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“Ihr könntet dort auch einziehen”

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In nicht einmal mehr zwei Wochen ist es soweit: Die 60 Performer des Dauerperformanceprojets “Konkordia” ziehen tatsächlich ein. Und zwar in die Schaustelle der Pinakothek der Moderne, für neun Tage. Mit ihnen einquartiert werden: Etliche Überwachungskameras, Bewegungslinien und ein Computer-System, das ihnen sagt, was sie machen sollen.
Mucbook hat das Kapitael 2 Kolektif für euch zu Konkordia interviewt und viele interessante Antworten erhalten.


Ein Interview mit dem Kapitael 2 Kolektif über das Dauerperformanceprojekt “Konkordia”

Mucbook:
„Der Staat im Staate“ – kein selten diskutiertes und auch ein künstlerisch gerne behandeltes Thema. Doch ein Performance-Projekt wie Konkordia sieht München nun zum ersten Mal. Wie ist diese Idee entstanden?

Kapitael 2 Kolektif: Die Idee entstand bei einem Treffen zwischen Bernhart Schwenk, Kirsten Storz, Corinne Rose und Ersan Mondtag. Als die Anfrage kam, etwas in der Schaustelle zu tun, war schnell klar, dass das keine zwei bis drei Stunden Geschichte sein soll, sondern etwas, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Bernhart Schwenk sagte den Satz „Ihr könntet dort auch einziehen“ und schon fing das Rad an, sich zu drehen. Das Team tauschte sich drei Monate lang übers Internet aus. Olga Bach und Ersan Mondtag entwickelten daraus das heutige Konzept zu KONKORDIA.


Schauspieler und Musiker, Ärzte oder Psychologen, Geistes- und Naturwissenschaftler, all diese Berufe sollen in Konkordia vertreten sein. Handelt es sich hierbei um Berufe, die die Performer auch im „echten“ Leben ausüben oder werden diese zu „Spielbeginn“ verteilt?

Jeder Mensch, der dort einzieht, hat eine Profession oder Talente und wird dementsprechend eine Funktion zu Spielbeginn bekommen, die seiner Profession gerecht wird. Bei Psychologen und Ärzten ist das am klarsten vordefiniert. Diese werden tatsächlich nur als solche eingesetzt. Die Malerin, die einzieht, wird sicherlich auch als Köchin, Servicekraft, oder Einreisebeamtin arbeiten, da jeden Tag nur vier Künstlerstipendien vergeben werden. Das bedeutet: Jeden Tag dürfen vier Einzelkünstler mit drei Assistenten an einem Atelierplatz arbeiten, die entstehenden Kunstwerke werden am Folgetag ausgestellt. Dafür gibt es Bewerbungsverfahren. Beamte im Kultusministerium entscheiden, welcher Künstler ein Stipendium bekommt. Hat man kein Stipendium, ist man arbeitslos und wird durch das Verwaltungsamt für eine andere Tätigkeit disponiert.


In dem Projekt werden natürlich einige Performer aus euren eigenen Reihen stammen, doch ihr sucht auch noch weitere Teilnehmer. Die Künstler des Künstlerkollektivs werden in Konkordia natürlich kreativ aktiv sein, aber was machen die anderen den ganzen Tag, die, die keine Bilder malen oder Ausdruckstänze vorführen?

Das Kollektiv besteht nicht aus Künstlern, sondern aus Personen, die ein Gesamtkunstwerk schaffen. Unter diesen Personen gibt es auch ein paar Künstler. Wir alle werden in Konkordia als Ärzte, Polizisten, Köche, Tänzer oder Maler mit einziehen. Alle Personen, die in Konkordia leben, bilden zusammen eine gemeinsame Bevölkerung. Da gibt es keine Unterschiede zwischen Leuten, die bereits im Kollektiv gearbeitet haben, oder jetzt erst dazu stoßen. Täglich müssen „Touristen“ bei der Einreise kontrolliert und abgefragt werden, täglich müssen Diskussionsforen vorbereitet werden. Jeder kann sich für das Amt des Präsidenten bewerben. Der Präsident bestimmt seine Minister. Allein die Regierung mit allen Ministern und Beratern umfasst knapp 15 Personen, die permanent beschäftigt sind. Der Sicherheitsapparat umfasst 14 Mitarbeiter. Wir haben einen eigenen Medienapparat mit Podcast, Interviews und Portraits, die von Kamera- und Tonleuten, JournalistInnen und Redakteuren erarbeitet werden. Wir werden alle statistisch erfasst, um Konkordia zu optimieren. Neben der aktiven Arbeit gibt es täglich Stationen, die jeder Bürger durchwandert – das Gesundheitszentrum, das Therapiezentrum, die Schule, um nur einige zu nennen. Abends werden Freizeitaktivitäten besucht, wie Kino, Konzert und Performance. Es gibt also viel zu tun.


Auch wenn die Konkordianer sich auf festgelegten Bewegungslinien fortbewegen, so kann es doch passieren, dass sich zwei Einwohner des Mikrostaates zufällig gegenüberstehen. Die Regel für diesen Fall lautet: Entweder sie müssen sich nun küssen oder schlagen, evtl. so lange, bis die Polizei eingreift. Menschen ohne Stuntman-Berufe, die sich ohne mit der Wimper zu zucken einfach schlagen, kann das funktionieren?

Das ist eine Situation, die wir gerade konzeptuell überdenken. In der Regel sollte das nicht vorkommen. Der ursprüngliche Gedanke des sich Schlagens umfasst jedoch formalisierte Abläufe und Regeln. Die Einwohner werden auf jede Situation vorbereitet und das Wichtigste ist, dass niemand körperlich verletzt wird. Also Stuntman muss man nicht sein, Pornodarsteller auch nicht.


Vom 03.-05. September soll Konkordia aufgebaut werden. Wie haben wir uns diesen Mikrostaat vorzustellen, kleine Häuser, einzelne Räume oder Gruppenschlafsaal?

Kleine Häuser gibt es wohl erst, wenn Dauerperformance # 7 oder so stattfindet – mit vielleicht 500 Bewohnern. Dauerperformance #1 – also Konkordia, ist der erste Versuch. Dafür haben wir eben den Rahmen der Schaustelle, die jetzt bereits bis aufs Äußerste ihre Kapazitäten verbraucht hat, um unser Projekt zu beherbergen. Kirsten Storz, eine der Koordinatorinnen, die unser Projekt leiten, arbeitet Montag bis Sonntag 16 Stunden, um dem enormen Aufwand gerecht zu werden. Dafür sind wir sehr dankbar. Konkordia ist eine überwiegend weiß gehaltene Stadt die aus einzelnen Stationen besteht. Wir nennen sie auch gerne Installationen, da jede einzelne Station für sich beispielsweise in einem Museum ausgestellt werden könnte und als Objekt betrachtet werden kann. Diese einzelnen Stationen sind eben mit den Bewegungslinien miteinander verbunden und an jeder Station gibt es Kameras und Lesegeräte, mit denen man eincheckt und anhand unseres eigenen digitalen Währungssystems bezahlt. So weiß die Software (und automatisch auch das Innenministerium) zu jeder Zeit, wo sich jede einzelne Person aufhält. Geschlafen wird in der unteren Blackbox. Also eine Art Schlafsaal. Aber wie gesagt, die Entscheidungen, was die räumliche Gestaltung angeht, sind einfach auch bedingt durch die Voraussetzungen, die die Schaustelle bietet.


Neun Tage lang werden die Teilnehmenden nicht sprechen und nur nach Regeln und Befehlen agieren. Denken sie, dass das Projekt gewisse Auswirkungen auf die Performer haben wird?

Sicher wird diese Versuchsanordnung „gewisse Auswirkungen“ auf die Teilnehmenden haben. Das ist auch Sinn und Zweck der ganzen Aktion. Wir sind überzeugt davon, dass performte Kunst durch den Erfahrungsfaktor des Performenden eine stärker wirkende Kraft auch für den Betrachter und Rezipienten hat. Dennoch sind wir sehr bemüht, psychischen Belastungen vorzubeugen durch etwa eine offene und transparente Aussprache über etwaige Situationen innerhalb Konkordias. Auch gibt es ein Team von Therapeuten, die sich jedem einzelnen Bewohner annehmen und einschreiten, wenn es Grund zur Sorge gibt. Die ganze Versuchsanordnung wird von Ersan Mondtag als Spielleiter koordiniert. Thomas Geissl (Entwicklung der Software) überwacht den technischen Ablauf Konkordias und Kirsten Storz und ihre Vertreterinnen achten auf die Sicherheit innerhalb der Schaustelle. Jeden Tag gibt es Gespräche zwischen den Therapeuten und dem Spielleiterteam und bei Gefahren wird das Spiel abgebrochen. Wie gesagt. Das Wichtigste ist, dass niemand zu Schaden kommt.


Beim Schlafen, Essen, Duschen, immer und überall sollen Konkordias Bewohner überwacht werden. Bei der häufig angeklagten TV-Serie „Big Brother“ war es nicht anders. Denken Sie, dass eine derartige, ethisch begründete Kritik an Konkordia ausbleiben wird, weil die Aktion unter dem Begriff „Kunst“ läuft?

Zuerst einmal sitzen wir als Performer nicht auf dem Sofa und zicken uns an. Wir laufen auf Linien und folgen den Anweisungen eines Computersystems.
Außerdem hoffen wir, dass Konkordia nicht rein als “Kunst” wahrgenommen wird. Konkordia ist vielmehr ein Versuch/ eine Art Experiment. Die Möglichkeit, dass Zuschauer auch aktiv teilnehmen können, wird andere Diskussionen befeuern, als beispielsweise solche, die im Rahmen einer reinen Bühnenaufführungkultur im Theater stattfinden. Die Distanz zwischen Ereignis und Rezipient wird wesentlich verringert. Deshalb glauben wir nicht, dass Konkordia sich einer ethisch begründeten Kritik entziehen wird. Hoffentlich nicht. Im Gegensatz zu Big Brother geht es uns jedoch nicht um die Bespaßung breiter Bevölkerungsschichten, sondern ganz im Gegenteil um ein geschärftes Bewusstsein der Teilnehmenden über Mechanismen in unserem System. Die Überwachung und der Online-Stream sollen nicht nur für die Rezeption von Außen dienen, sondern die interne und gegenseitige Kontrolle ermöglichen und erfahrbar machen. Wozu ist diese Kamera über meinem Kopf wirklich da? Vielleicht ist sie auch nur eine Abstraktion. Die größte Kamera ist das Auge, das über deiner Schulter steht, dein eigenes, drittes Auge, das auf dich herunter schaut. Und der Unterschied zu gängigen, gesellschaftsreflexiven Medien, wie Film und Theater ist, dass unser Aufbau nicht gespielt ist und nicht wiederholt abgerufen werden kann, sondern innerhalb von neun Tagen eine Welt konstruiert wird, in der nichts dargestellt- sondern jeder Ablauf wirklich ausagiert wird. Und das ausschließlich und unwiederbringlich für diese neun Tage.


In knapp zwei Wochen geht es dann endlich los. Was wünscht und erhofft sich das „Kapitael 2 Kolektif“ für das Projekt „Konkordia“?

Als Performer wünschen wir uns eine überraschende und spannende Zeit, und vielleicht sogar eine Erfahrung, die uns etwas über unsere Beziehung zu unserer Umwelt erkennen lässt. Wir erhoffen uns, dass Konkordia zu Diskussionen über gegenwärtige gesellschaftliche und politische Umstände anregt. Je heterogener die Bewohner und Besucher Konkordias werden, desto spannender werden diese Diskussionen. In erster Linie hoffen wir daher im Vorfeld auf weitere Personen, die Interesse haben mit einzuziehen. Jeder kann mitmachen, egal ob Bäcker, Zahnarzt, Filmemacher oder Boxtrainer.

Herzlichen Dank an das Kapitael 2 Kolektif und viel Erfolg!

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photo credits: kapitael 2 kolektif

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