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Symposium in der Akademie: Limits of Control

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Orwell oder Huxley, das ist hier die Frage. Die frontale, bewusste, autoritäre Überwachung – oder der perfide vorauseilende Gehorsam des Überwachten, der sich freiwillig auszieht. Es sind diese zwei Antipoden dystopischer Überwachungsszenarien, die derzeit wieder hoch im Kurs stehen. Während in Orwells „1984“ die Überwachung durch einen totalitären Staat geschieht, an dessen Spitze ein greifbarer Diktator trohnt, ist die Gesellschaft in Huxleys „Schöne Neue Welt“ bereits so indoktriniert, dass sie keinen Überwacher mehr braucht. Man liefert sich selbst aus, seinem Schicksal ergeben, und ist Teil des Systems. Es scheint nun, dass die „Schöne neue Welt“ unserer Gegenwart näher kommt als Orwells „1984“ – „Orwell ist real: Big Brother is watching you! Aber nicht hinter der hässlichen Fassade eines Kontroll-Regimes, sondern getarnt durch die schönen neuen Benutzeroberflächen.“ Und diese bedient man eben freiwillig.

So eröffnete Anja Mauruschat das Symposium „Limits of Control. Wem gehören unsere Daten?“, das am Freitag, 12. Juli, im Vorfeld zur Jahresausstellung der Akademie der Künste stattfand. Damit berührt sie genau den wunden Punkt der Problematik: Welche Verantwortung trägt der Staat, und welche der Bürger? Sind wir wirklich unschuldige Opfer machthungriger Staaten und Wirtschaftskonzerne, oder haben wir selbst am großen Datenzirkus teil? Sind wir alle große Brüder?

Elf Referenten trugen vor und diskutierten anschließend über ihre teils sachlich informativen, teils künstlerisch provokativen Thesen. Zehn Stunden dauerte der Diskurs-Marathon, und am Schluss sahen die Zuhörer tatsächlich aus, als hätte sie der in den letzten Tagen oft herangezogene ominöse Datenstaubsauger ausgelaugt. Dabei waren die Themen und Ansatzpunkte der einzelnen Teilnehmer so differenziert, dass es einem die plumpe binär-logik von Freiheit und Sicherheit, die man in den deutschen Talkshow-Beiträgen mundgerecht serviert bekommt, um die Ohren haut.

Julius Mittenzwei ist einer von denen, die tatsächlich etwas davon verstehen, wenn sie über Sicherheit im Netz reden. Der Jurist ist Mitglied des Chaos Computer Clubs, und prophezeit nichts weiter als das „völlige Ende der Privatssphäre“. Denn erstens müsse man davon ausgehen, dass absolut alles, was digital geschieht, überwacht wird. Zweitens werde es in naher Zukunft keine soziale Interaktion, keine Lebensbereich mehr geben, der nicht digital erfasst werde – das Beispiel Google Glass ist nur eines von vielen. Und drittens werde das sogenannte Datamining, also das auswerten der Daten, immer präziser. Und so bleibt dem Nutzer nur die Möglichkeit, sich selbst zu schützen, und die eigenen Kenntnisse über Verschlüsselung von Datenverkehr, sofern überhaupt vorhanden, zu erweitern. Beim Chaos Computer Club ist Mittenzwey unter anderem für das Programm TOR zuständig, das einigermaßen sichere Kommunikation im Netz ermöglicht.

Ähnlich sieht es auch Jan Wildeboer, der in seinem Vortrag zum „zivilen Ungehorsam in der digitalen Welt“ aufrief. Da Identität Macht sei, müsse man versuchen, den Mächtigen seine Identität vorzuenthalten, und sich so wieder einen Freiraum zu schaffen. „Tauschen sie doch einfach mal ihre Payback Karte mit ihren Freunden, dann können die mit ihren Daten schon überhaupt nichts mehr anfangen“, meinte der charismatische Open-Source Aktivist, und bekräftigte in der Diskussion genau das perfide am Huxleyschen Modell: Denn selbst wenn man sich der Beobachtung bewusst wird, bleibt der Beobachter unsichtbar, sodass ein diffuses Gefühl der Angst entsteht. „Weil man Angst hat, handelt man Stromlinienförmiger, doch das ist das Ende der Demokratie“.

Aber will man sich damit zufrieden geben, dass man alles, was man tut selbst verschlüsseln muss? Dass man überall falsche Namen und Adressen angibt? Auf keinen Fall, meint der bayerische Datenschützer Thomas Petri, und forderte stattdessen „Rußfilter“ für die technischen Geräte. Was technisch möglich ist, wird gemacht, da sind sich alle einig. Daher müsse man an den Geräten selbst ansetzen. Ein Handy, bei dem man die Ortungsfunktion nicht ausstellen könne, dürfe in Europa eben nicht mehr zugelassen werden. Und auch Felix Stalder, Professor für Digitale Kultur an der Hochschule der Künste in Zürich, meint, dass „wir verloren haben, wenn wir in einer Welt leben, in der alles verschlüsselt sein muss.“ Weder auf die Gesetze dürfe man vertrauen, noch sich selbst beschränken im Umgang mit dem Internet. Stattdessen sei die einzige Lösung, Monopole aufzubrechen, und so die dezentrale Struktur, die das Internet eigentlich hat, wieder herzustellen.

Völlig anderer Meinung war freilich derjenige, der als einziger die Seite der Mächtigen repräsentierte: Rex Bearchode, Vizepräsident von Stratfor, einer amerikanischen Spionagefirma, die sowohl von der Regierung als auch von Unternehmen dafür bezahlt wird, Informationen zu sammeln und auszuwerten. So unglaublich klischeehaft klang der Vortrag des jungen smarten Amerikaners, dass man es kaum glauben konnte: „Sorgt euch nicht, wenn wir eure Daten bekommen, die sind sowieso nichts wert, dafür beschützen wir euch vor Angriffen und bösen Menschen“. Umso größer die Erleichterung, aber auch die Scham, all das geglaubt zu haben, als sich Bearchode am Schluss als Mitglied der Künstlergruppe „The Yes Men“ entpuppte. Die „Yes Men“ wurden tatsächlich von Stratfor ausspioniert, und zahlen es Ihnen jetzt auf ihre Art wieder heim: Indem sie das Auftreten von Firmen wie Stratfor so überzogen, und dennoch glaubhaft darstellen, machen sie dem Publikum bewusst, wie absurd ihre zirkelförmigen Argumentationsketten eigentlich sind. Und somit war dann der künstlerische Teil des Tages eröffnet, der neben den Stars aus den USA auch die Netzpionierin und Aktivistin Rena Tangens und den Leiter des Cultural Intelligence Network World-Information Institute, Konrad Becker, bereithielt. Der Vortrag des letzteren war so eingänglich wie der Name seines Instituts, und so wirkte seine 30-minütige Suada zum unaufhörlichen Bilderstrom der dazugehörigen Powerpointpräsentation wie eine performative Darstellung des Problems der Reizüberflutung. Inhalt wird zur Form, sozusagen. Als sich Becker dann am Schluss noch in eine hitzige Diskussion über den Kapitalismus mit dem schweizerischen Künstler Marcos García Pedraza einließ, war der Tag zum Abend geworden, und das Publikum reif für das Schlusswort: Ob sich die jungen Künstler hier denn auch noch mit gesellschaftskritischer Theorie beschäftigten, wollte Anja Mauruschat wissen, dies sei ja schließlich eine Kunstakademie. „Wir beschäftigen uns eher mit Farbflächen“, war die einzige Antwort aus den Zuschauerreihen. Bei allem Sinn für Ironie, läuft einem da schon ein Schauer über den Rücken. Digital Natives at their best.

Foto: Akademie der Bildenden Künste München

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