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“Chaos und Unvollkommenheit sind meine Freunde”

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In dieser Woche startet die US-amerikanische Band Poliça zu einer zweiten Tournee-Runde quer durch Europa, am nächsten Dienstag sind sie auch wieder einmal in München zu Gast. Schwierig, oder vielleicht sogar unnötig, mit der Band nochmals einen Anknüpfungspunkt zu ihrem grandiosen Album „Shulamit“ zu suchen – warum also nicht mal ein paar grundsätzliche Fragen zum Thema Livekonzerte an Sängerin Channy Leaneagh …

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Ihr habt in der Zeit des Bestehens Eurer Band sowohl auf großen Open Airs und Festivals (SXSW, Austin City Limits, Coachella, …) als auch in kleinen Clubs gespielt, auch Record-Store-Gigs und Studiokonzerte waren dabei – was passt besser zu Polica?
Was am besten zu Poliça passt ist ein Publikum, das kommt, um sich zu amüsieren und bereit ist, sich von uns für eine oder zwei Stunden mitnehmen zu lassen. Ganz egal, wo wir sind, wir können überall eine gute Zeit haben.

Gibt es dabei Orte, die euch in besonderer Erinnerung geblieben sind?
Ich habe so viele einzigartige Erfahrungen in so vielen Städten gemacht. Jede neue Stadt ist voller Abenteuer und Menschen, die man treffen kann. Etwas ganz Besonderes sind diejenigen, in welche wir wieder und wieder zurückkehren (wie London, Philadelphia, Toronto und New York), wegen der Freundschaften, die wir schließen konnten, und wegen der Orte, in die ich mich verliebt habe. Mein erster Besuch  in Detroit wird mir immer in Erinnerung bleiben. Detroit ist eine Stadt, über die ich viel gelesen, die ich öfter verfolgt habe, sie und ihre Menschen persönlich kennenzulernen und ein wenig von der Musik-Szene zu erleben, war für mich sehr wichtig und ich hoffe, ich kann bald wieder einmal dahin zurückkehren.

Gibt es denn Kriterien bzw. Grenzen, bei denen ihr sagt, dass sie nicht zu Eurer Musik, zum Konzept passen oder probiert Ihr lieber aus mit dem Risiko, dass ihr auch mal danebenliegt?
Wir wählen schon genau aus, was am besten zu unserer Musik, zu Poliça passt. Manchmal ist es aber auch eine Frage der Zeit – wir haben schon eine ganze Reihe von lohnenden Anfragen ablehnen müssen, weil es nicht in unseren Kalender gepasst hat, oder weil beispielsweise jemand aus der Familie heiratet oder auch stirbt – das wahre Leben passiert einfach und hat dann natürlich Vorrang vor der Arbeit.

Man behauptet ja gern, elektronisch basierende Musik wie die Eure lasse sich nicht mit der nötigen Leidenschaft auf die Bühne bringen, es fehle an Möglichkeiten zur Improvisation – was setzt ihr dagegen?
Wenn einen die Songs selbst nicht begeistern, wenn man sie nicht mit Hingabe auf die Bühnen bringen kann, dann sollte man sie live nicht spielen. Ich denke, dass diese Leidenschaft genau so bei elektronischer Musik möglich ist, das treibt mich auch an. Es stimmt aber, dass synthetische Musik über Parameter verfügt, die der Kreativität einen engen Rahmen setzen können, das kann aber auch Ansporn sein – ich sehe es als eine positive Herausforderung, nicht allzu bequem zu werden oder sich hinter diesen Ausreden zu verstecken. Wir versuchen ständig, auf der Bühne einen gemeinsamen Zugang zu den Stücken zu finden und schaffen so Raum für Improvisationen und Ergänzungen.

Wie geht ihr damit um, wenn ihr merkt, dass der Club oder die Halle, in welcher ihr spielen sollt, ein akkustisches Fiasko erwarten lassen?
Ich spiele damit, nutze es für die Musik. Chaos und Unvollkommenheit sind meine Freunde. Das ist natürlich auch Unsinn, weil es für eine Band wie uns mit zwei Schlagzeugen und jeder Menge elektronischer Effekte eigentlich besser wäre, riesige Halle zu meiden – andererseits werden wir jedes unserer Konzerte spielen, denn es bleibt ja immer (unsere) Musik.

Wie schafft man es, die Konzentration Abend für Abend hochzuhalten?
Das ist für mich fast eine Art von Meditation, wie ein andauerndes Gebet, Abend für Abend.

Vom Insider-Tipp zum gefeierten Headliner, was hat sich für Euch im Laufe der Jahre geändert?
Da gibt es viele Dinge. Neben all den großartigen Möglichkeiten, die wir nun haben, gab es aber auch große Enttäuschungen. Ich denke, die größte Veränderung für mich innerhalb der letzten zwei Jahre betrifft meine Art, mit bestimmten Situationen umzugehen – zu wissen, was ich kontrollieren kann und was nicht und wie ich damit umgehe, ohne mich zu verlieren.

In eurem Vorprogramm spielten Marijuana Deathsquads, bei denen wiederum einige von euch einen Zweitjob haben, und die deutsch-schwedische Formation New Found Land – wie wichtig ist ein guter Support und nach welchen Kriterien wählt man aus?
Vorbands sind der Einstieg für den Abend. Wir versuchen einen Support zu finden (oder eben dieser zu sein), der mit der Hauptband in eine bestimmte Beziehung treten kann. Es geht auch darum, während der Tour ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, dafür suchen wir bekannte Bands aus unserer Heimatstadt oder auch aus anderen Ländern, die mit der Ästhetik von Poliça harmonieren oder eine Verbindung zu anderen Genres aufzeigen können.

Wieviel von dem Ort, an dem man spielt, bekommt man mit – reicht der Abend im Hotelzimmer oder möchtet ihr nach Möglichkeit doch mehr von Land und Leuten sehen?
Ich versuche, mir jede Stadt, in der wir spielen, auch anzuschauen – wir alle haben Spaß daran, die Sehenswürdigkeiten und Besonderheiten vor Ort zu sehen und auch nach der Show das Nachtleben zu erleben.

Gibt es vielleicht einen besonderen Bezug zu Deutschland, vielleicht sogar zu München? Hab Ihr eventuell bestimmte Erinnerungen oder sogar Erwartungen?
Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als wir in München gespielt haben (2011, Atomic Café, die Red.) – die Reithandschuhe aus Leder, die ich mir auf dieser Reise kaufte, habe ich heute noch. Es ist eine sehr noble Stadt. Heute habe ich das Gefühl, als sei es zehn Jahre her, seit wir dort waren – wie die Zeiten verfliegt. Ich denke, wir alle haben uns entwickelt und verändert – es wird großartig sein, zurückzukommen und unsere neuen Stücke in München zu spielen. Darauf freuen wir uns.

Das komplette Originalinterview findet sich auf der Seite von Mapambulo.

Poliça, 24. Juni 2014, 21:30 Uhr
Strom (Achtung – wurde aus der Freiheizhalle verlegt!)

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