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Gastbeitrag: Warum ist München so unfreundlich?
- Gastbeitrag: Warum ist München so unfreundlich? - 18. September 2024
Ein Plädoyer für weniger Granteln und mehr gute Laune im öffentlichen Raum.
Kennt ihr das? Es ist ein sonniger Freitag, ihr lauft verträumt an der Isar entlang. Die Vögel zwitschern, das Wochenende steht vor der Tür und plötzlich brüllt jemand euch von hinten an: „Runter vom Radweg du Vollidiot!“
Zuerst fragt ihr euch vielleicht, wie jemand an einem so wunderbaren Tag so aggressiv sein kann. Doch dann fällt euch wieder ein, dass ihr in München lebt – der Hauptstadt der Unfreundlichkeit.
Egal ob strömender Regen oder strahlender Sonnenschein. In München wartet man darauf, die eigene schlechte Laune auf andere übertragen zu können. Und wehe dem, der gut gelaunt durch die Straßen wandelt. Musik hören an der Isar, verliebte Pärchen auf einer Parkbank, lachende Kinder, all das will man nicht haben. Denn man kann es ja unmöglich riskieren, dass hier irgendwelche dahergelaufenen Haderlumpen ihre ätzende gute Laune verbreiten.
Unfreundlichkeit beginnt im Kleinen
Hier sollte man als Münchner:in am besten sofort reagieren und diese Grantler brüllend auf ihren Platz zurück verweisen. Wo kämen wir denn da hin wenn hier jeder zu jedem freundlich wäre? Am Ende wären dann die Leute noch gut gelaunt.
Oft fängt diese Unfreundlichkeit schon im Kleinen an: Der Kassierer im Supermarkt wird weder mit einem Lächeln noch mit einem: „Wie geht’s Ihnen?“, begrüßt. Der Kellner freut sich nicht dich zu sehen sondern fühlt sich durch die Gäste eher gestört („Was woits ihr“). Man steht schweigend und Blickkontakt-vermeidend an der S-Bahn und wartet angespannt darauf, sich endlich seinen Weg zu einem Viererplatz zu kämpfen. Am besten einer, an dem kein anderer sitzt. Aber woher kommt dieser Missmut und diese Unfreundlichkeit?
Deutsche Distanziertheit?
Auf den ersten Blick gibt es in München keinen Grund, schlecht gelaunt zu sein. Es herrscht ein hoher Lebensstandard, die Straßen sind sicher und sauber und die Stadt ist weltweit berühmt für ihren einzigartigen Flair. Biergärten, Jobs, Geschichte, Kultur, eine erstklassige Infrastruktur und das alles abgerundet mit dem größten Stadtpark der Welt. Was will man mehr? Wie unzählige Rankings beweisen, leben die Menschen hier besser als in vielen anderen Städten der Welt. Und doch herrscht ein allgemeines Klima der Unzufriedenheit, das sich vor dem Hintergrund der hohen Lebensqualität in dieser wunderbaren Stadt nur schwer erklären lässt. Woher kommt dieser Missmut?
Zum einen basiert dies zu einem gewissen Teil an der allgemeinen deutschen Distanziertheit, die auch vor München keinen Halt macht. Gute Laune und Herzlichkeit sind keine klassischen deutschen Eigenschaften, was sicherlich nicht zuletzt an den langen Wintern liegt, die uns insbesondere im Februar jegliche Ausgelassenheit rauben. Hinzu kommt in München der häufig missverstandene bayrische Grant. Dieser Grant ist häufig bei alteingesessenen Einwohner:innen anzutreffen und wird leider oftmals von Zugezogenen als Unfreundlichkeit fehlinterpretiert und entsprechend verzerrt wiedergegeben.
Der Bayrische Grant in seiner eigentlichen Form hat jedoch eher etwas Humoristisches und ist niemals böse gemeint. Vielmehr ist es eine humoristische Art, sich über gewisse Dinge zu beschweren. Beispielsweise über das Wetter. Denn über das Wetter in Bayern kann man sich eben auch zu genüge aufregen. Wer hier einmal drei Wochen Regen im Mai erlebt hat, dem ist schnell klar warum den Leuten hier die unbeschwerte Leichtigkeit fehlt. Wird dieser Grant jedoch fälschlicherweise als ernsthafte Beschwerde oder gar aggressiv gedeutet, kann dies schnell zu einem kulturellen Mischverständnis führen. Und so werden auch neu Zugezogene unfreundlich, weil sie erwarten, dass ihr Gegenüber auch unfreundlich ist. Die Leute sind im Alltag oft völlig überrascht, wenn man im Supermarkt einen Kassierer fragt, wie es ihm geht. Sowas kann ja nur jemand fragen der entweder Tourist ist oder geistig nicht ganz zurechnungsfähig.
Ein weiterer Grund für die miese Launer vieler Münchner:innen dürfte der allgemeine Leistungsdruck in dieser Stadt sein. Ja, in der Stadt sind die Job-Aussichten deutlich besser als in vielen anderen Teilen des Landes aber dadurch steigt auch die Erwartung an die Einzelnen. Du hast hier so viele potenzielle Möglichkeiten, also musst du sie auch nutzen. Wehe dem der keine Ambitionen hat, Karriere zu machen oder es gar wagt, einen künstlerischen Beruf zu ergreifen. Wozu solltest du entspannt deiner Leidenschaft für Musik nachgehen, wenn du auch für 100.000 im Jahr bei BMW arbeiten kannst?
Es könnte so schön sein
Dieser Druck fängt schon vor dem Berufsleben an. Wie du studierst nicht? Hier gibt es doch zahlreiche erstklassige Hochschulen. Du bist über 30 und verdienst immer noch nicht sechsstellig? Was haben deine Eltern nur falsch gemacht? Das Überangebot an Bildung und hochbezahlten Jobs erzeugt einen enormen Druck auf die Einwohner:innen der Stadt, unbedingt das meiste aus sich selbst rauszuholen. Man muss kein Psychologe sein, um zu erkennen, dass dieser Druck und der ständige Vergleich untereinander zu einer gewissen Unzufriedenheit führt: Wieso fährt er ein besseres Auto als ich? Wie kann sich dieser Typ eine Rolex leisten? Man findet ständig jemanden auf der Straße der oder die scheinbar erfolgreicher ist als man selbst.
Aufgrund des Wohlstandes und des ständigen Vergleiches werden Statussymbole auch gerne zur Schau gestellt. Man will ja selber schließlich auch Teil des Spiels sein. Im Prinzip ist München damit ein real gewordenes Instagram. Nach außen wirkt plötzlich jeder reich. Und wie bei Instagram ist auch hier das meiste mehr Schein als sein. Aber was soll’s. Dieser Typ fährt einen M4 und ist genauso alt wie ich. Ich hasse ihn.
Bei all diesen Herausforderungen, mit denen wir tagtäglich in München zu kämpfen haben, sollten wir dennoch nicht vergessen, wie schön es sein kann, in München zu leben. Einer wunderbaren Stadt im Zentrum Europas, in der man alles findet, was man für ein gutes Leben braucht. Stellt man die Lebenssituation in München in den weltweiten Vergleich, gehören wir definitiv alle zu den Gewinnern auf dieser Welt. Das ist eine Tatsache, die doch ausreichen sollte, uns jeden Morgen ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Ich jedenfalls, werde heute den Kassierer im Supermarkt fragen, wie es ihm geht. Auch auf die Gefahr hin, dass mich alle Umstehenden für einen Psychopathen halten werden.
Foto: Julian Giuliani