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„Ich glaube an die Kräfte, die von Körpern freigesetzt werden“ – ein Interview mit Tobias Staab, Leiter des DANCE Festivals

Marco Eisenack

Die Münchner Tanzbiennale DANCE hat mit dem Dramaturg, Regisseur und Medienkünstler Tobias Staab einen neuen Leiter, dem es weder an Ideen noch an Netzwerk mangelt, um ein erfolgreiches Festival auf die Beine zu stellen. Viele Münchner:innen kennen Tobi Staab noch als Veranstalter von Ritournelle-Partys, Elektor-DJ oder Mitbegründer des Super-Paper.

Marco Eisenack hat das Münchner Subkultur-Original in seinem Studio im Kreativquartier besucht. Tür an Tür mit der Umwelt-Initiative Rehab Republic dient ihm der weiß getünchte Raum im ansonsten quirlig bunten Zwischenuntzungsquartier als wichtiger Rückzugsraum, den er sich praktischer Weise mit seiner DANCE-Vorgängerin Nina Hümpel teilt, die hier das Branchenportal tanznetz.de herausgibt. Im MUCBOOK-Interview verrät der Dance-Leiter, wie das Festival mit ungewöhnlichen Produktionen und überraschenden Orten neues Publikum erreichen soll, warum Subkultur für ihn mehr als ein Szene-Wort ist und wieso Tanz die wohl wirkungsvollste Kunstgattung ist.

MUCBOOK: Tanz und Tanztheater spielen in Münchens Kulturkalender eine wichtige Rolle. Trotzdem scheint die Szene in sich geschlossen zu sein. Für Außenstehende wirkt sie hochkulturell und schwer zugänglich. Dann tauchst plötzlich du als neuer Leiter auf – Tobias Staab, vielen noch als Chefredakteur des Super Paper oder DJ im Blitz bekannt. 

Tobias Staab: (lacht) Ja, das ist vielleicht erst mal überraschend. Aber du hast recht – da ist gerade was in Bewegung. Ich merke, dass viele Leitungswechsel passieren, und ich glaube schon, dass sich da gerade strukturell was verändert. Nicht nur bei Dance – die Münchner Biennale, Lothinger 13 mit Kalas Liebfried, Haus der Kunst mit Andrea Lissoni… Das sind Leute, die zum Teil aus der Subkultur kommen. 

MUCBOOK: Was bedeutet das für die Stadt? Gelingt endlich die lange angestrebte Verschmelzung von Hoch- und so genannter Subkultur? 

Staab: Ich beobachte, dass Kategorien weniger wichtig werden. Ist das Musik, Tanz, bildende Kunst? Ich finde genau das spannend, wenn es sich nicht klar einordnen lässt. Mich interessiert das Hybride, das, was sich der Zuordnung entzieht.

MUCBOOK: Du kommst ja selbst aus der Subkultur. Magst du den Begriff eigentlich?

Staab: Der ist natürlich aufgeladen. Man fängt eine Diskussion an, sobald man ihn benutzt. Manche sagen: Subkultur darf sich nicht vermarkten lassen. Ich nutze ihn eher nostalgisch – weil ich so sozialisiert wurde. Ich war Skateboarder, hab Punk gehört, später kam elektronische Musik. Mich haben immer Orte interessiert, wo Leute Dinge ohne Mittel gemacht haben – in Garagen, Hinterhöfen. Da entsteht Neues. Natürlich werden solche Innovationen oft von den Institutionen abgeschöpft.

MUCBOOK: Und du bist jetzt Teil dieser Institution geworden.

Staab: Stimmt. Aber entscheidend ist, wie man sich diesen Strömungen nähert – und wie man mit ihnen arbeitet.

MUCBOOK: Bei der Pressekonferenz hast du über ein Break-Dance-Projekt von Moritz Ostruschniak gesprochen. Es stehe exemplarisch für die Öffnung des Festivals hin zu urbanen Tanzformen und bislang wenig repräsentierten Subkulturen.

Staab: Da geht es um die Frage: Wie zeigt man so etwas im Museumskontext, ohne es zu glätten? Wir wollten nicht Breakdance auf der Theaterbühne inszenieren – kein Romeo und Julia mit Headspins. Also haben wir gesagt: Zeigen wir die Tänzerinnen und Tänzer als lebendige Skulpturen in der Pinakothek der Moderne. Das war unser Zugang.

MUCBOOK: Gibt es in München eine Urban-Dance-Szene mit echter Streetcredibility?

Staab: Absolut. Es gibt Stars wie Serhat “Said” Perhat aka Saeed – der hat große Battles gewonnen, ist international unterwegs. Es gibt Orte, wo die Szene sich trifft, aber es fehlt an echten Räumen. Einer im Werksviertel wurde gerade geschlossen – man tanzt auch in der U-Bahn, einfach weil’s keine Alternativen gibt.

© DANCE Festival / Nicola Iovino

MUCBOOK: Du kanntest Urban Dance lange Zeit vor allem aus der Perspektive als DJ. Wie kam dein neuer Zugang zum Tanz?

Staab: Ich bin reingestolpert, wie so oft. Ich war Dramaturg an den Kammerspielen, habe vorher Musikprogramme gemacht, etwa Ritournelle. Erst durchs Theater merkte ich: Schauspiel interessiert mich weniger – der Körper in Bewegung, das ist mein Thema. Ich habe dann mit Richard Siegal „Ballet of Difference“ gegründet und mich immer mehr mit Tanz beschäftigt. Und ja, mein eigener Tanzhintergrund: Klub. Also eher tanzend im Nachtleben. (lacht)

MUCBOOK: Künstler:innen haben es in München generell nicht leicht. Wie ist die Lage in der Tanzszene? 

Staab: München ist schwierig. Die Lebenshaltungskosten sind hoch, Räume rar. Tanz verlangt enorme Hingabe – und der aktive Zeitraum ist kurz. Mit 40 überlegen viele, wie es weitergeht. Das ist wie im Profisport, nur ohne Millionen auf dem Konto. Und dann die unsichere Lage bei den Fördergeldern … Viele wandern ab oder hören auf. Das ist fatal.

MUCBOOK: Bei der Förderung spielt auch die Stadt eine wichtige Rolle. Wie ist dein Verhältnis zum neuen Kulturreferenten?

Staab: Sehr positiv. Ich bekomme viel Unterstützung. Trotz leerer Töpfe ist man dort offen für Neues. Marek Wiechers war direkt unterstützend – und es war witzig: Als ich das erste mal in sein Büro kam, hing da ein Poster von einem Konzert mit Bodi Bill, mit dem ich vor 15 Jahren in der Registratur eingeladen hatte.

© DANCE Festival / Ian Douglas

MUCBOOK: Viele kulturelle Programme – ob Literaturfest oder Pinakotheken – machen aktuell Gemeinschaft und Zusammenhalt zum Thema. Auch bei DANCE steht „Gemeinschaft“ diesmal auch als heimliches Motto über allen 19 Produktionen. Gleichzeitig wirkt die Welt zerrissen und autoritäre Kräfte sind auf dem Vormarsch. Was kann ein Tanzfestival in dieser Lage bewirken?

Tobias Staab: Mich belastet diese Zeit sehr. Die Unversöhnlichkeit in den Kriegen, die Perspektivlosigkeit, die überall spürbar ist – und am Ende steht immer die ökonomische Logik. Hinter fast jedem Krisenherd steckt letztlich ein ökonomisches Interesse. Die Welt wirkt unübersichtlich, zermalmend, und viele Menschen sehnen sich nach einfachen Antworten – nach Klarheit, Kontrolle, nach autoritären Figuren, die sagen, wo es langgeht. Das macht mir Angst. Denn es ist oft begleitet von einem radikal-konservativen Rückschritt, der die gesellschaftlichen Errungenschaften wieder zurückdrehen will.

Also Körperpolitik klingt immer so abstrakt, aber in Wirklichkeit ist es quasi die Art von Politik gemacht wird, um unsere Körper zu kontrollieren, zu strukturieren und gefügig zu machen. Das interessiert mich total, wie das quasi in der Politik gerade auf uns auf ziemlich subtile und perfide Weise umgesetzt wird. Und zum anderen, wie wir uns in der Kunst, dagegenstellen können. Ich glaube, Körper sind widerständig. Tanz ist unmittelbarer als Sprache. Ein Körper kann nicht lügen.

MUCBOOK: Wenn du von „Körperpolitik“ sprichst, was meinst du damit?

Staab: Welche Körper gelten als normal, welche als schön, welche Körper dürfen sich zeigen und welche müssen unsichtbar bleiben? Es geht um politische Kontrolle von Körpern. Schwangerschaftsgesetze, Rechte von Transpersonen, queere Ehe – das sind alles Körperpolitiken. Oft steckt ein autoritärer Wunsch nach Ordnung dahinter –  . Irgendwie war der Körper schon immer Gegenstand von dem Wunsch nach Kontrolle, auch weil im Körper offenbar Kräfte schlummern, die allen Angst machen. 

MUCBOOK: Das können gute wie schlechte Kräfte sein? 

Staab: Es können Gute wie Schlechte sein, aber das prophylaktisch einzugrenzen halte ich für falsch. 

© DANCE Festival / Jubal Battisti

MUCBOOK: In eurer sehr cool gestalteten Programm-Zeitung – die auch als kleine Reminiszenz an das Super Paper gesehen werden kann – schreibst du im Editorial: „Ich glaube an die Kräfte, die von Körpern freigesetzt werden.“ Was meinst du damit?

Staab: Ich glaube daran, dass Tanz dazu in der Lage ist, Gemeinschaft zu schaffen, mehr als jede andere Kunstform. Weil Körper eine universellere Sprache sind als verbale Ausdrucksformen. Und ich suche nach Formaten, die eben die Leute dazu bringen, sich selbst in einen Raum zu begeben, wo sie sich in ein Verhältnis zu anderen Körpern setzen müssen. Das ist etwas anderes als im Theater, wo man sitzt und schaut. In einem offenen Raum muss man sich selbst positionieren – und das ist heute wichtiger denn je.

MUCBOOK: Und das zeigt sich im Programm?

Staab: Ja. Es gibt Formate, wo man sich bewegen muss, mitentscheiden muss, was man sieht. Etwa das Stück Ausland von Jefta van Dinther im Haus der Kunst. Man ist Teil des Raums, sieht nicht alles, aber merkt: Ich bin mittendrin. Genau solche Erfahrungen interessieren mich.

MUCBOOK: Was war dein Pitch für das Festival?

Staab: Ich wollte es verjüngen. Jüngeres Publikum ansprechen, internationaler machen, neue Formate entwickeln. Auch Kooperationen mit Kunstinstitutionen, die es so noch nicht gab. Und ich wollte Tanzformate zeigen, die auch Menschen berühren, die nicht in der Tanz-Bubble sind.

MUCBOOK: Wie etwa mit Trajal Harrell im Lenbachhaus?

Staab: Ja, Harrell ist für mich besonders. Ich hatte ihn mal in Bochum eingeladen. Seine Stücke – die berühren mich. Eine schöne Anekdote dazu: Hinten im Raum standen damals zwei Putzfrauen, die dort immer warten, wenn es Aufführungen gibt. Und sie sagten: „Das ist das Schönste, was wir je gesehen haben.“ Diese Unmittelbarkeit, das ist es, was Tanz kann.

MUCBOOK: Und zum Abschluss: Was erwartest du dir vom Festival?

Staab: Dass es ein Ort wird, wo Menschen zusammenkommen. Wo Körper sprechen, statt Schlagzeilen. Wo man Gemeinschaft erleben kann. Und vielleicht: ein kleines Gegengewicht zur Welt da draußen.

Titelfoto: Tobias Staab © DANCE Festival / Luis Zeno Kuhn