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Home Stories aus München: Reise ins Wunderland von Simon Lohmeyer

Anna-Elena Knerich

Man kennt ihn. Meist strahlend, umgeben von schönen Menschen (Frauen), gut gekleidet – oder nackt. Man kennt auch seine Bars, seine Fotografien. Er ist ständig in der Weltgeschichte unterwegs, hat in Kapstadt, New York, Australien und Mexiko gelebt – und doch hat er seine feste Basis in München, seiner Geburtsstadt.

Als ich vom Max-Weber-Platz zu seiner Wohnung laufe, bin ich gespannt, was mich erwartet: Vielleicht so ein stylisher Loft, wie man ihn aus Model-Serien kennt? Oder eher eine Art Atelier? Nichts dergleichen, wie ich bald feststelle. Früher war hier mal ein Puff, heute hat der Innenhof mit den rot-weiß gestrichenen Balkonen Flair. Hier ist also der Rückzugsort von Simon Lohmeyer.

Shower in the kitchen.

Weil Simon den Eingangsbereich zu seinem begehbaren Kleiderschrank umfunktioniert hat, kommt man nur durch die Balkontür in seine Wohnung und steht dann direkt in der Küche. Ich bin zunächst ein bisschen geplättet: Eine ähnliche Einrichtung habe ich mal bei einem meditierenden Indianer-Hippie in Argentinien gesehen – aber hier, im Münchner Osten!?

Sammelsurium an Kuriositäten und “Herzstücken”

Während Simon uns Rooibostee zubereitet, bestaune ich die vielen Kuriositäten: Traumfänger, aufgespießte Schmetterlinge in allen Farben und Größen, abgefahrene Brillen und Stiefel, ledergebundene Bücher und große Bildbände, Pflanzen, Kristall- und Edelsteine, eine Krokodilhaut, zwei Surfbretter, ein Amulett mit einem Affenschädel…
Hinter jedem “Herzstück”, wie Simon es nennt, steckt eine Geschichte. Als er zu erzählen beginnt, ertappe ich mich immer wieder dabei, wie mein Blick neugierig umherstreift.

The one you are looking for, is you.

hat er an die Wand geschrieben. Auf der Suche sein, nach der Freiheit, nach sich selbst… Sehnsucht ist wohl ein großes Thema von Simon. Er betont ja immer in Interviews, dass seine Eltern – die Mutter Goldschmiedin, der Vater gelernter Gärtner und Architekt – ihm Freiheitsliebe und Ungezwungenheit vorgelebt haben und sich diese Prägung heute in seinen Nacktfotografien widerspiegelt. Doch ganz unbeschwert war seine Jugend nicht, deshalb zog er auch schon früh zuhause aus.

heroinSein Vater war heroinabhängig, erzählt mir Simon, aber “trotzdem immer ein guter Vater”. Später verarbeitete Simon diese Diskrepanz zwischen der “heilen” Familienwelt und der Drogensucht mit einem Blumen-Stilleben in Goldrahmen, über dem in Leuchtschrift Heroin steht.

“Diese Wohnung ist komplett ICH

Mit 17 zog er in seine jetzige Wohnung – das war vor zehn Jahren. “Damals war das hier eine verschimmelte Bruchbude. Ich habe alles selbst renoviert und musste handwerklich viel lernen”, erzählt er lachend. Er hat gebohrte Löcher wieder zugegipst, weil plötzlich Stroh aus der Wand zum Vorschein kam, aber dann bohrte er eben ein neues. Er hat die Wohnung schon etliche Male gestrichen und verändert. Sie ist stetig im Prozess – immer so, wie er sich gerade fühle, sagt er.

Seine Möbel sind fast alle vom Antikmarkt und sehr bewusst ausgewählt: “Anstatt zu IKEA zu gehen, habe ich lieber so lange keinen Tisch, bis ich den richtigen finde.” Vieles hat er auch von seinen Reisen mitgebracht, etwa die Amulette oder die verwunschenen Schlüssel. Die Faszination für Steine hingegen hat er von seiner Großmutter.

Entdeckung am Würstchenstand

Um sich die Bude leisten zu können, hat Simon schon während seiner Schulzeit bei Tengelmann, in diversen Bars und im Catering gejobbt. Er trug gerade eine rote Weihnachtsmütze und verkaufte Würstchen, als Carsten Klermund auf ihn zukam – und ihn als Model entdeckte. Klermund vermittelte ihm Agenturen für die ganz großen Fashion Shows und ist auch heute noch Simons Booker: “Dank ihm konnte ich plötzlich überall auf der Welt leben”, erzählt Simon, der nach dem Abitur nach Kapstadt zog. Dort lebte er in einem Model-Apartment und genoss den Lebensstil der Models mit allem, was dazugehört: Frauen, Parties, Alkohol.

Warum er Schmetterlinge sammelt? 

“Ich mag die Vorstellung, dass sie sich aus dicken, vollgefressenen Raupen entpuppen.”

Der Menschensammler

In Südafrika begann Simon aber auch, mit seiner kleinen Nikon Coolpix die intensiven Momente seines Lebens einzufangen: seine (nackte) Freundin, die Menschen in diesem Land, die Natur. “Da widersprechen mir sicherlich viele, aber für mich hat Fotografie nichts mit Technik zu tun”, sagt er. Er habe immer “irgendwie an der Blende herumgedreht”, bis er das vor der Linse hatte, was er in dem Moment gesehen und gespürt habe – das sei auch heute noch so.

In Australien motivierten ihn Freunde dann, bei einem Foto-Award zum Thema “Uniform” mitzumachen. Simon machte nachts Porträts von Obdachlosen, gewann damit den Award und durfte erstmals seine Bilder ausstellen. Er liebt es, die Geschichten der Menschen festzuhalten, zu dokumentieren und sie in sich aufzusaugen: “Ich sammle Menschen wie Schuhe”, sagt er und lacht.

Über die Licht– …

Zur gleichen Zeit hat er auch seinen “Dirtyblog” ins Leben gerufen, der binnen kürzester Zeit weltweit durch die Decke ging: Das Foto von einem nackten Mädchen mit George W. Bush-Maske wurde hunderttausendfach geteilt. Dann nahmen die Dinge ihren Lauf, Magazine kamen auf ihn zu – plötzlich war er nicht nur Model, sondern auch ein bekannter Fotograf und Lifestyle-Blogger. “Irgendwie verrückt, wie das alles gelaufen ist”, sagt Simon nachdenklich. Sein Leben ist sein Beruf geworden.

… und Schattenseiten von Social Media

Ich will wissen, ob das ihn als Freigeist nicht auch einschränke – immer auf allen Hochzeiten tanzen zu müssen, die “normale” Welt via Instagram am schillernden Leben der Reichen und Schönen teilhaben zu lassen, von Laufsteg zu Laufsteg zu hasten, Kontakte in der Branche zu knüpfen und sich mit jedem gut zu stellen?

 “Natürlich ist Socialising verdammt anstrengend – aber das ist mein Job. Trotzdem gibt es genauso viele Tage, an denen ich mit niemandem etwas zu tun haben will. An denen ich traurig bin, mir Gedanken über die Welt mache, alleine zuhause einen Joint rauche. Das sieht nur niemand auf Facebook, darum ist Social Media eigentlich echt eine Verarsche.”

Was wirklich zählt

Simon erzählt von den schwierigen Zeiten seines Lebens, in seiner Familie. Vom tragischen Verlust seiner kleinen Schwester vor fünf Jahren. Doch Gejammer erträgt er nicht, es gibt immer Auswege, findet er: “Ich habe mich für’s Leben entschieden und versuche, aus allem das Beste zu machen.” Eine Person hat ihn durch alle Phasen begleitet und ist seit über 15 Jahren die wichtigste in Simons Leben: sein bester Freund Mario. Er ist bei jeder Reise dabei und Simon zufolge können die beiden Freunde auch gut zusammenarbeiten. “Mario ist sehr weltoffen und kommt mit jedem klar”, sagt Simon. Auch er versuche, allen Menschen ohne Vorurteile entgegenzutreten, denn seiner Meinung nach ist jede Begegnung bereichernd. Simon bekommt selbst oft Vorurteile zu spüren – und das nicht nur, wenn es heißt: “Du bist ja ganz anders, als ich dachte!”

Darum möchte er jedem eine Chance geben: Von seinen 5000 Facebookfreunden haben acht die AfD geliked, was ihn eigentlich fassungslos machte – doch Simon schrieb jedem einzelnen eine Nachricht und bat darum, ihm die Beweggründe für ihre Meinung zu erklären. Eine nachvollziehbare Begründung erhielt er nicht, aber er habe zumindest versucht, sie zu verstehen. Und darauf komme es ihm an. “Vielleicht will ich mich aber auch nur mit allen gut stellen, weil ich irgendwelche Verlustängste habe”, gibt Simon ehrlich zu. Denn er sei immer traurig, wenn man ihn nicht mag  – womit man aber, gerade in seinem Beruf, leben können muss.

Fly high, lay low – oder: Die Kunst des Gleichgewichts

Wir kommen noch einmal auf die Modewelt zu sprechen – ist sie ihm nicht manchmal zu oberflächlich? Zweifelt er manchmal an dieser Welt? “Wo Licht ist, ist auch Schatten”, erwidert er. Und dass man auch in dieser Welt, in der es letztendlich um Konsum geht, Verantwortung übernehmen kann und sollte: Fashion-Blogger könnten beispielsweise ihre enorme Reichweite und ihren Einfluss auf Jugendliche nutzen, um Werte zu vermitteln. “Es muss ja nicht jeder die Welt verändern”, findet Simon, aber eben einen kleinen Beitrag dazu leisten.

Generell gehe es ihm immer um ein Gleichgewicht: Wenn er tagsüber mit Museumsdirektoren über Kunst diskutiere, brauche er zum Ausgleich eben den “easy talk” auf einer Party. “Da lasse ich dann meine Seele baumeln, so wie andere beim Fernsehen”, erklärt er.

Entspann dich mal!

Einen Fernseher hat er nicht, dafür aber sehr viele Bücher. Eines seiner Favoriten ist “Shantaram” von Gregory David Roberts, doch vor zwei Jahren ist er zu Hörbüchern übergegangen – laut App hat er im letzten Jahr drei volle Monate nur damit verbracht. Über seinem gemütlichen Bett hängt eine Art Baldachin und an der Wand steht in Leuchtschrift “entspann dich mal”. Dieser Aufforderung kommt er gern nach: “Ich glaube, ich bin schlafsüchtig”, verrät er. Er brauche nämlich mindestens elf Stunden Schlaf – darum ist er auch froh, seine Bar in der Frauenstraße an einen Kumpel verkauft zu haben: “Auf Dauer ist das Nachtleben echt anstrengend.”

“Ich bin kein Model. Das haben andere nur aus mir gemacht”

Obwohl er dieses Leben natürlich genießt, war es nie Simons Traum, Model zu werden. Man habe ihn eben zu einem gemacht – aber das sei ja nicht er selbst, sagt er. Ihm fehle etwas Entscheidendes in dem Beruf: “Als Model schlüpft man ständig in Klamotten, alles dreht sich um die Marke – aber nicht um den Menschen selbst.” An einer Wand hängt eine Anatomie-Lehrtafel mit den Muskelsträngen des menschlichen Körpers. “What is stopping you?”, hat er aus Geldscheinen ausgeschnitten und darüber geklebt. Simon erklärt mir, was er damit sagen will: “Der Körper ist so perfekt, also was zur Hölle kann uns stoppen?” Genau darum fasziniere ihn die Nacktheit an sich – beim Fotografieren genauso wie bei der Eichenholz-Vagina, die er von einer Bildhauerin anfertigen ließ, oder natürlich “in real”.

Mexiko, Sternschnuppen…

Es gibt ein schönes Wort aus dem 18. Jahrhundert, das Simon ganz gut beschreibt: Tausendsassa (heute würde man wohl Multitalent sagen). Er ist Model, Fotograf, Blogger, Traveller, Barbesitzer und Künstler – gerade liegt auf seinem Fußboden ein noch unfertiges Relief, das er für einen Freund gegossen hat – und wollte nie etwas anderes machen. “Ich habe noch niemals einen Lebenslauf geschrieben und meine Eltern haben oft gefragt, wann ich endlich studiere”, verrät er. Mittlerweile seien seine Eltern aber stolz auf ihn und ihr Verhältnis sehr gut.

Simon plant immer neue Projekte, sei es eine Unterwäsche-Kollektion oder einen Film über die Rosen von Jericho, die er auf einem Felsen außerhalb von Mexico City gefunden hat. Mexico City – das ist seine absolute Lieblingsstadt: “Dort war ich immer am glücklichsten, ich liebe die unberührte Natur, die Menschen, das Essen… Ich arbeite gerade darauf hin, dort die nächsten drei, vier Jahre zu leben”, sagt er.

… und die Sache mit dem Altern

Er ist nun 27 und ich will wissen, ob er – gerade als Model – nicht Angst vor dem Älterwerden habe. Im Gegenteil, er könne es kaum erwarten, älter zu werden, lautet seine Antwort. Und Familie? “Bei jeder Sternschnuppe wünsche ich mir, mal gesunde Kinder zu bekommen – und so langsam wäre ich auch bereit dazu”, meint Simon mit einem Schmunzeln. Bis dahin sei er aber auch froh, noch Fehler machen und daraus lernen zu können – und dabei nur Verantwortung für sich selbst zu tragen.

Wohin ihn das auch führt, München bleibt dabei seine Basis und sein “Ruhepol” – einen Einblick darin zu erhalten, war sehr bereichernd und spannend. Ich danke Simon, dass er uns die (Balkon-)Tür zu seinem Rückzugsort geöffnet und die Geschichten von seinen “Herzstücken” und von sich selbst mit uns geteilt hat.


Photocredits: © Sebastian Gabriel

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