Aktuell, Kultur

Europa ist am Ende und die Köpfe rollen

Natalie Adel

Was haben die übergroßen Köpfe von Angela Merkel, EZB-Chef Mario Draghi und Dutty Boukman, Anführer des ersten Sklavenaufstands 1791 in Haiti, gemein? Mit Sicherheit mehr als den Umstand, dass sie alle Teil der Peformance von bankleer sind, die in diesen Tagen auf dem Max-Joseph-Platz zu sehen ist. Wir haben uns mit Karin Kasböck und Christoph Maria Leitner, die das künstlerische Konzept erarbeitet haben, unterhalten. Bevor wir mit dem Interview beginnen können, muss allerdings erst noch der Abschleppwagen gerufen werden: Der Container der Künstler wurde zugeparkt, die Performance kann so nicht beginnen und die Polizei muss entscheiden, ob die Falschparker entfernt werden können. Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hat, nimmt sich Christoph Maria Leitner Zeit für meine Fragen.

Was steckt denn eigentlich hinter bankleer?

Wir kommen aus Berlin und arbeiten mitllerweile schon seit 17 Jahren zusammen, häufig auch in größeren Kollektiven. Aktiv sind wir vor allem bei Innenstadtaktionen wie jetzt hier in München oder auch im Bereich des Videoaktivismus. Oft erarbeiten wir auch mit “anderen” Menschen zusammen, beispielsweise Architekten oder Kunstwissenschaftlern, verschiedene Ausstellungsprojekte. Die Kerngruppe als Künstlergruppe sind allerdings wir beide, Karin Kasböck und Christoph Leitner. Unser Arbeitsschwerpunkt liegt ganz klar auf der Ökonomiekritik, wir haben viel zur Finanzkrise gemacht und jetzt auch zur Migraion.

 

Das ist auch ein großes Thema bei eurer aktuellen Performance Die Irrenden. Europäische Defigurationen. Wie ist dieses Projekt entstanden?

Die Irrenden ist ein Teil einer Projektreihe, die es seit ca 2013 gibt. Gemeinsam mit dem Maxim Gorki Theater in Berlin haben wir diese entwickelt. Es gibt übergroße Köpfe, die sich eskalierend im öffentlichen Raum bewegen und zwar Dutty Boukmann, Mario Draghi und Angela Merkel. Diese werden lebendig und sprechen genauso untereinander wie auch mit dem Publikum.

Eine Besonderheit in München ist, dass wir die Chance hatten, noch mit zwei weiteren Figuren zu arbeiten. Die Figur WIR Europa und das kleine A, welches im Container ist, sind neu dazu gekommen. Diese bewegen sich alle hier am Max Joseph Platz.

die Irrenden2

Eure Performance dauert ziemlich lange, insgesamt vier Stunden. Wahrscheinlich wird kaum jemand alles davon sehen können. Wie wichtig ist euch euer Text? Bekommt auch das Laufpublikum etwas von eurer Botschaft mit?

Wir richten uns auch an das Laufpublikum. Man kann sagen, wir zeigen eine Art “Stück”, in dem jeder Schauspieler um die zwanzig Minuten Text hat. Zusammen ergibt das vierzig Minuten. Das wiederholt sich dann mit leichten Veränderungen und Variationen. Ein neuer Faktor dabei sind natürlich immer die Besucher und Touristen, die hier vorbeiströmen. Auf die wird besonders eingegangen. Die Performance mäandert, es gibt sehr intensive und weniger intensivere Momente. Dazu kommt noch ein Megafon-Rad mit einem installierten Soundsystem, das um den Schauplatz fährt. Der Raum um uns herum wird somit mit Sounds eingefärbt. Diese Sounds hat Patric Catani für uns gemacht. Wir transportieren also auch sehr viel über die Atmosphäre, bringen aber auch immer wieder Demoansagen.

 

Thematisch geht es um globale Finanz-und Migrationsströme. Was genau verhandelt ihr in Die Irrenden?

Es wird Europa thematisiert. Die Flüchtlinge zeigen uns eine Misere. Als Wirtschaftsraum funktioniert Europa sehr gut, aber darüber hinaus gibt es keinen Weg in die Zukunft. Es wird viel gestritten, es ist erbarmungswürdig wie Schutzbedürftige trotz so viel westlichem Reichtum hier behandelt werden. Europa bleibt als emanzipatorisches und modernes Projekt auf der Strecke und definiert sich hauptsächlich über Ökonomie.

Daher legen wir den Fokus unserer Arbeit auch immer wieder auf Finanzen und Wirtschaft, das das einfach die Hypostruktur ist, die unser gesamtes Zusammenleben strukturiert. Und das geht normativ in alle Lebensbereiche hinen. Die Flüchtlinge, die jetzt zu uns gekommen sind, erinnern uns daran, sie zeigen die Umkehrseite. Vor dieser konnten wir lange die Augen verschließen und wegsehen. Vielleicht neigt sich dieser Zustand jetzt aber dem Ende zu und es wird etwas Neues passieren. Und vielleicht ist genau das jetzt der Anfang von etwas Neuem. Dafür wollen wir mit diesen Köpfen Bilder schaffen. Auch als Sinnbild dafür, dass wir mit den Problematiken, die jetzt auf uns einprasseln nicht mehr umgehen können. Um das zu verdeutlichen greifen wir auf ein karnivaleskes Moment der Umkehrung, Vergrößerung und Verzerrung zurück. Darüber entwickelt sich etwas Fremdes und wird zugägnlich. Dieses Fremde könnte vielleicht sogar der Ansatzpunkt einer neuen Gesellschaft sein, über den wir uns treffen und austauschen. Auch WIR Europa fragt im Laufe der Performance danach.

die irrenden(1)

Hast du zum Abschluss denn noch einen Wunsch für die nächsten Tage? Was erfhoffst du dir von der Performance?

Ich wünsche mir Reibung und Dissens. Und natürlich auch besseres Wetter für die nächsten Tage.

 


Das wünscht Mucbook bankleer natürlich auch. Vielen Dank für das Interview.

 

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons