Kultur

Die letzte Probe

Anna Kistner
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Einer der erfolgreichsten Theatermacher Deutschlands räumt seinen Posten.
Zum Ende der aktuellen Spielzeit verlässt Intendant Frank Baumbauer die Münchner Kammerspiele. Was den selbstgewählten Abgang so spannend macht: ein Neuanfang ist nicht in Sicht.

Das Publikum wird applaudieren, das Ensemble wird Zugabe rufen, die Sonne wird scheinen. Wenn Frank Baumbauer im Sommer auf die Münchner Residenzstraße tritt, um sein Theaterhaus für immer zu verlassen, wird er der einzige sein, der diesen Schritt für richtig hält. Die Münchner Kammerspiele stehen glänzend da. Die Auslastung stimmt, die Stimmung ist gut, die Kritiker sind voll des Lobes. Bürgermeister Christian Ude höchstpersönlich bat den gebürtigen Münchner um eine Vertragsverlängerung.
Baumbauer lehnte ab. Wie schon in Basel und Hamburg beendet er seine Vorstellung dann, wenn sie gerade am schönsten ist. Der einzige Unterschied dieses Mal: ein Anschlussengagement ist nicht in Sicht.
„Ich bin ein Auslaufmodell“, scherzt Baumbauer. Gerade kommt er aus einer Probe von Luk Percevals Hans Fallada Inszenierung. Der 63-Jährige wirkt entspannt. Da es für die Monate nach seiner Amtsniederlegung wenig vorzubereiten gibt, hat er momentan viel Zeit für die Fragen der Journalisten. Die wollen vor allem eines wissen: Herr Baumbauer, wie geht es jetzt weiter? Das Deutsche Theater Berlin hatte ihm ein Angebot unterbreitet, er war als Leiter der Ruhr Trienale im Gespräch. Baumbauer lehnte alles ab. Auch jetzt schweigt er sich über ein mögliches Anschlussengagement aus. Er könne seine freie Zeit gut genießen, merkt er an. Im übrigen sei er gar nicht süchtig nach Theater.

Wer Baumbauers Biographie kennt, möchte das eigentlich bezweifeln. Baumbauer ist der Sohn der berühmten Theater-Agentin Erna Baumbauer, im Elternhaus gaben sich die Schauspieler die Klinke in die Hand. Während des Germanistik Studiums in München übernahm Baumbauer erste Regieassistenzen bei namhaften Meistern wie Walter Felsenstein, als 28-jähriger inszenierte er zum ersten Mal selbst. „Ich bin nicht ans Theater gegangen, um Intendant zu werden,“ sagt Baumbauer heute. Dennoch erwies sich recht schnell, dass Baumbauers Talent weniger im Arrangieren von Stücken, mehr im Lenken verschiedenster Menschen lag. 1983 übernahm Baumbauer als Schauspieldirektor das Bayerische Staatsschauspiel, überwarf sich allerdings schnell mit der Landesregierung. Damals wie heute möchte Baumbauer mit seinem Theater „Unruhe schüren“.
Mit Erfolg gelang ihm das anschließend am Basler Stadttheater. Von 1988 an, bestritt Baumbauer fünf fulminante Jahre in der Schweiz. Mit 28 Premieren pro Spielzeit konnte er das oft als „Provinztheater“ diffamierte Haus aus seiner künstlerischen Misere herausführen und vor allem viele junge Leute für das Theater gewinnen. Sein Anschlussengagement am Hamburger Schauspielhaus begründete seinen Ruhm als erfolgreichster Theaterleiter der Neunzigerjahre. Der begnadete Leutefinder Baumbauer entdeckte Autoren wie Elfriede Jelinek und Rainald Goetz, Regisseure wie Christoph Marthaler und Luk Perceval. Das Hamburger Schauspielhaus wurde unter
ihm vier Mal zum Theater des Jahres gewählt.
Frank Baumbauer beschreibt seinen Theaterstil als „dialogisch und aktivierend“. Moderne Stücke junger Autoren, mutige Inszenierungen alter Klassiker sollten das Publikum nicht nur unterhalten, sondern fordern. „Theater ist anstrengend,“ sagt Baumbauer lapidar. Sich selbst wollte er es – trotz des Erfolgs – nie bequem machen.
Baumbauer braucht den Zustand „positiver Aufgeregtheit“. Genau deshalb verließ Baumbauer auf dem Zenit seines Ruhms Hamburg, übernahm 1998 für zwei Jahre die Leitung der Salzburger Festspiele und suchte sich anschließend die größte Herausforderung seiner Karriere: die Nachfolge von Intendant Dieter Dorn an den Kammerspielen in München.
Zurück in seiner Heimatstadt, bleib Baumbauer dem Regietheater treu. Dem schicken und eleganten Theater, das das Münchner Publikum so liebt, wollte es Baumbauer von Anfang an nicht recht machen. Mit dem „Othello“ in der kernig, fäkalsprachlichen Inszenierung von Ferindun Zaimoglu hatte er einen fulminanten Abonenntenschocker produziert. Dennoch wurde Baumbauer vom Start weg zum Berliner Theatertreffen eingeladen, was dem Münchner Großmeister Dorn seit 1995 nicht mehr gelungen war. In seinen acht Jahren Kammerspielen, ist es Frank Baumbauer letztlich auch gelungen, das Publikum auf seine Seite zu ziehen. Der Othello ist heute Kult. Politische Themenfestivals und stadtbezogene Projekte sind fester Bestandteil des Programms, sorgen für Gesprächsstoff. Baumbauer hat das Theater auch immer als Versammlungsort, als „wichtigen Impulsgeber einer Gesellschaft“ beschrieben.
Baumbauer merkt man den Stolz auf seinen Erfolg nicht an. Der Mann mit dem Schnauzer ist ein Mann der unauffälligen Gesten und Worte. Aus „persönlichen Gründen“ wollte er seinen Vertrag mit den Kammerspielen nicht verlängern. Genugtuung aus seinem dieses Mal sehr beweinten Abschied aus München möchte er nicht ziehen. Der stets um Bodenhaftung bemühte Baumbauer formuliert es bescheiden: „Es wäre doof gewesen, wenn ich überall außer in München gutes Theater gemacht hätte.“
Die spannende Frage nach der nun folgenden beruflichen Aufgabe, will Baumbauer sehr hartnäckig nicht beantworten. Auf jeden Fall fällt die Leitung eines Staatstheaters aus. Er fühlt sich mit seinen 63 Jahren zu alt. „Ich will Platz für eine junge Generation machen,“ sagt Baumbauer. Sein Nachfolger Johan Simons ist allerdings nur drei Jahre jünger als er. Auch Baumbauers berühmte Mutter ist mit 90 Jahren immer noch als Schauspieler-Agentin tätig. Schwer vorstellbar, dass sich der große deutsche Intendant im Sommer für immer vom Theaterbetrieb zurückziehen wird. Auch wenn Frank Baumbauer das anders sieht: „Ich glaube, ich kann ohne Theater leben.“
Diese Probe steht noch an.

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