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Das Rad neu erfinden

Marco Eisenack

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Wir sind gespannt. Am Donnerstag beginnt auf dem Feierwerk-Gelände endlich das Bicycle-Filmfestival. Franziska Schwarz hat sich für klimaherbst.de schon ein paar Filme angeschaut.

Ein junger Mann sackt auf dem Boden und blickt verzweifelt in seine Videokamera. Um ihn herum ist nur weite Flur. Gleich erfährt der Zuschauer, dass das noch wochenlang so bleiben wird. Der Bart von Maximilian Semsch wird also noch mehr verfilzen. Er räumt sein Zelt zusammen, besteigt wieder sein Fahrrad. Zur Motivation sucht er sich einen Baum in der Ferne. Und dann wieder einen. Am Ende fährt Semsch etwa 120 Kilometer am Tag, und erreicht sein Ziel Singapur.

221 Tag ist er auf dem Fahrrad unterwegs. Als er Kasachstan durchquert, hat er einen Tiefpunkt. Auf der Preview von „What a trip“ in München erzählt er, dass vorbeifahrende Autofahrer ihm sogar Geld zugesteckt haben.

Ohne Fahrrad wäre Maximilians Semschs Geschichte anders ausgegangen. Soll man deshalb für seine Dokumentation den Begriff „Fahrrad-Film“ einführen? 


Das passende Festival gibt es jedenfalls schon, und vom 2. bis 5. Dezember ist das „Bicycle-Film-Festival“ nun auch in München. „What a trip“ ist der lokale Beitrag, weil die Reise in München losging. In Russland hat sich Semsch nachts sogar versteckt, weil ihm die Einladungen zum Zechen zu viel wurden. Ob die Russen ahnten, dass der radelnde Deutsche, dem sie begeistert ihren Wodka anbieten, ein Extremfall ist?

München schaut auf New York

Denn es könnten gerne noch mehr Radler werden, heißt es aus dem Münchner KVR; zur Zeit sind es in der Stadt etwa 14 Prozent. Das „Bicycle-Film-Festival“ wird von der seit April laufenden „Radlhauptstadt“-Kampagne gefördert. Die Kosten belaufen sich auf etwa 30.000 Euro – eigentlich wären es eher 70.000, sagt Organisator Andreas Schuster von „Green City“, wenn nicht die ganze ehrenamtliche Hilfe wäre.

Noch will man das Thema testen – in New York haben sich die Radfahrer schon lange positioniert. Dort fand die bisher größte „critical mass“, ein Art Fahrraddemo, statt. Auch München hat sich – allerdings weniger erfolgreich – an einer „critical mass“ versucht. In New York wurden in den letzten Jahren gut 250 Meilen an Fahrradwegen gebaut – was zur Zeit schon die Rad-Gegner mobilisiert, wie die „New York Times“ berichtet.


Den Einfall, dass das Fahrrad ganze Filmabende füllen sollte, hatte der US-Amerikaner Brendt Barbur. Nachdem der leidenschaftliche Radfahrer von einem Bus angefahren wurde, startete er die Fahrrad-Initiative. Seit der Gründung vor zehn Jahren ist das „Bicycle-Film-Festival“ in 40 internationalen Städten gewesen und hat über 250.000 Besucher angezogen.

Die Anliegen der Radfahrer scheinen überall die gleichen zu sein, auch wenn man die Münchner Radwege nicht gerade mit den New Yorker Verkehrsschluchten vergleichen kann – oder dem flachen Holland. Trotzdem hat Holland schon um Tipps der Radlhauptstadt gebeten, heißt es. Das wundert allerdings eine Besucherin, deren Familie aus Holland kommt: „Bei uns nutzt doch schon jeder das Rad – nur eben, ohne groß darüber zu reden.“

Das Fahrrad als Kulturobjekt

Also gibt es in München doch noch Einiges zu tun. Wie aber bringt man die Leute auf’s Rad? Eher nicht mit Gesundheitsfragen oder Warnung vor Luftverschmutzung. Diese Argumente kennt eh schon jeder, meint Andreas Schuster. „Wir wollen das Thema emotional angehen. Wenn ich durch die Stadt fahre, ist das ein sinnliches Erlebnis. Die meisten Entscheidungen trifft man aus dem Bauch heraus, auch die morgendliche Wahl zwischen Auto, U-Bahn oder Fahrrad.“

Auch wenn das Fahrradfahren hier quasi „vermarktet“ werden soll, ist das „Bicycle-Film-Festival“ keine Image-Filme-Sammlung – das meiste sind Dokumentationen, die nicht extra für das Festival entstanden sind. Die legendäre Rennrad-Schmiede „RIH“ in Amsterdam etwa hat sowieso einen Film verdient. Wenn die Kamera ganz nah heranzoomt, sobald der 70-jährige Handwerker die Fahrradgabeln zusammen schweißt, wird deutlich: So etwas wie Fahrradliebe gibt es. „RIH steht nicht für ‘rubbish in Holland’. RIH ist arabisch und bedeutet ‘Orkan’“, erklärt der Fahrradbauer.


Und dann wäre da noch der Sport, von Tour de France über BMX bis hin zu Alleycat-Rennen, dem Nachspielen des Kurieralltags. Die Veranstalter hoffen jedoch, dass sie nicht nur diese Fahrrad-Subkulturen ansprechen, und verweisen auf das diesjährige, gut besuchte Festival in Kopenhagen: Die Leute kamen mit dem Rad, das ganze Kino war zugestellt mit Fahrrädern, „doch dann merkten wir, dass nicht nur unsere Gäste geradelt waren – die Besucher in den anderen Filmen auch.“

Der Kampf um und mit dem Schrott
Haufen von Fahrrädern sieht man auch in dem Film „Inside KENK“. Hier wird ein notorischer Schrottdieb durch die USA begleitet. Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit; die Hauptfigur Igor Kenk wurde im Sommer 2008 gefasst. Die Aufnahmen zeigen ganze Tiefgaragen voll mit Fahrradteilen. Der Film gibt sich extrem stylish, auf dem Plakat prangt Kenks stilisiertes Profil. Dabei ist Kenk alles andere als ein Hipster. Seine Rechtfertigung ist lapidar: „Zuhause in Slowenien waren wir von Müll umgeben, weil wir arm waren. Hier bin ich von Müll umgeben, weil alle so reich sind.“


Der Fehler mag im System liegen, doch oft ist er ganz banal: Das Fahrrad steht mit Platten da. Hilfe zur Selbsthilfe will während des Festivals ein Reparatur-Workshop leisten. Vorbild ist das (auch als Film dokumentierte) „Bike Kitchen“ in Wien: Profis teilen hier kostenlos ihr handwerkliches Wissen, retten das Rad vor dem Schrottplatz und richten es her – damit morgens die Wahl leicht fällt.

Zum Rahmenprogramm mit Konzerten, Sport und Familientag geht es: hier

Zum Filmprogramm geht es: hier

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