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Kita-Notstand in München: Wie die Stadt Eltern im Stich lässt

Klara Felixberger

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von MUCBOOK mit Frag den Staat und CORRECTIV.Lokal. Beide Projekte fördern den Lokaljournalismus und stärken somit die Demokratie. Mehr unter correctiv.org/lokal

Tausende Kitas müssen bundesweit Öffnungszeiten reduzieren oder ganz schließen. Sie können die rechtmäßige Betreuung kaum mehr gewährleisten. Auch Münchner Kitas sind von dem Personalmangel betroffen – darunter leiden neben Erzieher:innen vor allem auch Eltern und ihre Kinder. Wir haben mit einer jungen Mutter über ihre Erfahrungen gesprochen.

Vroni, 28, und ihr Mann Edu, 26, warten seit fast zwei Jahren auf einen Kita-Platz für ihre drei Jahre alte Tochter Phoebe. “Wir kennen Leute, die sich schon bei der Geburt auf Wartelisten setzen lassen.” Phoebe kam mitten in der Pandemie zur Welt. “Wir wussten nicht, ob es überhaupt jemals wieder Kindergärten gibt”, sagt Vroni. Mittlerweile ist das Kind bei Dutzenden Kitas im kita-finder+ angemeldet, ohne Rückmeldung. Auf der Plattform der Stadt München hat Vroni angegeben, bis wann sie einen Platz für Phoebe braucht. Es sind schon mehrere Termine verstrichen. Auf Nachfrage teilt uns die Pressestelle des Bildungsreferats der Stadt München mit, dass die Eltern “in keinem Fall ohne Rückmeldung” bleiben. Aber: Solange Kinder keine Platzzusage bekommen, erhalten die Familien bewusst keine Absagen mehr. Die Absagen seien “lediglich eine punktuelle Information”, die im nächsten Moment schon überholt sein könnte.

Vroni kann ihrem Lehramtsstudium derzeit nicht nachgehen. Für Studierende in Erziehungszeit gibt es auch nur eine begrenzte Anzahl an Urlaubssemestern.

Die jungen Eltern sind dringend auf einen Kita-Platz angewiesen. Es ist ein regelrechter Teufelskreis: Man kann sich keinen Job suchen, wenn die Unsicherheit und Unwahrscheinlichkeit der Platzvergabe ständig im Raum schwebt. Aber wenn man keinen Job hat, wird man im Kita-Finder nicht priorisiert.

Über 1000 Meldungen in Münchner Kitas aufgrund Personalmangel

Vielen Paaren geht es ähnlich: Die Wartelisten explodieren, denn den Kitas fehlt es an Personal. Knapp ein Drittel der rund 1500 Münchner Einrichtungen können aufgrund des Personalmangels nicht alle Betreuungsplätze anbieten – das geht aus der Kita-Statistik 2022 des Bildungsreferats hervor. Das Netzwerk Correctiv recherchierte zudem, wie viele Meldungen es in den Münchner Kitas aufgrund personeller Engpässe gab und wie viele Kitas ihre Öffnungszeiten reduzieren mussten. Die Datensammlung fand im Zeitraum von August 2022 bis Juli 2023 statt. Leider gibt es in der Stadt München unterschiedliche Angaben der Behörden. Das Jugendamt meldete 360 freie Einrichtungen, die ihre Öffnungszeiten reduzieren mussten. Laut der oberbayerischen Regierung kam es in städtischen Einrichtungen zu 720 Meldungen aufgrund Personalmangels. Geschäftsführerin des freien Trägers AWO, Julia Sterzer, bestätigt, dass auch ihre Organisation unter dem Fachkräftemangel leide.

Insgesamt gab es also mehr als 1000 Meldungen in den Münchner Kitas aufgrund personeller Engpässe – das ist eine ganze Menge.

Personalmangel geht auf Kosten der Kinder

Erzieher:innen in Kindergärten gehen an ihr Limit, viele berichten von Burnout und Stresssituationen. Correctiv führte Ende 2023 eine Umfrage mit Kita-Mitarbeitenden und Eltern zu den Folgen des Personalmangels durch. 60 Prozent der befragten Erzieher:innen gaben an, Überstunden gesammelt zu haben und erhöhtem Stress ausgesetzt zu sein. Ein Fünftel kämpfe mit gesundheitlichen Folgen wie zum Beispiel Burnout oder Depression. Maya*, 21, ist Auszubildende bei einem freien Träger in München und weiß, wie belastend der Personalmangel für Kolleg:innen und Kinder ist. “Azubis aus meiner Klasse sind teilweise alleine für eine Gruppe von 20 Kindern zuständig.” Dadurch sei es unmöglich, sich pädagogisch angemessen um alle Kinder zu kümmern. “An vielen Tagen geht es für mich und meine Klassenkamerad:innen nur ums Überleben.” Die Arbeit koste extrem viel Anstrengung und Kraft. Die Kraft hat man auf Dauer nicht, so Maya.

(* Maya heißt eigentlich anders, möchte zu ihrem Schutz aber anonym bleiben.)

Rechtliche Schritte einzuleiten ist für Eltern oft zu aufwändig

Aufgrund des monatelangen Bangens und der beruflichen und psychischen Folgen hat Vroni überlegt, den Kitaplatz gerichtlich einzufordern. Aber: “Es ist echt schwierig, solche Schritte zu gehen und zu organisieren, wenn man die ganze Zeit eingespannt ist”. Gemäß § 24 SGB VIII muss für jedes Kind zwischen ein und drei Jahren ein Platz in einer Kindertagesstätte verfügbar sein. Viele Eltern fahren mit ihren Kindern persönlich in die Einrichtungen, um immer wieder hartnäckig nach einem Platz zu fragen, erzählt Vroni. Sie sieht nicht ein, dass diese Vorgehensweise der Standard sein soll, um dann wahrscheinlich trotzdem keinen Platz zu erhalten, obwohl es jedem Kind zusteht. Die Stadt rät aktiv dazu, in Frage kommende Kitas unbedingt im Vorhinein zu besichtigen. Dies solle dabei helfen, mögliche Probleme zu verhindern, die sich ergäben, wenn ein Kind an einer Einrichtung angemeldet wird, die dann doch nicht den Vorstellungen der Eltern entspricht, so das Bildungsreferat. Zudem gebe es Hilfsangebote für Eltern in den Kitas, um die Anmeldung im kita finder+ zu erleichtern, sagt die Pressesprecherin der Stadt.

Kinder zu finanzieren ist teuer – Was, wenn plötzlich auch Kita-Plätze mehr kosten?

Die Entscheidung für ein Kind bringt oft finanzielle Schwierigkeiten mit sich. Besonders in München, wo hohe Mieten und Lebenshaltskosten hinzukommen. Für Menschen wie Vroni und Edu machen auch 250 Euro bayerisches Familiengeld einen Unterschied. Das gibt es allerdings nur bis zum dritten Geburtstag des Kindes. Für Vroni und ihre Familie fällt das Familiengeld nun weg: “Das stinkt mir sehr, dass der Staat sagt ‘du kannst ja jetzt wieder arbeiten gehen, dein Kind ist ja alt genug für den Kindergarten’ – es gibt aber keine Kindergartenplätze, das Geld wird dir trotzdem gestrichen”. Vroni fände es fair, Familien, die bisher keinen Kita-Platz gefunden haben, das Familiengeld weiterhin zu zahlen oder mehr Betreuungsplätze anzubieten. 

Die Kitas belastet indes nicht nur der Personalmangel, auch die Förderung der Kitas durch die Stadt München bereitet Einrichtungen und Eltern Kopfschmerzen. Die Stadt bezuschusst derzeit sowohl freie als auch städtische Kitas, um anfallende Kosten auszugleichen. 2021 klagte jedoch ein privater Träger dagegen. Die Entscheidung: Das Fördermodell ist rechtswidrig. Ab September 2024 soll ein neues Modell in Kraft treten. Ob es auch zu höheren Elternbeiträgen kommt, ist unsicher.

Wir haben Julia Sterzer gefragt, vor welchen Herausforderungen freie Träger ab September stehen. “Wie das Modell im Detail ausgestaltet sein wird, ist in einigen Punkten noch offen. Daher werden wir sehr genau prüfen, wie die Umsetzung erfolgt und ob die Förderung auskömmlich ist.”, sagt Sterzer. Es sei aber realistisch, weiterhin Plätze gratis beziehungsweise günstig anzubieten.

Kitas spielen eine wichtige Rolle in der frühkindlichen Entwicklung. Doch wie können die Einrichtungen als Bildungsstätten ernst genommen werden, wenn sie ihrem Auftrag wegen des fehlenden Personals nicht nachkommen können? Durch den gesetzlichen Mindestanstellungsschlüssel und eine vorgegebene Fachkraftquote sei das fachliche Niveau in bayerischen Kitas hoch, so Julia Sterzer. Daneben gebe es noch geschulte pädagogische Hilfskräfte. Doch auch wenn die Kinder eine gute Betreuung erhalten, sei die Folge von fehlendem Personal eine reduzierte Aufnahme von Kindern oder gekürzte Öffnungszeiten. “Sorge macht mir, dass dadurch zunehmend Betreuungszeiten nicht bedarfsgerecht angeboten werden können und die Familien – oftmals die Mütter – fehlende Betreuungszeiten abfedern müssen. Dies hat mittel- bis langfristig negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und unsere Gesellschaft insgesamt.”, sagt Julia Sterzer.

“Ich bin mir sicher, ich wäre eine bessere Mutter, wenn ich mehr Abwechslung hätte”

Wie es aussehen kann, wenn Mütter ihren Alltag hinten anstellen müssen, wird bei Vroni deutlich. Sie und ihr Partner teilen sich die Care-Arbeit so gut es geht. Die meiste Zeit mit der Tochter verbringt Vroni aber trotzdem noch. “Ich versuche, irgendwie ein bisschen Abwechslung in den Alltag zu bringen, aber wenn man hier ist, dann ist man eigentlich nur mit Haushalt beschäftigt. Das ist wirklich ein Job rund um die Uhr. Es ist zermürbend.” Leider hat das nicht nur Nachteile für die Partnerschaft, das Wohl der Mutter und für den beruflichen Alltag der Eltern, oft leidet auch die gemeinsame Zeit mit dem Kind: “Quality-Time” mit Phoebe zu verbringen, ist für Vroni sehr schwierig. Diese Zeit müsse sie fest einplanen und einhalten. Trotzdem kommt die Tochter oft zu kurz. Mütter verrichten in Paarhaushalten mit Kindern durchschnittlich täglich zwei Stunden und 30 Minuten mehr Care-Arbeit als Väter, sodass der sogenannte Gender Care Gap in diesen Fällen 83,3 Prozent beträgt. Was kann die Stadt für mehr Gleichberechtigung in der Erziehung machen?

Wenn beide Elternteile Vollzeit arbeiten oder beide arbeitssuchend sind, werden sie bei der Platzvergabe im Kita-Finder bevorzugt. Das trifft auf Vroni und ihren Mann nicht zu. Edu ist Musiker und arbeitet als Teilzeitkraft in einer Bibliothek. Vroni würde sich gerne selbstständig machen und ihr Studium beenden, doch es fehlt an Zeit. Und an einem Betreuungsplatz, der sie entlastet. Für das “seelische Gleichgewicht” sei es wichtig, dass beide Eltern arbeiten gehen und sich beruflich verwirklichen, so Vroni. 

Damit Vroni sich auf ihre Selbstständigkeit konzentrieren kann und ihre Tochter Kontakt zu Gleichaltrigen bekommt, hat das Paar versucht, die Betreuung mithilfe einer anderen Familie abzufangen. Dadurch entstand schnell zu viel organisatorischer Aufwand. “Ich will unbedingt, dass Phoebe gut aufgehoben ist und auch Freunde findet. Wir kannten die Familie nicht lange und so groß war die Not, dass ich völlig fremden, unausgebildeten Menschen mein Kind überlassen habe.”, so Vroni. Nicht alle jungen Eltern haben das Glück, in der Nähe der Großeltern zu wohnen, die bei der Betreuung unterstützen können – bei Vroni und Edu liegen beispielsweise mehrere tausend Kilometer zwischen ihnen und den Großeltern.

Aufruf an Eltern: Vernetzt euch!

Durch einen Anruf bei der Elternberatung zur Kinderbetreuung der Stadt München erfährt Vroni, dass in ihrem Viertel Fasanerie besonders viele Kinder leben. Allerdings gibt es dort auch besonders wenig Kitas. Vroni ist sich sicher, dass sie nicht alleine mit ihrer Situation als Mutter in dem Münchner Viertel ist: “Wo sind die alle? Warum sind wir nicht schon längst vernetzt?”. Vor kurzem ist ihr der Kragen geplatzt und sie hat sich dazu entschlossen, endlich aktiv zu werden. “Wenn du wirklich etwas Radikales machen willst – und es ist etwas Radikales nötig in diesem Problem – dann bist du sehr eingeschränkt, weil du ein Kind hast. Wir müssen uns einfallen lassen, wie wir dagegen vorgehen können”, so Vroni. Sie möchte Eltern in ihrem Viertel vernetzen und eine Gruppe aufbauen, um den Betreuungsplatzmangel abzufangen. Man könne kleine Gruppen bilden, die die Kinder betreuen, während andere arbeiten oder Protestaktionen planen. Wenn du dich Vroni anschließen willst und ähnliche Probleme im Viertel Fasanerie erlebst, dann wende dich gerne per Mail an sophia@mucbook.de oder schreib uns eine Nachricht auf unserem Instagram-Kanal.

Möchten Sie auch, dass sich etwas ändert? Dann werden Sie jetzt aktiv! Besuchen Sie die Themenseite kitanotstand.de, die von unserem Kooperationspartner CORRECTIV erstellt wurde. Dort finden Sie vielfältige Möglichkeiten, wie Sie selbst einen Beitrag leisten können. Erfahren Sie, wie Sie die Politik zum Handeln bewegen können und entdecken Sie Mitmalbilder für Ihre Kinder sowie Plakate, die Sie in Ihrer Nachbarschaft aufhängen können, um auf den Kitanotstand aufmerksam zu machen.

Beitragsbild: Unsplash/ Sandra Seitamaa

1Comment
  • Gerd
    Posted at 14:13h, 03 Februar

    Tja der Spaß geht dann in der Grundschule weiter. Schulschluss erste Klasse 11:30 Uhr. Hortplatz? Sechser im Lotto ist wahrscheinlicher. Wer Glück hat kriegt noch einen Platz in einer der zumeist als Elterninitiative organisierten Mittagsbetreuungen. Wo übrigens jeder ohne irgendeine Ausbildung arbeiten kann und es auch sonst quasi keinerlei Qualitätsansprüche gibt. Ohne Ferienbetreuung versteht sich. Aber Vollzeit kann man so auch nicht arbeiten.

    Seit Jahren tut sich da übrigens gar nichts obwohl der Rechtsanspruch schon lange am Horizont sichtbar ist hält man mehr Engagement anscheinend nicht für nötig.

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