professor Peter C. Dienel konzipiert und seither durch Begleitforschung und Praxis weiterentwickelt. Bürgerinnen und Bürger werden im Zufallsverfahren aus dem Einwohnermelderegister ausgewählt und persönlich eingeladen. Die Teilnahme wird ihnen erleichtert durch eine Aufwandsentschädigung und weitere Unterstützung im Einzelfall. Jeweils 25 solcher Bürgergutachter/innen arbeiten dann drei oder vier ganze Tage lang als eine von mehreren „Planungszellen“ an einem vorgegebenen Problem oder Thema. Das könnte in München die künftige Gestaltung des „Kunstareals“ sein, dem Gebiet in der Maxvorstadt, in dem die Pinakotheken, weitere Museen und etliche Hochschulen liegen.

Diese Planungszelle hört dann Expertinnen und Experten sowie Interessenvertreter an, informiert sich durch Begehungen und Anhörungen und bildet sich begründete, durchdachte, gemeinsame Ansichten und Urteile. Zur Diskussion, Ideenfindung und -prüfung wird sie alle eineinhalb Stunden neu in Kleingruppen zu je (meistens) fünf Personen aufgeteilt, auch dies wieder im Zufallsverfahren. Auf diese Weise entstehen viele verschiedene Begegnungen zu offenen und tiefen Gesprächen von Mensch zu Mensch. Erfahrungsgemäß arbeiten die Bürgergutachter/innen mit Elan sofort los – deutlich auf das Gemeinwohl hin orientiert, sehr sachlich und engagiert. Dabei kommen alle zu Wort. Und alle können auch individuell immer wieder Gewichtungen und Entscheidungen vornehmen und so schrittweise ein umfassendes Ergebnis erarbeiten. In jeder der Arbeitseinheiten, die eineinhalb Stunden dauern, werden neue, andere Aspekte behandelt. Ganz am Ende wird neu abgewogen und ein Endergebnis ermittelt. Die Ergebnisse: Ein erfolgreich abgeschlossenes Bürgergutachten.

Dann werden mehrere Planungszellen zu einem Bürgergutachten zusammengefasst. Dieses wird in jedem Fall veröffentlicht und von den Bürgergutachter/innen dem Auftraggeber überreicht. Die Entscheidungen, welche Empfehlungen und Vorschläge des Bürgergutachtens verwirklicht werden, fällt weiterhin die gesetzmäßig zuständige Instanz, sei es der Stadtrat, sei es die Stadtverwaltung oder eine der beteiligten Institutionen (Museen, Hochschulen). Sie sollten aber in angemessener Zeit den Bürgergutachter/innen und der Öffentlichkeit erklären, welche Konsequenzen sie aus dem Bürgergutachten gezogen haben. Vorbereitet, moderiert und dokumentiert wird ein Bürgergutachten durch einen unabhängigen Durchführungsträger, ein freies Institut, das selbst inhaltlich neutral ist und sich auf das Verfahren spezialisiert hat.

Dank der Zufallsauswahl wird durch Bürgergutachten ein breiter, nahezu repräsentativer Querschnitt der Bevölke- rung beteiligt. Nicht nur Anwohner und Betroffene oder organisierte Interessen, nicht nur Aktivisten und Kritiker werden gehört. Sie werden aber auch nicht übergangen, denn an einem Runden Tisch vor den Planungszellen und als Expert/innen spielen sie eine wichtige Rolle. So arbeiten Expert/innen aus Politik, Verwaltung, freien Büros, Hochschulen und Institutionen zusammen. Im Bürgergutachten stehen dann aber die Empfehlungen der Bürgerinnen und Bür-ger, die sich ihre eigenen Gedanken zu den Ideen der Fachleute und weit darüber hinaus gemacht haben.

Besondere Sorgfalt wird in jedem Fall, vor allem beim Kunstareal, auf diese Fragen zu legen sein:
1) Welche echten Mitgestaltungsräume gibt es für die Bürgergutachter/innen?
2) Welches ist die Hauptfrage, welches sind Teil-fragen an die Bürgergutachter/innen?
3) Welche Chancen bestehen, dass die Empfeh-lungen eines Bürgergutachtens tatsächlich Wir-kung entfalten und in Entscheidungen einfließen?
4) Wie werden Öffentlichkeit und Bürgergutach-ter/innen auch nach dem Bürgergutachten in-formiert und eingebunden?

Wer letztlich an einem Bürgergutachten über das Kunstareal mitwirken könnte? Denkbar ist, dass zunächst Anwohner eingeladen werden und ihre Ansprüche später in den Planungszellen vortragen. Das eigentliche Bürgergutachten wird von Menschen aus der ganzen Landeshauptstadt erstellt. Möglicherweise können auch die Interessen von Besuchern von außerhalb München einfließen.

Weitere Informationen gibt es hier: www.buergergutachten.com, www.planungszelle.de, www.kunstareal.de. Und in den Publikationen von Peter C. Dienel “Demokratisch, praktisch, gut: Merkmale, Wirkungen und Perspektiven von Planungszellen und Bürgergutachten” und “Die Planungszelle. Der Bürger als Chance”

Bild: Museum Brandhorst im Münchner Kunstareal (Foto: digital cat auf flickr.com über cc-by-2.0)

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