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Rites of Spring-Festival im KAFE KULT: CoreChaos, warum tut ihr das?
Zwischen Noise, Nostalgie und Nischenwissen: Am 12. April lädt das junge Münchner Kollektiv CoreChaos ins Kafe Kult zum „Rites of Spring“-Festival mit sechs Bands, die sich den Genres (Post)Hardcore, Screamo, EBM, Emo und Rapcore verschrieben haben. Rohe Energie, feinsinniger Lärm und DIY-Spirit vom Feinsten. Wir wollten von den Veranstalter:innen wissen, warum dieser Sound mehr ist als Musik und wie sich die Szene in München etabliert.
Rites of Spring Festival – 12. April, Kafe Kult
Was genau hinter dem Konzept steckt, wie sich „Real Emo“ heute anfühlt und warum Solidarität auch auf dem Dancefloor Platz findet, erzählen uns CoreChaos im Interview:
Was bitte ist CoreChaos – ein Sound, ein Zustand oder eine spirituelle Reaktion auf das Booking im Münchner Nachtleben? (Und ist der Name eher Ausdruck innerer Zerrissenheit oder der Versuch, Ordnung in die Noise-Liebe zu bringen?)
Wahrscheinlich alles zusammen! 🙂 Wir sind ein Kollektiv aus vier Personen, das gemeinsam mit vielen Freund*innen Shows in München veranstaltet, europaweit Konzerte bucht und inzwischen auch Shirts, Tapes und Magazine veröffentlicht. Begonnen hat CoreChaos 2020 als Musikblog von Jany Irro – mit Fokus auf Hardcore, Metalcore und Emo. Nach der Pandemie starteten wir dann mit eigenen Screamo-Shows – aus einem Mangel an Angeboten heraus und weil viele befreundete Bands endlich auch mal in München spielen wollten. Daraus hat sich schnell ein vielfältiges und buntes Unterfangen entwickelt: von Live bis Dancefloor, von Folk bis Noise und wieder zurück. Im Zentrum steht für uns weniger das Genre als der Ausdruck: roh, real und eindringlich, gern radikal und doch feinsinnig – unabhängig von stilistischen Grenzen. In alten kulturhistorischen Formen finden sich Vorbilder: etwa im Sturm & Drang, der das Gefühl über die Form stellte, oder das Prinzip der Katharsis – egal, ob man dabei tanzt, schreit oder an die Decke starrt.
EBM, Screamo und Rapcore auf einer Party – klingt wie ein Streitgespräch zwischen drei Subkulturen in einem Kellerclub 2002. Wie bringt ihr diese Welten auf einem Dancefloor zusammen, ohne dass jemand weint oder mosht – oder beides?
Beim Rites of Spring geht es uns in erster Linie um eine Idee: „Real Emo“ und Screamo. Es gibt ein großartiges Copypasta-Meme im Netz, das zu einer Art Glaubensbekenntnis geworden ist – es zieht (ironische) Grenzen im Emo und sorgt bis heute für Diskussionen. Das Meme „Real Emo only consists of… [the dc Emotional Hardcore scene and the late 90s Screamo scene]“ teilt die Szene in Real und Fake Emo ein – und setzt den Ursprung (zurecht) bei der Band „Rites of Spring“ an. Genau hier setzen wir an: ein kleines Festival, das dem Real Emo huldigt – von Past, Present & Future des Genres. Von einflussreichen Bands, die wieder auf Tour sind, bis zu neuen Acts mit radikalen Ansätzen. Wir glauben, dass uns das gelungen ist – wir sind stolz auf das Line-up und zeigen eine Perspektive dessen, was „Real Emo“ heute sein kann.
In unserem Gesamtprogramm connecten wir weitere Subkulturen: Ambient-Sets zwischen Post-Hardcore und Screamo, Noise-Performances in Skramz-Line-ups, Live-Konzerte inmitten von Dancepartys. Wir lieben scheinbare Kontraste, bei denen sich Ausdrucksformen nicht widersprechen, sondern ergänzen.
Jetzt seid ihr im KAFE KULT, was macht den Ort für euch so besonders?
Weil es ein zentrales Stück Münchner DIY-Historie ist. Die Kulturstation und später das Kafe Kult waren nach den vergleichsweise trockenen 80er-Jahren in München einer der ersten relevanten DIY- und Subkultur-Orte in München – und ist es bis heute. Früher gab es dort mehr Screamo – nach der Pandemie fehlten solche Shows, und genau diese Lücke wollten wir wieder schließen. Das Kafe Kult ist für uns einer dieser magischen Orte, die auf wundersame Weise aus der Zeit gefallen wirken – ein Tor in eine andere Welt, fernab von Leistungsdruck, Verwertungslogik und vielem, was München heute belastet.
Eure Philosophie „Keine Bühnen, keine Hierarchien“ klingt wie das Manifest einer Utopie. Wie lebt ihr diesen Anspruch – jenseits des Bühnenaufbaus – im musikalischen und organisatorischen Alltag?
Schöne Frage! Der Großteil unserer Shows findet am Boden statt – nicht auf Bühnen. Wir wollen weg von der frontalen Trennung zwischen Band und Publikum. Lieber, wenn sich alle gemeinsam um die Musik versammeln. Auch inhaltlich stellen wir uns gegen Headliner-orientierte Abläufe: Es soll keine Haupt- und Vorband geben. Stattdessen sollen sich die Sets ergänzen, ineinander übergehen – nicht hierarchisch, sondern organisch. Gern auch an Orten, an denen man keine Bands erwartet – wie etwa auf dem Dancefloor eines Nachtclubs.
Wie politisch ist euer Sound? Screamo schreit oft gegen die Welt, EBM tanzt gegen sie an, Rapcore hat sowieso immer ein Statement. Gibt es ein gemeinsames Anliegen, das eure Acts verbindet?
Wir sehen unsere Arbeit in der Traditionslinie des soziokulturellen Ethos des Post-Hardcore. Mit niederschwelligen und solidarischen Eintrittskonzepten möchten wir möglichst viele unterschiedliche Menschen zusammenbringen. Gleichzeitig wollen wir ermöglichen, dass auch Menschen mit geringeren Mitteln für kleines Geld neue Genres entdecken können – ohne finanzielles Risiko.
Pay What You Want – ernsthaft? In einer Stadt, wo selbst ein Cappuccino inzwischen 4,80 kostet? Wie sieht eure Idealvorstellung von Solidarität im Clubkontext aus – und warum kann das Modell funktionieren?
Gerade deshalb glauben wir an dieses Prinzip. München braucht – unserer Meinung nach – finanziell flexible und solidarische Konzepte, um lebenswert zu bleiben. Kulturelle Teilhabe darf keine Frage des Einkommens sein. Das Prinzip ist einfach: Wer gut verdient, zahlt solidarisch mehr – und ermöglicht damit niedrigere Preise für Menschen mit weniger Ressourcen. In einer wohlhabenden Stadt wie München sollte das selbstverständlich sein.
Wir profitieren dabei oft von der Förderung durch die Stadt: Es gibt vergleichsweise viele Programme, die es uns ermöglichen, auch größere Bands im Pay-What-You-Can-Prinzip zu buchen, ohne zu große, persönliche Risiken schultern zu müssen. Von der eigenen Arbeitszeit abgesehen. Dafür sind wir sehr dankbar. Oft müssen wir Agenturen erklären, warum unser Preiskonzept nicht schlechter abschneidet als fixe Preise: Unterm Strich kommen wir finanziell auf dasselbe – aber wir erreichen mehr Menschen. Und ein neugieriges, diverses Publikum ist am Ende für alle Beteiligten ein Gewinn.

Ojne (Italien) ©CoreChaos

La Petite Mort/Little Death (Frankfurt) ©CoreChaos

Blind Girls (Australien) ©CoreChaos
Wo trifft man euch in München? (gerne ein paar Bars, Clubs, Cafés mit einem Halbsatz, was ihr dort mögt)
Natürlich oft in der Milla oder im Blitz – Orte, an denen wir arbeiten und an die wir glauben. Wir verbringen dort nicht nur beruflich, sondern auch persönlich viel Zeit. Häufig sind wir auch in der Favoritbar: ein Ort für Austausch und Musik abseits des Gewohnten, an dem wir auch immer wieder ungewöhnliche Ideen umsetzen können.
Wir sind viel in Giesing unterwegs, zwischen Grünspitz und Schau Ma Moi, und besonders gern im Kafe Marat – ein weiterer wundervoller, autonomer, soziokultureller Ort, der Kultur, Community und Politik miteinander verbindet. Ohne ihn wäre München um vieles ärmer. Aber am meisten trifft man uns auf den vielen kleinen Shows in der Stadt – überall dort, wo unsere Freund*innen spannende Dinge organisieren. Genau diese Veranstaltungen machen München für uns lebendig. Und es gibt davon mehr, als viele denken.
„Rites of Spring Fest“ – benannt nach der Band, die Emo erfunden hat (und sich dafür wahrscheinlich heute schämen würde). Was bedeutet euch der Name? Hommage, Provokation oder einfach nur ein schöner Titel für ein Frühlingsritual mit viel Geschrei?
Nachdem wir mit unserer Band Oakhands öfter auf Halloween- oder Weihnachts-Emopartys gespielt haben, fragten wir uns: Sollten „echte“ Emos nicht eigentlich auf eigenen Frühlingsfesten auftreten? Ist der Frühlingsanfang nicht die wahre Jahreszeit des Emo? Die ironische Überlegung traf auf die Idee, ein kleines Festival für „Real Emo“ zu machen, benannt nach der Urband ‘Rites Of Spring’ – mit allem Pathos, Ironie und überhöhter Dogmatik des Copypasta-Memes. Der Pressetext besteht fast nur daraus. Nicht alle haben es verstanden, aber ein bisschen Humor schadet dem Emo bei aller Überhöhung sicher nicht 🙂
Wie kuratiert man ein Festival, das gleichzeitig der zärtlichsten wie der wütendsten aller Subkulturen gerecht werden soll – ohne dabei in Nostalgie oder Pathos zu verfallen?
Schön – die Beschreibung gefällt uns 🙂 Ein wenig Pathos und Nostalgie gehören vermutlich zu jeder guten Band dieser Szene. Uns war wichtig, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Beziehung zu setzen. Von Pg.99 – einer der zentralen Screamo-Bands der 90er – bis zu frischen Acts wie Jota oder den charismatischen Sonderlingen La Petite Mort / Little Death, die heute mit frischen, eigenwilligen Ansätzen überzeugen. Wir wollten zeigen, wie „Real Emo“ damals und heute klingen kann.
Zwischen Plattenflohmarkt, Merch-Overflow und DIY-Ästhetik: Wie wichtig ist euch das Soziale rund ums Konzert? Ist der Vibe zwischen Tür und Tresen am Ende nicht fast so wichtig wie das, was auf der Bühne passiert?
Natürlich ziemlich wichtig: tolle Musik und Shows sind das eine, aber die Community mit ihren Werten dahinter ist natürlich etwas, das langfristigen und soziokulturellen, auch politischen Wert hat, wenn man es so sehen will. Mit dem Eintrittskonzept wollen wir ja eh einen breiten und niederschwelligen Zugang ermöglichen und Menschen zu einem solidarischen Miteinander animieren. Gerade in einer Stadt wie München, in der oft alles aneinander vorbeiläuft. Fast jede*r kennt jemanden, den ErSieThey vom HörenSagenSehen kennt, aber noch nie miteinander geplaudert hat – dazu wollen wir Menschen ermutigen. Gerade in Zeiten, in denen sich linke Szenen und Subkulturen auch gegenseitig zerfleischen, möchten wir das hochhalten und fördern.
Last but not least: Gibt es schon Pläne für „Rites of Spring 2 – Die Rückkehr des Gefühls“? Oder lebt CoreChaos bewusst im Jetzt – mit geballter Energie und einer Woche Erholung danach?
Nachdem die Resonanz vom Baltikum bis Portugal, von Reddit bis in die Mainstream-Szenemedien reicht – und wir überzeugt sind, dass Screamo längst nicht auserzählt ist, dass gute Reunions neue Feuer entfachen können und uns jede Woche neue Bands begeistern – ja, wir können uns sehr gut eine Neuauflage 2026 vorstellen.
Um die stilistische Vielfalt zu bewahren, wollen wir aber nicht nur „Real Emo“ feiern: Für den Spätsommer und Herbst planen wir bereits ein „Fake Emo“-Festival: The Summer Ends. Denn schließlich ist der Spätsommer die zweite Jahreszeit der Emos!

Oakhands3 2023 ©MichaelMcKee (München)

Jota (Halle/Saale) ©CoreChaos
Titelbild: Das Kollektiv CoreChaos mit Friends und Kollegen Andor Bencze & Thomas Schamann (Grotto Terrazza) (v.l.n.r.) Marietta Jestl, Andor Bencze, Alex Friedrich, Jany Irro, Grotto Terrazza, Marcel Peter ©CoreChaos
Beitragsbild: Pageninetynine-2-ReidHaithcock (USA) ©CoreChaos