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Leerstand, Umnutzung, Neubeginn: Die VerhandelBar ist Bühne für urbane Visionen – Mit-Initiator Jan Fries im Interview!
Mitte Juli eröffnete in der Maxvorstadt die „VerhandelBar“ – ein Ort, der sich als Plattform für Austausch, Kunst und Aktivismus versteht. Zur Eröffnungsfeier kamen zahlreiche Besucher*innen, um mehr über die beteiligten Initiativen zu erfahren und den Abend bei Musik und Drinks ausklingen zu lassen. Seitdem hat sich einiges getan: Neben einer fortlaufenden Ausstellung hat das Team mehrere Veranstaltungen organisiert, darunter Kartierungsspaziergänge und eine Bustour zu Gebäuden, die vom Abriss bedroht sind. Im Interview erzählt Jan Fries – einer der Initiator*innen – über den gelungenen Start, das Feedback von Besucher*innen, Politik und Bauwirtschaft sowie die weiteren Plänen bis zum Finale im Oktober.
Hallo Jan, Mitte Juli habt ihr die VerhandelBar eröffnet. Wie habt ihr den Abend und den Vibe erlebt und was ist danach passiert?
Jan: Wir waren perplex und hocherfreut über so viel Resonanz. Die Wiese vor der VerhandelBar war voll, verschiedenste Menschen waren da, die Stimmung war super. Das Programm war eine gelungene Mischung aus Spaß und Ernst.
Seitdem arbeiten wir kontinuierlich weiter an der VerhandelBar. Vor zwei Wochen haben wir mit den Ergebnissen des Open Calls (zur Zukunft des Gebäudes des Strafjustizzentrums in der Nymphenburgerstraße – Anm. der Red.) die zweite Fassung der Ausstellung eröffnet, es werden noch zwei weitere im September kommen. Ansonsten sind wir sehr beschäftigt damit, die laufenden Veranstaltungen zu organisieren. Was hier schon passiert ist beziehungsweise noch kommt, schaut ihr am besten auf unserer Website nach oder lasst es euch von Instagram in den Feed spülen.
Teil eures Programms sind sogenannte „Kartierungsspaziergänge“, bei denen ihr (vermutete) Leerstände im Viertel gemeinsam mit Teilnehmer*innen besucht. Konntet ihr bei der Gelegenheit neue Leerstände identifizieren und Infos sammeln?
Wir sind noch nicht ganz durch mit den Spaziergängen, der letzte findet am 05.09. im Westend statt. Wir konnten ein paar neue Orte identifizieren, von Leerständen bis zu Brachen und Objekten für den Abrissatlas. Toll war, dass man mit einer Gruppe interessierter Menschen wirklich schnell tiefes Wissen zu einzelnen Gebäuden sammeln kann. Die Hans-Sauer-Stiftung, mit welcher wir die Spaziergänge gemeinsam durchführen, wird auf Basis dieser Vorarbeiten die Arbeit in Sendling vertiefen. Keep your eyes peeled!
Dann gab es da noch eine Bustour an Orte in München, die dem Abriss geweiht sind – mitsamt eurer kostümierten Bärenbande. Was hat es mit den dort ausgelobten AbbrechenAbbrechen-Awards auf sich?
Die Bustour hat eine große Bandbreite an Gebäuden und Brachen thematisiert und in das Bewusstsein der Teilnehmer*innen gerückt. Prämiert wurden Beispiele, die besonders krass die Absurdität der aktuellen Situation aufzeigen. Erstes Beispiel: die Siedlung am Harthof, die die Stadtpolitik trotz festgestelltem Bedarf circa 40 Jahre lang unsaniert ließ, nur um jetzt die (scheinbare) Baufälligkeit festzustellen, die Siedlung abzureißen und dann eine zum Verwechseln ähnliche Siedlung mit einem zusätzlichen Stockwerk, um 90° gedreht, zu errichten.
Zweites Beispiel: Benko und die Signa-Gruppe, welche mit ihrem hochspekulativen Geschäftsmodell der Stadt einen Haufen Bauruinen hinterlassen haben – und keiner weiss so recht, was mit diesen zu tun ist.
Eines eurer Kernthemen ist die Initiative JustizzentrumErhalten. Der Landesregierung obliegt ja eine Nachnutzung, Veräußerung oder Bebauung für das Areal am Justizzentrum in Nymphenburg. Gab es da Begegnungen oder nennenswerte Resonanz von der Landespolitik?
Wir glauben, dass schon die erste Pressemitteilung des Bauministers Bernreiter eine Reaktion auf unser Positionspapier war, auch wenn wir darin nicht erwähnt werden. Seitdem hatten wir einen größeren Gesprächstermin im Ministerium und eine Begehung des Strafjustizzentrum gemeinsam mit weiteren Engagierten aus dem Benno-Viertel und den Mitarbeiter*innen des Ministeriums.
Eine Machbarkeitsstudie, welche Neubau und Bestandserhalt miteinander vergleicht, ist in Arbeit, sie verzögert sich aber seit dem Frühjahr immer wieder. Insgesamt gibt sich das Ministerium noch deutlich zu wenig kooperativ und transparent, nachdem der Tonfall im ersten Gespräch zumindest anderes vermuten ließ. Da waren wir wohl naiv. Aber hey, Behörden sind Tanker, und die Staatsregierung (welche ja die Linie vorgibt) ist auch nicht gerade für Mut bekannt…
Einer der eingereichten Vorschläge aus dem Ideenwettbewerb für die Zukunft des Strafjustizzentrums von Studio Tom Meiser: Kulturpalast Sant Benno
Im Strafjustizzentrum entsteht ein neues Kulturzentrum mit Jugendzentrum und Stadtteilbibliothek sowie sozialem Wohnungsraum für unterschiedliche Lebensmodelle. Es wird zu einem Ort für Kultur, Jugend und Soziales, in dem sich allen Einwohner*innen des Viertels einbringen können.
Jurystatement:
„Zeit wirds! Die Kultur braucht einen Palast. Vorbei die Zeit, in der die Kultur nicht als systemrelevant eingestuft wurde. Zeit, ihr als Wiedergutmachung einen Palast zu widmen. Bitte haltet ihn in Ehren und lasst auch alle auf den Dachgarten!“
Gab es sonst Feedback aus der Bauwirtschaft und Politik auf eure Veranstaltungsreihe? Schließlich sitzen sie bei den meisten diskutierten Fällen am Drücker.
Ob es Feedback gibt aus der Politik, kommt stark auf das Parteibuch an. CSU und Freie Wähler ignorieren uns bisher weitgehend, mit der AfD sprechen wir selbst nicht. Die hauptsächliche Resonanz kommt politisch von der Ebene der Stadt und des Bezirks Maxvorstadt und ist durchaus positiv.
Diese Ebenen haben leider nur begrenzt Gestaltungsmacht, aber es gibt einige vielversprechende Initiativen aus dem Stadtrat, die wir in Teilen durchaus auch uns zuschreiben können.
Mit der Bauwirtschaft haben wir kaum Berührungspunkte, es sei denn mensch zählt dazu die Architekt*innen. Wir bemühen uns um Kontakt auch zu Projektentwickler*innen, um unserem Anliegen auf Basis von Zahlen mehr Seriosität zu verleihen. Bei eigentlich allen Akteur*innen der Baubranche ist es eine Generationenfrage – wenn sich jemand als Bestandswahrer*in gibt und uns als naiv abstempelt, dann ist es die ältere Generation. Aber auch hier gibt es positive Ausnahmen.
Auf was freut ihr euch noch besonders in den kommenden Wochen und Monaten?
Wir möchten da eigentlich keine einzelne Veranstaltung herausheben. Es gibt ein reichhaltiges Programm, das die Bandbreite der zivilgesellschaftlichen Diskussionen abbildet. Nicht nur über Gespräche, sondern auch über Filmabende. Dazu kommt hin und wieder noch eine Bespielung mit Kunst von Folke Köbberling und Gabi Blum sowie ziemlich guter Musik. Auch hier gilt: schaut einfach auf unsere Website oder auf unser Instagram.
In der Summe ist es einfach irre, unseren Aktivismus mit so viel Raum und Ressourcen machen zu können! Ein Anschlussprojekt ist auch schon in der Mache, aber dazu können wir noch nichts verraten.
Ein weiterer Vorschlag aus dem Ideenwettbewerb: „Rich Robin in the Hood“ von Gabriel, Lenny und Nikolas aus dem Wittelsbacher-Gymnasium
Das ehemalige Justizzentrum wird in drei Bereiche unterteilt: Der untere Teil des Gebäudes wird zu einem Casino umgewandelt, das die restlichen gemeinnützigen Teile des Gebäudes finanziert. Im mittleren Teil des Gebäudes entsteht ein öffentliches Hygiene-Center für Bedürftige, auf dem Dach eine Rooftopbar mit nachhaltigem Pflanzenanbau.
Jurystatement:
„Die Finanzierung ist das A und O jedes Projektes. In diesem Vorschlag finanziert ein Teil des Hauses den anderen. Der totale Kontrast zwischen Casino als Geldmaschine und dem Erfüllen der menschlichen Grundbedürfnisse ist eine provokante Darstellung der Gesellschaft. Robin nahm von den Reichen. Heute ist das Lockmittel ein anderes, weder Diebstahl noch Spende. Im Casino fließt das Geld durch den eigenen Willen. Das Geld verlässt das Haus aber nicht und verschwindet auch nicht in privaten Taschen. Eine Finanzierung des ‚nicht Finanzierbaren‘.“
Infos über das weitere Programm der VerhandelBar findest du hier.
Alle 13 prämierten Vorschläge (und noch ein paar mehr) für die Umnutzung des Strafjustizzentrumgebäudes siehst du hier.
Hinweis:
VerhandelBar – unter Einschluss der Öffentlichkeit ist ein Projekt von ARCH+ in Kooperation mit der Initiative JustizzentrumErhalten/ AbbrechenAbbrechen und dem Kollektiv PointOfNoReturn. Es wird im Rahmen des internationalen, geladenen Kunstwettbewerbs Public Art München im Segment SOLO im Sommer 2024 durchgeführt und durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München gefördert.
Bilder: ©VerhandelBar/Christin Büttner
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