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Die Alptraumfabrik

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Zu William Shakespeares 450. Geburtstag inszenierte Gísli Örn Garđarsson am Münchner Marstall das letzte Drama des Dichters, „Der Sturm“. Garđarsson übersetzt das Stück ins Dunkle, ohne den comic relief zu vergessen. Am 8., 9. und 10. März wird das Stück erneut aufgeführt.

Es nebelt, es blitzt, es knallt. „Der Sturm“ hat begonnen. So plötzlich, wie es hell wurde, wird es dunkel. Jemand säuselt eine Melodie, eine Kalimba spielt dazu. Ist es ein Schlaflied? Sicher eines, das schlechte Träume macht.
Im Lichtkegel einer Taschenlampe steht ein älterer Herr im Anzug. Es ist Prospero, der von seinem Bruder Antonio um den Titel als Herzog von Mailand betrogen wurde. Mit Manfred Zapatka wird Shakespeares Prospero glaubhaft zu einem Mafiaboss, von seiner Tochter Miranda in Ehrfurcht „Sir“ genannt. Im Personenregister des Programmhefts könnte stehen: Prospero, Fürst des Kerkers und Sadist, der Rache will.
Was bei William Shakespeare auf Schiff und Insel spielt, überträgt Regisseur Gísli Örn Garđarsson in ein Verließ, das von Gittern zusammengehalten wird. Ein dreistöckiger Abenteuerspielplatz aus Eisen, zerschnitten vom Licht der Taschenlampen und Stroboskope, im Keller liegen Puppen und Körper, die sich nicht regen. Das ist die von Börkur Jònsson entworfene Kulisse für Garđarssons Alptraum in Spielfilmlänge.
Garđarsson, ein ehemaliger Leistungsturner aus Island, legt am Marstall eine sportliche Inszenierung hin. Seine Darsteller klettern, hängen, kriechen, hüpfen, sie sind schlaftrunkene Akrobaten. Bleiben sie ruhig, kann man den Wahnsinn in ihren Blicken lesen. Der steht ihnen gut zu Gesicht.
Wahnsinnig sind bei Garđarsson alle, wahnsinniger als bei Shakespeare. Prospero, der im Kerker seine Feinde versammelt hat, um sich an ihnen zu rächen. Miranda, seine Tochter, die in der Dunkelheit der Gruft den Bezug zur Welt verloren hat. Caliban, Prosperos Sklave, mehr Tier als Mensch. Ariel, ein Geist im Dienste Prosperos, den Gunther Eckes spielt, als wäre er ein Auftragskiller aus dem Kopf von Quentin Tarantino.
Und, nicht zu vergessen, die gefangenen Feinde, die sich von ihren Fesseln befreien können: Alonso, der König von Neapel, und sein Berater Gonzalo ruhen gerade im Kerker, da beschließen Antonio und Alonsos Bruder Sebastian, den schlafenden König zu töten. Sie schlagen Gonzalo zusammen, rammen Alonso einen Nagel in den Kopf und flüchten.
Caliban entdeckt Gonzalo, der den Angriff überlebt hat. Um sich vor der Bestie Caliban zu schützen, erzählt Gonzalo, er sei der Mann im Mond. „Ich folge dir“, beschwört Caliban. Beide machen sich auf den Weg, Prospero zu töten. Sie werden scheitern.
Ferdinand, Alonsos tot gesagter Sohn, und Miranda, beide blond und in weiß gekleidet, sind wahnsinnig vor Liebe füreinander. Prospero gibt dem Paar seinen Segen, zusammen mit Ariel singt er für sie Roy Blacks „Du bist nicht allein“.
„Ihr Nymphen“, ruft Prospero dann. Die starren Körper aus dem Untergeschoss klettern hoch, sie halten Ferdinand am Gitter fest. Miranda will Ferdinands Hose öffnen, Ariel zieht Miranda weg. Im Auftrag Prosperos macht Ariel aus dem toten Alonso einen Untoten. Der Zombi von Neapel zückt ein Messer, ersticht Ferdinand, schneidet sich die Kehle durch. Hochzeit und Trauerfeier sind hier Augenblicke voneinander entfernt – anders bei Shakespeare, der Miranda und Ferdinand glücklich und zufrieden lässt, bis ans Ende seiner Buchstaben.

Doch nicht alles ist wie im Alptraum. Garđarsson blickt zur Traumfabrik Hollywood, um Shakespeares Comic Relief ins Jetzt zu holen. Star Wars meets Matrix: Im Showdown, in dem Antonio und Sebastian gegen Prospero, aber vor allem gegen Ariel kämpfen, werden aus Taschenlampen Lichtschwerter, aus Kampfszenen Zeitlupenaufnahmen. Als Antonio und Sebastian tot sind, wirkt Garđarssons Comic Relief noch – leider zu lang.
Die Zuschauer lachen, da steht Prospero wieder alleine im Licht. Er gibt seine Zauberkraft ab, Ariel und den Nymphen schenkt er die Freiheit. „Wir sind frei“, ruft Prospero seiner Tochter zu, doch Miranda wählt den Weg nach unten, statt ihm zu folgen. „Oh, schöne, neue Welt, die solche Menschen trägt“, sagt sie zum Abschied.
Prospero, der von Freiheit gesprochen hat, endet nicht wie bei Shakespeare als befreiter Herzog. Er wird zum letzten Sträfling seiner Schattenwelt. „Lasst mich frei“, ruft Prospero ins Publikum. Die Taschenlampe geht aus.

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Bilder: © Andreas Pohlmann

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