Kultur, Nach(t)kritik

Papa des Balkanbeats

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Bei vielen Interpreten hat man das Gefühl, die Bühne ist eine Barriere. Große Stars scheuen den Körperkontakt, liefern ihre Show ab und gehen meist nach zwei Zugaben. Stefan Hantel alias Shantel ist anders – oder so professionell, dass es nicht auffällt.

Mehr als zwei Stunden stand er am Wochenende mit seinem aus ganz Osteuropa zusammengewürfelten „Bucovina Club Orkestar“ auf der Bühne der Muffathalle. Und ging dabei immer auf Tuchfühlung mit dem Publikum: Fast bei jedem Song kniet er sich an den Bühnenrand, fordert die Menge auf mitzusingen, interagiert mit den Fans. Höhepunkt: Der Deutsche mit osteuropäischen Wurzeln läuft mitten durch die Menge. Wie von Geisterhand bildet sich ein Tunnel durch die Menschentraube, Moses und das Meer lassen grüßen. Mitten in der Halle setzt sich Shantel auf den Boden – und alle um ihn herum auch. „Down, down“, flüstert Shantel und singt dann ganz leise und a cappella „Bella Ciao“. Es ist der persönlichste Moment des Konzerts.

Jetzt mit Kahlschlag statt Vokuhila: Stefan Hantel

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Großartig sind die Musiker. Mit Blasmusik und Akkordeon transportieren sie den Sound des Balkans, eine Mischung aus Polka, Pop, etwas Straßenmusik wie bei Roma und Sinti. Es klingt einfach authentisch. Am lautesten wird es – natürlich – bei „Disko Partizani“. Der Song, obwohl mittlerweile vier Jahre alt, löst bei jedem Hörer eine Art Bewegungszwang aus. Auch beim Sänger selbst. Der zeigt die ganze Zeit so viel Körpereinsatz – mal mit E-Gitarre, mal an den Trommeln –, dass sich nach und nach die Kleidungsstücke lichten. Die letzte halbe Stunde hält er anscheinend nur noch mit freiem Oberkörper aus.

Shantel, neuerdings mit Kahlschlag statt Vokuhila auf dem Kopf, hat Balkan-Pop im Westen hoffähig gemacht. In den Neunzigern war Stefan Hantel vor allem als Elektro-DJ und –Produzent unterwegs. Erst nach 2001 änderte sich sein Stil schlagartig in Richtung Balkanbeats: Damals reiste der heute 43-Jährige in die Heimat seiner Großeltern, nach Czernowitz, früher mal rumänisch, heute eine Stadt in der Ukraine.

München war übrigens nur die erste Station in Deutschland, außer Stopps in Berlin, Hamburg und zehn weiteren Städten führt die „Anarchy and Romance Tour“ in den nächsten Wochen auch noch in die Niederlande, nach Österreich, Dänemark, Frankreich und Großbritannien.

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Die nächste Gelegenheit, Shantel in München live zu sehen, gibt es schon an Silvester. Dann bringt er zwar nicht sein großartiges „Orkestar“ mit, steht dafür aber als DJ an den Plattentellern.

Samstag, 31. Dezember 2011.
Einlass: 23 Uhr
VVK: 15 Euro, AK: 18 Euro
http://www.muffatwerk.de/de/events/view/295

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