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Lebenshilfe mit Stefanie Sargnagel an den Kammerspielen
Letzten Mittwoch war Stefanie Sargnagel nach etwa einem Jahr wieder in München zu Gast. Wir waren in den Kammerspielen vor Ort und haben die Ohren gespitzt. Originelle Poesie ist das eine, die richtige Lesart das andere. So wie man selbst Brutos Brutaloz Lyrik tiefenphilosophische Einsichten abgewinnen kann, wie dieser VICE-Artikel eindrucksvoll beweist, so kann auch ein Besuch bei der Bachmannpreis-Gewinnerin locker ein ganzes Regal an Lebensratgebern ersetzen.
Ein paar Beobachtungen und Sargnagel-Weisheiten daher für alle Daheimgebliebenen in Stichpunkten (die Illustrationen dazu sind während des Abends auf dem Smartphone entstanden):
- „Chérie, je suis un genie“
Genie sein ist nicht etwa genetische Lotterie, sondern vor allem Ergebnis stetiger Selbstbehauptung. Der Support-Act „Klitclique“ bringt dies mit dem gleichnamigen Song auf den Punkt. Inhalt und Form bilden ein eher ambivalentes Verhältnis. Erinnert an Money Boy zu seinen Anfangszeiten.
- „Auf zum goldenen Matriachat!“
Das “Yes, we can!” der Burschenschaft Hysteria, deren bekanntestes Mitglied Stefanie Sargnagel ist. Ist mir persönlich aber etwas zu krass. Vielleicht erst mal gleiche Bezahlung beider Geschlechter?!
- Die Kindheit war doch am schönsten
„Ich möchte eine Familie gründen… mit mir als Kind“. Seit Jahrzehnten wird die Zeugungsunlust der Deutschen (und sicher auch der Österreicher) beklagt. Die einstige Alterspyramide der Gesellschaft wird langsam aber sicher zum Dönerspieß. Demographiewandel stoppen durch Kreativität: einfach eine Familie mit sich selbst als Kind gründen. Ok, das Argument geht wohl nicht ganz auf, aber der gute Wille ist da…
- Alles wird gut
Wer sein Kunstdiplom nach 15 Semestern an den Nagel hängt, kann immer noch It-Girl und Literatur-Shooting Star werden.
- Markenzeichen pflegen
Was Karl Lagerfeld seine schwarze Sonnenbrille und sein Anzug, das ist Stefanie Sargnagel ihre rote Baskenmütze und die schwarzen Adidas Superstars, die sie stets trägt. Wiederholung und Wiedererkennung entlasten das Auge in Zeiten visueller Dauerüberreizung und dem der modernen Gesellschaft inhärenten, stets gegenwärtigen Claim nach dem Ewig-Neuen.
- Alterstest ganz einfach
Wichtiger als die Frage nach dem biologischen Alter ist ja eigentlich die Frage danach, wie alt man sich fühlt, außer vielleicht beim Schnapskauf oder Ähnlichem. Eine ganz einfache Heuristik zur Klärung, ob man als Frau „alt“ sei, hält die ehemalige Callcenter-Mitarbeiterin parat: Mach dir zwei Zöpfe in die Haare, schau in den Spiegel und wenn du nicht süß und frech aussiehst, sondern eher weird, DANN bist du alt.
- Familienbackground ausschlachten
Intellektuelle und die linke Bourgeoisie lieben die Arbeiterklasse, solange sie sich damit nur theoretisch beschäftigen müssen. Schafft es ein Sprössling von unten tatsächlich einmal auf die (Theater-)Bühnen, so beschleicht die “Bürgerlichen” dieses kleine schlechte Gewissen, das sonst gut verdrängt oder durch wohlgefälliges Engagement für benachteiligte Kinder, Katzen oder Künstler kompensiert wird. Das „Arbeiterkind“ genießt – einmal in den intellektuellen Status der Oberen erhoben – quasi Narrenfreiheit. Keiner wird sich trauen, nicht zu applaudieren, so lange du 1.) hinreichend oft auf deine Herkunft rekurrierst und du 2.) den doch engen Rahmen der politischen Korrektheit nur gelegentlich und augenzwinkernd unter Verweis auf 1.) verlässt.
- “Schuster, bleib bei deinen Leisten”
Wenn man den Sprung ins Feuilleton einmal geschafft hat, gibt es eigentlich wenige Gründe etwas am Erfolgsrezept zu ändern. Auch im neuen Buch “Statusmeldungen” werden wieder die besten Facebook-Status (der Name ist also Programm) von Stefanie Sargnagel gesammelt und mit ein paar ihrer Cartoons, die regelmäßig im Falter erscheinen, aufbereitet. Roman sollen halt die anderen machen! Vor allem die Passagen aus dem neuen Buch kommen sehr gut an beim Publikum – wohl auch, weil sie eben für viele noch neu sind.
- “Tue gutes und rede darüber”
Bekanntermaßen PR-Regel Nummer 1! An diesem Abend nimmt die Autorin auch Bezug auf ihre Rolle und ihr Engagement zur Zeit der Flüchtlingskrise im Herbst 2015, als tausende Flüchtende den Weg über den Balkan nach Wien und Deutschland antraten. Dankenswerterweise verzichtet sie dabei auf Pathos, sondern setzt sich durchaus selbstironisch und umfassend, wenngleich natürlich pointiert und manchmal fast makaber mit der Situation auseinander. Eine Freundin prägt den Begriff “Helfie”.
- “Mehr ist mehr”, oder: scheiß auf Detox
Eine der schönsten Widmungen, die ich je erhalten habe. Danke für den Abend – es war sehr unterhaltsam.
Bildcredits:
Autogramm: Florian Kraus
Illustrationen: Studio Stephan Schmid
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