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Stil & Striptease

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(c) Jugendfotos Lea Müller

Schweißnasse Strähnen, Plateauschuhe und glitzernde Bauchnabelpiercings galten vor nicht allzu langer Zeit als Statussymbole des Striptease. Dann tauchte Dita von Teese aus ihrem Martiniglas auf, schnürte sich die Taille mit edlen Korsetts und puderte sich das Gesicht in vornehmer Blässe. Die New-Burlesque war geboren. Federboa statt String-Tanga. 20ger-Jahre-Swing statt puren Beats. Sinnliche Kokettier statt billigem Sex. Doch was steckt wirklich hinter der Faszination “Burlesque“, diesem Striptease mit gebührendem Abstand, glamourösen Kostümen und viel Humor? Nur ein Publikums-Flirt oder doch echte Kunst? Ein Selbstversuch.

Langsam, verführerisch langsam, zieht Christine von Scheidt im Rhythmus der Musik den roten Satinhandschuh von ihrem rechten Arm, lässt ihn dann dreimal neckisch im Kreis rotieren und wirft ihn schließlich mit einem kessen Lächeln hinter sich. „In der Burlesque ist der Weg das Ziel,“ meint sie dann, während sie sich zu uns umdreht und nach ihrem Handschuh bückt, sodass ihr gefährlich eng geschnürtes Korsett hörbar knackst.
Burlesque. Hätte mir jemand vor ein paar Monaten gesagt, dass ich tatsächlich irgendwann in einem Kellerraum mit sinnlich rot-goldenen Tapeten, sündig-roten Samtvorhängen und verrucht-vergoldeten Kerzenleuchtern stehen würde, um die so genannte „Kunst des stilvollen Ausziehens“ zu erlernen – ich hätte partout kein Wort geglaubt. Bislang hatte ich im Bereich Striptease nämlich ungefähr so viel Erfahrung wie John Rambo im Babysitten: überhaupt keine. Die mehr kläglichen denn verführerischen Versuche im heimischen Schlafzimmer zählen nicht.
Meine Faszination für Korsetts, Nylons und Dita von Teese hatte mich schließlich in diesen düster beleuchteten Raum eines Hinterhofes gebracht, der zur Münchner Tanzschule „Swing and the City“ gehört. Christine von Scheidt führt dort seit mehreren Monaten angehende Stripperinnen durch Workshops. Sie selbst tanzt seit vier Jahren im Bereich Burlesque. Zusammen mit fünf weiteren Frauen bildet sie die „Honey B Burlesque“, eine Münchner Showtanzgruppe die regelmäßig bei verschiedenen Veranstaltungen auftritt. Egal ob Junggesellenabschied, Geburtstagsparty oder Firmenfeier – die „Honeys“ sind gefragt, ihre Shows ein Mix aus Satire, Performance, Art und Comedy gewürzt mit einem Hauch Erotik, ohne dass es nach der Betriebsfeier Schlagzeilen nach dem Motto „Versicherung lädt zu Sex-Party“ hagelt.
„Denn die oberste Regel der Burlesque besagt, dass man nicht nackt sein muss, um sexy zu sein“, lehrt Christine von Scheidt uns gleich zu Beginn des Workshops. Die Burlesque arbeitet nach dem Motto: Be pleased to be teased!
Die Ursprünge dieses provokant-anrüchigen Tanzstils liegen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, geboren aus einer Art Unterhaltungstheater. Die Artistinnen entkleideten sich nicht vollständig, sondern entledigten sich nur gewisser Kleidungsstücke. So bildet zum Beispiel das Ausziehen eines Handschuhs allein eine erotische Attraktion, den Höhepunkt der Show.


Von Shimys, Bodyrolls und Grinds

So wie bei Christine von Scheidt, die statt auf einer Bühne jetzt vor einem großen Spiegel mit ihrem Satinhandschuh kokettiert und nicht ein Publikum a lá Schirm, Charme und Melone begeistert, sondern sieben junge, neugierige Frauen – darunter auch mich.
Was bei Christine und Dita von Teese so leichtfüßig und erotisch aussieht, ist allerdings echte Knochenarbeit – oder besser gesagt: Muskelarbeit. Während uns das langsame Kreisen der Hüften nach rechts, links, vorne, hinten und in einer angedeuteten Acht noch relativ leicht fällt, sind die meisten von uns mit sogenannten Shimmys – dem scheinbar lockeren Schütteln der Brüste – leicht überfordert. Denn es wackelt dabei nicht nur unsere Oberweite, sondern auch unser gut gepolstertes Hinterteil, was zwar ebenfalls anregt – allerdings mehr zur Belustigung, denn zu heißen Fantasien. Dabei ist Belustigung etwas, das mit der Kunst der Burlesque einhergeht. Das Flirten, das Necken, das Spiel mit den zahlreichen Accessoires; die Burlesque nimmt sich nicht so ernst – ebenso wenig die Tänzerin und das Publikum. Genau das ist die Kunst, das Geheimnis dieser Erotik und der Grund, warum nicht nur Männer den Burlesque-Tänzerinnen zu Füßen liegen, sondern auch Frauen deren Auftritte schmunzelnd verfolgen, wenn dort auf der Bühne ein Nylon-Strumpf scheinbar zufällig verrutscht oder das Strass besetzte Korsett zu Boden segelt. Doch selbst dann bleibt die Protagonistin stilvoll, denn wie bereits erwähnt: in der Burlesque wird nie alles gezeigt. Und wenn es zu guter Letzt auch nur noch das Höschen und die Nippelquasten sind, welche die Brustwarzen vor den Blicken der Zuschauer verbergen.

„… an awful good girl…“
Zuschauer gibt es während der Workshops von Christine von Scheidt nicht – ebenso wenig wie es für uns Nachwuchs-Dita´ s heute Nippelquasten gibt. Dafür aber Satinhandschuhe und Federboas, die nach dem – mehr oder weniger – erfolgreichen Erlenen der Body Rolls und Grinds nun in unserer Choreographie zum Einsatz kommen sollen. Passend zur Weihnachtszeit performen wir zu Eartha Kitt` s „Santa Baby“. Die Schrittfolge an sich ist einfach zu merken: mal vor, mal zurück, dann ein laszives Abstreifen des linken Satinhandschuhes, ein verspieltes Anschmiegen an die Federboa gefolgt von einem kecken Lächeln für das eigene Spiegelbild. Und alles im Einklang mit Eartha Kitt, die mit zuckersüßem Stimmchen „…been an awful good girl, Santa baby, so hurry down the chimney tonight“ trällert. Während der scheinbar unschuldige Augenaufschlag und die anmutig fließenden Hüftbewegungen halbwegs professionell erscheinen, erinnern viele von uns bei den Shimmys nach wie vor mehr an Santa Claus mit Schüttelfrost als an eine Göttin des Unterhaltungstheaters. Billy Minksy – seines Zeichens einer der ersten Betreiber jener Spielstätten – hätte seine helle Freude mit uns gehabt. Aber ich habe Blut geleckt, Burlesque-Blut. Das Blut des kunstvollen Entkleidens, eine Mischung aus Unterhaltungstheater und Striptease. Und es ist bekanntermaßen auch noch kein Meister vom Himmel gefallen – demnach auch keine Burlesque-Künstlerin aus dem Martiniglas. Bis ich mich dort eines Tages so ästhetisch räkeln werde wie Dita von Teese werden wohl noch einige Workshops bei Christine von Scheidt vergehen, zahlreiche rote Boas ihre Federn verlieren und der eine oder andere Nylon-Strumpf reißen.
In der Zwischenzeit trinke ich meinen Martini lieber noch züchtig bekleidet in einer netten Münchner Bar.
Geschüttelt. Nicht gerührt.

Bild: (c) Lea Müller, jugendfotos.de /

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