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Gutes Wachstum

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Konzerne und Konsumenten haben die Moral entdeckt. Das Problem: Grüner Einkaufen rettet vielleicht die Wirtschaft, aber kostet uns womöglich die Welt.

Während kurz vor Weihnachten der Klimagipfel in Kopenhagen an den Wirtschaftsinteressen der Industrieländer scheiterte, waren in den deutschen Städten die Straßen voll. Die Menschen erfüllten ihre erste Bürgerpflicht: Sie gingen einkaufen. Shopping ist der Motor des Kapitalismus. Ohne Konsum kein Wachstum, keine Arbeitsplätze, kein Wohlstand. Es ist diese simple Rechnung, die längst nicht mehr aufgeht, aber beständig aufgemacht wird. Neu ist nur, dass jetzt auch die Weltrettung davon abhängen soll. „Ohne Wachstum können wir keines unserer großen Probleme lösen“, sagt Norbert Röttgen. Dass die Abwrackprämie, eine gigantische Ressourcen- und Steuerverschwendung zur Rettung der Auto-Industrie, den Menschen als Umweltprämie angepriesen wurde, dass Röttgen, der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie hätte werden können, jetzt Umweltminister ist: Das sind Belege dafür, wie groß die Überzeugung ist, dass die Lösung sämtlicher Weltprobleme in den Händen der Wirtschaft liegt.

Die Konzerne haben neuerdings die Moral entdeckt. Die Unternehmensberatung McKinsey sieht die Zukunft im ethischen Wirtschaften, Wirtschaftskongresse beschäftigen sich mit der „Moral der Märkte“ und es gibt fast keinen Konzern, der seine „Verantwortung“ nicht auf der Homepage beschrieben hätte. Mehr als die Hälfte der Deutschen sieht „verantwortlich handelnde Unternehmen“ als Krisen-Gewinner. Das ist ein Ergebnis der Trendstudie 2009 der Otto-Group, die darin die „Zukunft des ethischen Konsums“ untersucht.

Ethischer Konsum ist das Verbraucher-Pendant zur Moralwirtschaft. Lifestyle of Health and Sustainability (kurz: Lohas) heißt der moralisch verbrämte Shoppingtrend. Die Idee dahinter: Wenn genug Menschen ökologische und sozialverträgliche Produkte kaufen, stellen Unternehmen nur noch „gute“ Produkte her. Laut Otto-Studie interessieren sich 90 Prozent der Deutschen für ethischen Konsum.

Dass die Verbraucher verstehen, unter welchen Bedingungen ihre Produkte entstehen, darauf arbeiten Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen seit Jahrzehnten hin, um mit öffentlicher Empörung Druck auf die Politik auszuüben, Gesetze zu etablieren, die die Unternehmen zum besseren Wirtschaften zwingen. Eine politische Bewegungsind die Lohas aber nicht. Es gibt keine homogene Gruppe, die nach festen Grundsätzen oder politischen Zielen handelt. Leider hat eine Ansammlung individueller Konsumenten keinen Einfluss auf ein großes Ganzes. Schon deshalb, weil ethischer Konsum keine kritische Masse erreicht: 88 Prozent der in der Studie Befragten wissen, dass ihr Konsum Teil des Problems ist. Aber nur 25 Prozent wollen ihr Konsumverhalten ändern.

Das wäre zwar dringend angezeigt – doch Verzicht ist in einem System, das auf Wachstum setzt, nicht vorgesehen.

Deshalb stellen die Unternehmen mit ethischen Versprechen veredelte Produkte ins Regal: Fischstäbchen aus überfischtem Alaska-Seelachs, von deren Erlös an Meeresschutzprojekte gespendet wird. Eine Bio-Limo aus exotischen Früchten, die das „Getränk einer besseren Welt“ sein will. Windeln, mit deren Kauf man einem armen Kind eine Polio-Impfung spendiert. Ein Putzmittel, das sich Öko nennt, obwohl es aus Palmöl besteht und die Ölpflanzen auf gerodetem Regenwaldboden wachsen.

Autos, für deren Kauf der Händler Bäume pflanzen lässt. „Greenwashing“ nennt sich das PR-Geschäft, das suggeriert, dass selbst dreckigste Produkte öko sind. Das Problem ist aber nicht die Täuschung, sondern die Bequemlichkeit der Kunden. Die Unternehmen machen es ihnen gern möglich, einfach zum gut scheinenden Produkt greifen zu können. Damit lässt sich ein gutes Geschäft machen. Vor allem, weil sich konsumfreudige Besserverdienende für den Öko-Lifestyle interessieren. „Gutes Gewissen“ ist das neue emotionale Attribut der alten Warenwelt.

Es gibt aber nicht für jedes Produkt einen korrekten Ersatz. Der Kunde kann sich meist nur für ein ethisches Kriterium entscheiden, kauft aber alles mit, was am Produkt hängt.  Wer im Discounter «bio» und «fair» kauft, unterstützt das Preisdumping der Billigketten, die Lebensmittelproduzenten weltweit in die Armut treiben. Wer „grünen Strom“ von einem konventionellen Anbieter bezieht, unterstützt zugleich Kern- und Kohlekraft. Wer Recycling-Turnschuhe von Adidas kauft, akzeptiert die entsetzlichen Bedingungen in den Sweatshops. Es gibt kein richtiges Einkaufen im falschen Weltwirtschaftssystem. Dieses aber zementiert der ethische Konsum, weil er dringend nötige Gesellschaftsdebatten den PR-Abteilungen der Konzerne überlässt. Unternehmen sind keine Personen, die ihr Handeln aufgrund von Erkenntnis ändern können. Sie agieren innerhalb der Strukturen einer Konkurrenzwirtschaft. Dort lässt sich umso mehr Profit machen, je billiger sie herstellen. Das geht am besten da, wo man auf Menschenrechte und Umwelt keine Rücksicht nehmen muss. Es ist ein von Konzerinteressen geleitetes globalisiertes Wirtschaftssystem, das dies ermöglicht. Ändern können das nur Gesetze, nicht das moralische Wohlgefühl westlicher Konsumenten. Und erst recht keine Unternehmen, die von diesen Strukturen profitieren. Ethischer Konsum ist ein Ablasshandel, der dafür sorgt, dass alles bleibt, wie es ist: Die Unternehmen können ihre verheerende Wirtschaftsweise behalten, die Konsumenten ihren aufwendigen Lebensstil.

Kathrin Hartmann, Jahrgang 72, ist Autorin des Buchs «Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifetsyle-Ökos vereinnahmt», Blessing Verlag / EUR 16,95. Blog: www.ende-der-maerchenstunde.de

Der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe von mucs erschienen, dem München-Magazin der Jungen Volkshochschule. Die ganze Zeitschrift gibt’s unter mucs-magazin.de.

Illustration: Christoph Ohanian

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