Kultur, Live

Candelilla – reasonreasonreasonreason

Sebastian Gierke
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Candelilla haben ihr Debütalbum “reasonreasonreasonreason” veröffentlicht. Es ist großartig geworden – sogar in Peru wird die Münchner Band dafür gefeiert.

Es ist schon ein paar Jahre her, Candelilla spielten im Feierwerk den Sprungbrett Wettbewerb. Sie verloren gegen eine Band, deren Namen ich vergessen habe. Schrecklich breitbeiniger Poser-Rock,  phallusträchtiges Gitarrengewichse. Alternative Rock in seiner ekelhaftesten Form.   

candelilla

Die Fans dieser Peinlichkeit machten sich über Candelilla lustig: Die Mädels, die könnten doch nicht spielen, beherrschten ihre Instrumente nicht. Damit hatten sie sogar recht, doch technische Fähigkeiten haben für gute Gitarrenmusik noch nie die entscheidende Rolle gespielt. Candelilla waren jedenfalls unvergleichlich besser als die Poser, die den Wettbewerb gewannen. 

Denn schon damals konnte man bei der Band diese Unruhe und Aggressivität, dieses Drängen, das ständige Suchen, den musikalischen Forschertrieb spüren. Die vier gaben sich schon damals nicht mit einfachen, standardisierten Schemata zufrieden, sondern suchten mit ihren begrenzten Mitteln nach dem Besonderen. Slut haben das erkannt und sie mit auf Tour genommen – was wieder zu viel Neid und Missgunst unter meist männlichen Indie-Fans führte.

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Dass Candelilla mittlerweile die Instrumente beherrschen, geschenkt. Viel wichtiger: Die vier jungen Frauen haben es geschafft, ihre Unruhe, das Begehren in ihre Musik einzuschreiben. Begehren ist essentiell für alles, was mit Popkultur zu tun hat. Es entsteht aus dem ständigen, sehr produktiven Scheitern daran, mit sich selbst und der Welt ins Reine zu kommen. Ohne Begehren, ohne den Hass und die Liebe, gäbe es keine Kunst. Und das Debütalbum „reasonreasonreasonreason” von Candelilla ist großartige Kunst.

„Wir wären fast ausgerastet“, sagen Candelilla, „wir wollten ernst genommen werden, fanden aber kein Label. Wir wollten nicht die Kellerband sein, die selber eine CD aufnimmt. Es sollte perfekt werden.“ Es wurde ziemlich perfekt, dieses Album das schlussendlich auf dem Münchner Label Red Can Records erschien.

Ungewöhnliche Songstrukturen treffen hier auf Indie-Disco. Aggressiver Sprechgesang auf wundervolle Melodien, noisige Gitarren auf federnde Klavierparts. Sonic Youth und die Dresden Dolls werden immer wieder und nicht ganz zu Unrecht als Referenzen angeführt. Eine Idee reiht sich an die andere, Breaks, Steigerungen, Lieder ganz ohne Refrain, mehrstimmig, vielstimmig.

Und die Texte sind ganz weit weg von dem bei deutschen Indie-Bands so beliebten, bräsigen Befindlichkeitsgeschwurbel. Candelilla bedienen sich einer Art Montagetechnik, es ist ein „Kampf mit dem, was andere schon gesagt haben“, erklären sie.  Das hat oft etwas fast manifestartiges und erinnert manchmal an die großartigen Ja, Panik, die genau wie Candelilla deutsch und englisch vermischen, um der „deutschen Sprache mit Hilfe der englischen einen ganz neuen Flow zu verleihen“, die Schwachpunkte des Deutschen,  gerade was den Rhythmus angeht, zu umgehen. Bei Cancelilla klingt das dann so: „Confront your mind and rush to the common thought. Handschuh auf. Gestern war der Tod noch mein Freund. Eine Grenze macht Leben mögliche. Hupsignal! (…) Ich kämpfe ich kämpfe, um ein neues Leben. Und: Hab ich einen Sinn? Fick dich, Alter! Und, ja klar!“ Diese Texte entwickeln dann auch Bedeutungen, die nicht der Absicht der Autorinnen entsprechen – womit sie genau der Absicht der Autorinnen entsprechen.

Vieles ist auf „reasonreasonreasonreason“ zu entdecken, auf allen Ebenen. Candelilla sind damit endgültig zu einer der nicht so unglaublich zahlreichen, ernstzunehmenden Münchner Bands geworden. Hoffentlich kommen sie damit auch bald aus München raus. Es wäre ihnen zu vergönnen. Die Sprungbrett-Gewinner haben es jedenfalls nicht geschafft. Die hatten nie eine Chance.

Nachtrag: Einen ziemlich großen Schritt raus aus München haben sie schon gemacht: Candelilla sind Band des Monats beim peruanischen koolrockradio.

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