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Recht auf Stadt – Das Manifest

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Vor Monaten haben sich Münchner Gentrifizierungs-Kritiker im Bündnis “Recht auf Stadt” zusammengetan, um ihre stadtteilbezogenen Forderungen nach einer “Stadt für alle” auf eine stadtweite Ebene zu heben. Das Ergebnis ist unter anderem ein Manifest nach dem Vorbild aus dem Hamburger Gängeviertel. Seit gestern ist der Wortlaut öffentlich. Im Februar will man das Manifest der breiten Öffentlichkeit präsentieren.

„München – Weltstadt mit Herz“, „München mag dich“, „Munich loves you“ – so lauten die Slogans des Stadtmarketings. München präsentiert sich gerne als weltoffene Stadt, als innovative und kreative Region, als Top-Standort für Investitionen und qualifiziertes Personal, als internationale Tourismusmetropole [ist geschlechterneutral und inhaltlich gleich] und als dynamische Stadt mit hohem Freizeitwert. München ist stolz darauf, die am schnellsten wachsende Großstadt in Deutschland zu sein.

Ganz nach der Logik des Neoliberalismus konkurrieren die Städte global um die Ansiedlung von internationalen High-Tech-Firmen, hochqualifizierten Fachkräften und zahlungskräftigen Investor_innen. Dieser Trend findet weltweit in unterschiedlicher Ausprägung statt und wird überall als alternativlos dargestellt. Die Kehrseite der städtischen Wachstumsstrategie sind explodierende Mieten, zigtausend leerstehende Büroquadratmeter, lange Wartelisten bei städtischen Sozialwohnungen, eine starke Verdichtung des städtischen Raums und eine enorme Immobilienspekulation. Die wachsende Stadt ist in Wahrheit eine sozial geteilte Stadt, die von und durch Verdrängung geprägt ist. Die Armen, die Alten, die Migrant_innen und zunehmend den Großteil der Bevölkerung trifft es. Die Promenaden den Gutsituierten, dem „Pöbel“ die Mietskasernen außerhalb, lautet die heimliche Devise. Zwangsräumungen und zunehmende Obdachlosigkeit sind dabei die extremsten Ausdrücke dieser Entwicklung.

Aus ehemaligen Arbeiter_innenstadtteilen werden erst „Szeneviertel“ und dann binnen kürzester Zeit exklusive Wohngegenden mit angeschlossenem Party- und Shopping-Viertel. Wo immer eine Innenstadtlage zu Geld zu machen, wo immer ein Park zu verdichten oder ein altes Gewerbegebiet neu zu erschließen, wo einem Grünstreifen ein Grundstück abzuringen oder eine Baulücke zu schließen sind, werfen die öffentliche Hand und Unternehmen in München wie beispielsweise die Deutsche Bahn die „Schmankerl“ auf den Immobilienmarkt. Dieser Prozess der so genannten Gentrifizierung ist im Glockenbachviertel oder in Haidhausen bereits weitgehend abgeschlossen, im Westend, Pasing oder in Giesing ist er in vollem Gange.

Das AGFA Gelände wurde gesprengt und wird jetzt zum Business-Center mit schicken Eigentumswohnungen umgebaut. Die Paulaner Brauerei und das 60iger Stadion sollen als Nächstes folgen. Die Schwabinger 7 ist Geschichte – dort wird bald exklusiv gewohnt. Im Westend werden Altbauten saniert und Mieter_innen verdrängt. In Thalkirchen entsteht inmitten eines Naturschutzgebietes ein Luxuswohnkomplex. Das ehemalige Verlagsgebäude der „Süddeutschen Zeitung“ beherbergt bald Luxuswohnungen, Boutiquen und Büroflächen. In Pasing sorgen die Arkaden für eine komplette Umgestaltung des urbanen Raumes im Sinne des Konsums. Vom ehemaligen städtischen Heizkraftwerk – jetzt „ The Seven“ – in der Müllerstraße, schauen bald Millionär_innen aus ihren Lofts über unsere Stadt, und selbst die ohnehin schon exklusiven Viktualien- und Elisabethmärkte sind von einer Luxussanierung bedroht! Diese Entwicklung umfasst schon seit längeren den gesamten städtischen Raum, und nichts scheint vor ihr sicher zu sein.
Für uns bedeutet „Boomtown Munich“, dass wir keine bezahlbaren Orte zum Leben, d.h. Treffpunkte, Ateliers, Projekte, Büros, Clubs oder Kneipen haben; dass es eine fast unmögliche Aufgabe ist, eine vom monatlichen Gehalt bezahlbare Wohnung zu finden, dass Studio- und Proberäume zur Mangelware werden, dass der Platz für unkommerzielle Freiräume und alternative Wohnformen verloren geht, und dass selbst die öffentliche Mobilität (ÖPNV) für viele Menschen unbezahlbar wird. Die totale Inwertsetzung des städtischen Raums hindert uns an einem selbstbestimmten Leben. Wir sind gezwungen, einen Zweit- oder Drittjob anzunehmen, um uns das Leben hier noch leisten zu können. Die Vereinzelung nimmt zu, soziale Netzwerke, Freundschaften, Familie und Lebensgemeinschaften fallen dem Diktat des „freien Marktes“ zum Opfer.

Doch die Stadt gehört uns!

Wir wollen selbst entscheiden, wie und wo wir leben. Wir kämpfen für Freiräume, Gegenentwürfe und Utopien, die die städtische Verwertungs- und Standortlogik unterlaufen. Voraussetzung hierfür ist eine transparente Stadtpolitik, die es ermöglicht, mitzugestalten.
Wir wollen auch keine strategisch platzierten Zentren der „Kreativwirtschaft“, wir wollen dauerhafte Nutzung statt ewiger Vertröstung und „temporären Zwischennutzungen“.

Wir sagen: Unsere Stadt ist kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen, und darf nicht undemokratisch und profitorientiert geführt werden. Wir fordern eine Mitbestimmung von unten! Wir stellen die soziale Frage, die in den Metropolen heute auch eine Frage der Aneignung von Räumen ist, von allgemeinem Zugang zu den Orten gesellschaftlichen Reichtums, städtischer Infrastruktur und Wissen. Es gibt keine Kultur ohne soziale Rechte. Es geht darum, Freiräume zu erobern, die das Leben in dieser Stadt für alle lebenswert machen.
Wir nehmen uns das Recht auf Stadt!

Wir haben lange genug zugeschaut, wie die Politik unsere Stadt verkauft und Investor_innen sie nach ihren Verwertungsinteressen umgestalten. Grund und Boden dürfen ebenso wenig Ware sein wie Strom, Wasser und die öffentlichen Personennahverkehrsmittel. Wir wollen eine Stadt, in der Platz für alle ist und die sich nach den Interessen und Bedürfnissen der Menschen entwickelt. Wir alle haben ein Mitspracherecht, wenn es um Stadtentwicklung geht – es wird Zeit, uns zu organisieren und dieses Recht gemeinsam in Anspruch zu nehmen.

Unterstützer können sich auf der Website an die Organisatoren wenden. http://rechtaufstadtmuc.wordpress.com

Ein Blogbeitrag von Chris Feilitz für das tagebook “Recht auf Stadt”.

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