Bürgermeister Dominik Krause beim CSD 2024 / Foto: Bethel Fath
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Solidarität, Sichtbarkeit und Sicherheit – Bürgermeister Dominik Krause über Queerfeindlichkeit

Lily Franzke

Am 28.06.2025 findet in München im Rahmen der Pride Weeks der Christopher Street Day statt. Der Tag steht unter dem Motto „Liberté, Diversité, Queerité“. Mit 200 teilnehmenden Gruppen wird die PolitParade ab 12 Uhr durch die Münchner Innenstadt ziehen- sie ist die größte Demonstration, die sich für die Rechte der LGBTIQ- Community einsetzt und der Höhepunkt des Tages.

Gleichzeitig steigen die Zahlen queerfeindlicher Übergriffe drastisch an. Dominik Krause, Münchens Zweiter Bürgermeister, ruft deswegen zu Solidarität auf: „Es ist wichtig, dass man sich nicht einschüchtern lässt und dass queere Menschen nicht alleine gelassen werden.“ Im Interview mit MUCBOOK berichtet Krause mehr zu queeren Themen aus München und dem CSD.

MUCBOOK: Was bedeutet der CSD 2025 für München?

Dominik Krause: Der CSD bedeutet mehrere Dinge. Zum einen ist er ein buntes Straßenfest. München ist immer weltoffen, aber an dem Tag ganz besonders. Zum anderen ist der CSD aber auch eine politische Demonstration. Und die ist in diesem Jahr so wichtig wie schon lange nicht mehr. Nachdem wir in den letzten Jahren einen massiven Anstieg von queerfeindlicher Gewalt erlebt haben, wäre es ein starkes Zeichen, wenn viele Menschen Flagge zeigen und klar machen, dass queere Menschen nicht alleine dastehen.

MUCBOOK: Was tut die Stadt, um die Veranstaltung zu unterstützen?

Krause: Wir haben schon lange einen guten Austausch mit dem CSD. München war eine der ersten Großstädte, wo der Oberbürgermeister mitgelaufen ist, damals noch Christian Ude. Und es ist nach wie vor Usus, dass die Stadtspitze den Zug der Straßenparade anführt. Da werde ich gemeinsam mit Dieter Reiter und dem Rosa-Liste-Stadtrat Thomas Niederbühl auch wieder dabei sein.

MUCBOOK: Während die Kosten laut Veranstaltern vor der Pandemie noch rund 46.000 Euro betrugen, werden dieses Jahr um die 200.000 Euro erwartet. Wie hoch ist die Summe der städtischen Unterstützung denn genau?

Krause: Das bewegt sich im unteren sechsstelligen Bereich. Es gibt einen Fonds für queere Gleichstellung der Stadt, über den wird das finanziert. Die Sicherheitsvorkehrungen sind insgesamt strenger geworden – zum einen weil der CSD größer geworden ist, zum anderen weil sich die Bedrohungslage für Veranstaltungen ganz generell verschärft hat. Das Problem hat nicht nur der CSD. Als Stadt versuchen wir, Großveranstaltungen zu unterstützen – das gilt für den CSD, aber zum Beispiel auch für den Fasching.

MUCBOOK: Das Problem ist offenbar auch, dass Sponsoren abspringen?

Krause: Die Veranstalter sagen, dass sie damit ein Problem haben. Im Zuge neuer Unternehmenspolicies aus den USA sind auch die Konzerne in Deutschland zurückhaltender geworden. Hinzu kommt: In der wirtschaftlich schwierigen Zeit sagen die Firmen, sie wollen in dem Bereich dann weniger Geld einsetzen. Was aus meiner Sicht falsch ist, weil mehr Diversität in den Unternehmen auch meistens ein wirtschaftliches Plus für sie bedeutet. Aber genau mit den Herausforderungen kämpft der CSD und dadurch bricht laut den Veranstaltern ein Teil der Einnahmen weg.

MUCBOOK: Beobachten Sie eine generelle Abwendungstendenz von der queeren Szene und dem CSD? Schließlich fallen nicht nur die fehlenden Sponsoren auf: 2023 haben noch 500.000 Menschen in München teilgenommen, im letzten Jahr waren es 320.000.

Krause: Es ist de facto so, dass sich einzelne Kräfte gerade von der Unterstützung von LGBTIQ-Personen abwenden. Und es wird auch in der Parteienlandschaft anders diskutiert als vor ein paar Jahren. Ob das heißt, dass in der gesamten Gesellschaft wirklich so eine ganz andere Einstellung vorhanden ist, das würde ich in Zweifel ziehen. Meine These wäre eher, dass diejenigen, die queerfeindlich sind, jetzt einfach wieder lauter sind, sich mehr trauen und einen stärkeren Anklang finden. Die Frage ist: Wie geht man damit um? Ich finde die richtige Haltung ist: Wir dürfen dem nicht nachgeben. Wir wollen LGBTIQ-Menschen schließlich unterstützen. Wobei unterstützen nicht heißt, dass man irgendwem besondere Rechte gibt, sondern einfach, dass Leute offen und frei leben können.

MUCBOOK: Die Zahl queerfeindlicher Straftaten ist deutschlandweit sprunghaft gestiegen. Wie erklären Sie sich das?

Krause: In München liegt der Anstieg in den letzten zwei Jahren bei ungefähr 80 Prozent, laut der Beratungsstelle „Strong!“. Wobei da noch eine große Dunkelziffer fehlt. Warum das jetzt so stark ansteigt, darüber kann man nur spekulieren. Ich würde sagen, es gibt eine sehr naheliegende Erklärung dafür: Wir erleben gerade in allen demokratischen Ländern, auch in Deutschland, einen massiven Rechtsruck. Teil rechtsextremer Ideologie ist die Abwertung von einzelnen Gruppen, spezifisch auch von queeren Menschen. Und deswegen würde ich sagen, ein Teil dieser Angriffe kommt vermutlich ganz unmittelbar aus rechtsextremen Zusammenhängen. Ansonsten werden natürlich Leute dadurch animiert, dass Dinge, die vor ein paar Jahren noch unsagbar waren, jetzt wieder laut ausgesprochen werden können. Dadurch schreitet man eher zur Tat.

MUCBOOK: Haben Sie damit gerechnet, dass es eine solche politische Entwicklung in Deutschland noch einmal geben könne?

Krause: Mich überrascht der Rechtsdruck nur begrenzt. Für mich war immer klar: das ist ein relativ brüchiger Boden, auf dem wir stehen, weil ultra-rechte Einstellungen eigentlich nie ganz weg waren. Sie waren vielleicht weniger sagbar, aber sie waren in den Köpfen von einigen noch da. Das weiß man aus Statistiken, und das merkt man auch so.

Ich hätte trotzdem die Hoffnung gehabt, dass wir gesamtgesellschaftlich schon weiter sind. Aber eine rechtsextreme Partei im Bundestag ist natürlich ein echter Katalysator, um radikalen Einstellungen wieder den Boden zu bereiten.

MUCBOOK: Merken Sie im Stadtrat auch etwas von den rechten Kräften, die dort wirken?

Krause: Bei uns im Stadtrat spielen rechtsextreme Positionen bisher zum Glück keine so große Rolle, weil wir nicht so viele rechtsextreme Personen im Stadtrat sitzen haben. Und ich finde es wichtig, dass es nach der Wahl auch so bleibt.

MUCBOOK: Gleichzeitig gibt es auch konservative Kräfte im Stadtrat. Es war lange in CSU-Kreisen durchaus ein Thema, wie liberal man dort eigentlich ist. Wie schätzen Sie da in München die Situation ein?

Krause
: In München würde ich sagen, dass es im Großen und Ganzen schon unter allen demokratischen Fraktionen eine klare Unterstützung für die queere Szene gibt. Wenn man sich dann aber die einzelnen Themen anschaut, wird es in Teilen schon schwieriger. Zum Beispiel bei der Drag-Lesungsdebatte ist dann etwas wieder aufgeplatzt, was ich so nicht erwartet hätte.

Und wenn ich mir auf Bundesebene das neue Kabinett anschaue, haben wir dort zwei Ministerinnen und Minister, die in der Vergangenheit über gleichgeschlechtliche Liebe gesagt haben, dass diese nicht normal sei und die Ehe für alle unendliches Leid verursache. Das ist etwas, was mich sehr beunruhigt. Vor kurzem hat die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner dem Regenbogen-Netzwerk des Bundestags verboten auf den CSD zu gehen. Das sind, finde ich, beunruhigende Vorzeichen. Und ansonsten muss man tatsächlich sagen, dass die konservativen Parteien sich die Frage stellen müssen, wo sie denn eigentlich stehen.

MUCBOOK: Wie erleben Sie als homosexueller Mann ganz persönlich diese Tendenz?

Krause: Ich selbst erlebe zum Glück keinen gestiegenen queerfeindlichen Hass. Aber ich bin da natürlich an mehreren Stellen auch sehr privilegiert. Zum einen, weil ich als Bürgermeister aus einer Rolle heraus spreche und zum anderen, weil ich sicherlich unter dem ganzen LGBTIQ-Regenbogenspektrum nicht in der Gruppe bin, die da am ehesten Anfeindungen erlebt.

Die meisten Anfeindungen richten sich gerade gegen Trans- und Inter-Menschen. Deswegen ist es auch so wichtig, dass die Szene dann sagt: Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren, sondern wir sind solidarisch miteinander. Das gilt für die Szene, aber das gilt natürlich auch darüber hinaus.

MUCBOOK: Ist die Solidarität in der LGBTIQ-Szene untereinander in Gefahr?

Krause: Die Solidarität ist ungebrochen, ganz besonders hier in München. Wir haben hier einfach viele alte „Recken und Reckinnen“, die auch immer wieder davon erzählen, was für ein Gamechanger es war, sich unter diesem „LGBTIQ“ zusammenzufinden. Es war enorm wichtig zu sagen: Wir stehen hier gemeinsam und lassen uns nicht auseinanderdividieren. Dieser Gedanke trägt die Szene bis heute. Allen ist klar, dass wir zusammenstehen müssen – und deswegen funktioniert das auch so gut.

MUCBOOK: Was tut die Stadt München für queere Bürger:innen, damit diese konkret unterstützt werden und die Politik nicht nur symbolisch bleibt?

Krause: Wir haben zum einen ein sehr großes Unterstützungsnetzwerk von verschiedenen Einrichtungen – zum Beispiel das „Sub“, das „LeZ“, oder auch das „diversity“ als Jugendzentrum. Das sind Schutzräume, wo man hingehen und sich austauschen kann. Es gibt aber auch konkrete Beratungsangebote. In der jetzigen Haushaltslage ist für uns klar, dass wir diese Orte, obwohl die Kassen klamm sind, aufrecht erhalten und in Teilen vielleicht auch noch ausbauen wollen. Zum Beispiel in Form eines Trans-Zentrums in München. Als Stadt haben wir zudem seit drei oder vier Jahren ein queeres Beschäftigten-Netzwerk – das war längt überfällig.

MUCBOOK: Brauchen wir in München einen „queeren Masterplan“, wie zum Beispiel Berlin ihn hat?

Krause: Wir haben eine LGBTIQ*-Strategie, sie heißt: „Erreichtes bewahren. Bedrohungen entgegentreten. Zukunft gestalten.“ Auch wenn dieser Titel ein bisschen holprig ist, fasst er eigentlich ganz gut zusammen, was gerade so die Herausforderung für queere Menschen ist.

Es gibt einen ganzen Katalog an Maßnahmen in den unterschiedlichsten Bereichen. Wir haben bei der Stadt zum Beispiel eine Koordinierungsstelle, die in den verschiedensten Fachbereichen immer mit drauf guckt, dass auch die Belange von LGBTIQ-Personen vertreten sind. Es geht außerdem um einen Austausch mit der Polizei. Wir als Stadt unterstützen die Polizei zum Beispiel darin, dass dort eine Sensibilisierung stattfindet. Das ist ganz wichtig, denn wir hatten über viele Jahrzehnte das Problem, dass Leute Dinge gar nicht zur Anzeige gebracht haben, weil sie Angst vor einer Retraumatisierung hatten. Also: Wir haben unseren Masterplan. Für das Bundesland Bayern gibt es einen solchen Plan jedoch nicht.

MUCBOOK: Was müsste denn der Freistaat Bayern auf Landesebene machen, wo Ihnen als Stadt die Hände gebunden sind?

Krause: Der Ministerpräsident hatte einen solchen queeren Aktionsplan großspurig angekündigt und dann auch um Beteiligung gebeten. In diesem Beteiligungsprozess gab es dann eine Welle von rechten Hasskommentaren auf der Beteiligungsseite. Dann ist das Ganze versandet – und seitdem hat man nie wieder etwas davon gehört. An vielen Stellen geht es darum, dass der Freistaat das macht, was wir als Stadt München schon machen, nämlich vor allem die Infrastruktur zu unterstützen. Ich glaube, dass Orte für Schutz und Austausch eigentlich das allerwichtigste sind – gerade in den ländlicheren Regionen.

MUCBOOK: Schauen wir kurz auf eine andere Stadt in Bayern: In Regensburg gab es die Meldung, dass der CSD Drohbriefe bekommen hat. Ist Ihnen aus München bekannt, dass konkrete Bedrohungen ausgesprochen wurden?

Krause: Ich habe das in Regensburg besorgt mitverfolgt. In München sind die Veranstalter in gutem Austausch mit der Polizei. Sie haben die Situation gemeinsam im Blick und es ist klar: Wenn der CSD stattfindet, dann findet er auch sicher statt.

MUCBOOK: Und zu guter Letzt: Warum denken Sie, dass der CSD wirklich einen Wandel mit sich bringt und nicht nur für kurzfristige Sichtbarkeit sorgt?

Krause: Ich halte den CSD für wahnsinnig wichtig. Ich verstehe, wenn man sagt, man darf nicht einen Tag volles Programm machen und den Rest vom Jahr dann nichts, aber das ist ja nicht der Fall. Man kann das eine tun und das andere nicht lassen. Der CSD ist zum einen eine Feier und zum anderen eine politische Demonstration und deswegen so wichtig wie alle anderen politischen Demonstrationen eben auch. Aus meiner Sicht trägt der CSD elementar dazu bei, dass München dieses Bild als weltoffene Stadt hat.