Kultur, Nach(t)kritik

Metal in Cinemascope

Nicolas Freund
Letzte Artikel von Nicolas Freund (Alle anzeigen)

interview_contentpic_1724510259

Dream Theater
Along for the Ride Tour

Zenith, München, 26.01.2014

Das Monster ist los – und München feiert. Zu „The Enemy Inside“ flirren Bilder von Soldaten aus dem Irakkrieg zwischen Aufnahmen von amerikanischen Vororten und Barbecues über die Leinwand, die Musik dazu brettert so hart wie präzise. Die Band meint es ernst, ist motiviert. Gut, das Zenith ist bei Matsch und Kälte nur etwas mehr als halb voll und das Publikum wirkt unbeteiligt, aber: Im Gegensatz zur Tonhalle, wo die Band in den letzten Jahren sonst Halt machte, sieht man hier in Freimann wenigsten etwas von der Bühne und der Leinwand darüber. Und dazu ist der Sound glasklar und gerade nicht zu laut. Beides ja eine Seltenheit, sobald eine verzerrte Gitarre auf der Bühne gespielt wird. Erst recht im Zenith.
Dream Theater, das ist eine Institution, wenn es im Rock und Metal ums musikalische Niveau geht. Im Fachjargon kurz als Prog für Progressive bezeichnet. Dass diese Musik in der Praxis dann auch oft einem recht klaren Schema folgt und nicht immer sonderlich fortschrittlich ausfällt: Fährt der Zug drüber. Erlaubt ist, was Spaß macht und dieser Band macht alles Spaß, was man mit einem Sänger, Schlagzeug, Gitarre, Bass und Keyboard anstellen kann.
Virtuose Soli, Breaks wie Filmschnitte, Polyrhythmik: Die fünf Jungs auf der Bühne können alles. „Außer Songs schreiben“, wurde Dream Theater mitunter oft vorgeworfen. Den Rock-Fans der alten Schule ist Dream Theater immer zu hart, zu modern und vielleicht auch zu brav. Das iPad darf bei den New Yorkern, die sich fast alle als Studenten am Musik-College in Boston kennengelernt haben, auch mal das Keyboard ersetzen. Drogenexzesse und Skandale sind bei Dream Theater ein Fremdwort. Selbst als Schlagzeuger und ehemaliger Bandchef Mike Portnoy (der war allerdings Alkohliker) vor ein paar Jahren halb gefeuert wurde, halb von selbst ging, verlief das, ohne Schlammschlacht, diskret hinter den Kulissen. Auch den Metallern ist das alles viel zu brav und mit diesem offensichtlichen Kunstanspruch irgendwie suspekt. In der Metalszene hielt sich zumindest lange hartnäckig das Gerücht, die Leute würden mit Anzug und Krawatte zum Dream Theater-Konzert gehen.
Dem ist, zumindest im Zenith in München, nicht so. In Amerika spielt die Band zwar vor allem in bestuhlten Hallen, in Europa mischen sich im Publikum munter die Altrocker mit den Musik-Aficionados und die Gitarrennerds mit den paar Metalfans, die sich doch hier her verirrt haben. Die Gymnasiallehrer-Dichte dürfte auch recht hoch sein.
Zu erleben gibt es an diesem Abend einen sogenannten „Evening with Dream Theater“ – ohne Vorband gibt es dafür drei Stunden den Hauptact zu bewundern. Die Rolle des Anheizers übernimmt dabei der Headliner selbst, denn die Songs werden in zwei je knapp 90-minütige Sets aufgeteilt.
Die erste Hälfte fetzt ziemlich ordentlich mit neuem Material von den letzten drei Alben: „The Shattered Fortress“ ist ein aus vier älteren Dream Theater-Songs zusammengestelltes Medley, das zugleich den Abschluss dieser vier aufeinander aufbauenden Songs bildet. Thema ist Alkoholismus. Kompliziert, funktioniert aber. Vor allem, wenn man das alles nicht weiß.
Das Instrumental „Enigma Machine“ ist weniger bierernst und präsentiert die Band auf der Leinwand als Comicfiguren im „Spy vs. Spy“-Stil, inklusive Schlagzeugsolo in angenehmer Länge. Die Solofrage: Bei den meisten Metal-Bands sind Gitarrensoli ja ein kompositorisch überflüssiges Balzgebaren präpotenter Frontgitarristen. Ist bei Dream Theater erstmal nicht anders. Der halblegendäre John Petrucci machte sich, ebenso wie seine Bandkollegen an den Instrumenten, mitunter einen Spaß aus sinnfreien Hochgeschwindigkeitssoli. Beispiel „As I Am“, das aber an diesem Abend in der Kiste bleibt. So sind sie halt. Dem neuen Material merkt man jedoch an, dass die Soli harmonischer in die Songstrukturen eingebunden werden. Nicht, dass der Eigenzweck viele der Leute die an diesem Abend doch happige 50 Euro bezahlt haben je gestört hat. Die Band lotet mit viel Enthusiasmus und Fachwissen aus, was im Rock und Metal möglich ist und bringt es auf die Bühne. Konstruiert und kalkuliert klingt das manchmal, macht aber richtig Spaß und in so guter Verfassung hat man die Band vielleicht noch nie gesehen. Metal in Cinemascope. Trotz Poly- und Multirhythmik verfliegen die ersten 75 Minuten wie im Zeitraffer. Nur James LaBries Stimme neigt in den hohen Lagen mehrmals zum Scheppern, die ruhigeren Stücke liegen im wesentlich mehr als die Metalkracher. Das ist dem Sänger aber verziehen, denn eine derart variable Stimme entschädigt für einzelne Aussetzer.
Die zweite Hälfe besteht dann aus älterem Material. Die Band kann und will es sich leisten den Großteil ihrer inzwischen 12 Alben zu ignorieren und nach den neuen Songs nun einen Querschnitt durch zwei Klassiker zu präsentieren: Das 20 Jahre alte „Awake“ und das 15 Jahre alte „Metropolis pt. 2: Scences from a Memory“. Der Sound wird etwas rockiger, entfernt sich vom Breitwand-Metal der neuesten Alben. Die Vorbilder Genesis und Yes lassen grüßen. Man merkt dem Material an, dass Keyboarder Jordan Rudess damals jede Menge frischen Wind in die Band brachte. So wie jetzt Schlagzeuger Mike Mangini. Selten greifen Metalriffs und Keyboardmelodie so harmonisch ineinander wie in „The Dance of Eternity“ und „Overture 1928“. Die Fans stehen drauf: Songs von „Awake“ gibt es ansonsten eher selten zu hören und alles von „Scenes from a Memory“ – dem absoluten Klassikeralbum der Band – geht eh immer. Als gut halbstündige Zugabe sowieso, auch wenn die erste Hälfte des Abends insgesamt ein bisschen spannender war.
Selig aber ist das Münchner Publikum. Fast meint man, sogar etwas interesselos. Aber das stumme Staunen weicht am Ende nicht mehr enden wollenden Beifallsstürmen, die selbst die Band zu überraschen scheinen. Wer war noch mal Mike Portnoy?

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons