Kultur, Live

Vollkommen unvollkommen

Sebastian Gierke
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Die eigene Kindheit in Popmusik übersetzen. Kaum etwas Schwierigeres ist vorstellbar. Überall Fallen, überall lauern die „glücklichstenTagemeinesLebens“-Plattitüden, die roten Bäckchen und die großen Augen.  Mohna ist es mit ihrem Debütalbum gelungen.

Die Schwierigkeiten, die Kindheit als Quelle für Popmusik zu benutzen, liegt – auch - darin, dass die ersten zehn Jahre eines Lebens den einzelnen zwar geformt haben, man sich daran aber nicht mehr im Konkreten erinnern kann. Kindheit ist, wie alle Erinnerung,  und doch ganz besonders: Konstruktion. Die Erinnerung an die Kindheit ist nicht einfach da, wie eine im Meer versunkene Stadt, zu der man hinabtauchen kann. Sie ist komplex und vor allem dynamisch, untrennbar verbunden mit der Gegenwart.

© Tilman Wolfgang Reinhold Walther

© Tilman Wolfgang Reinhold Walther

 

Mohna, gebürtige Münchnerin und jetzt in Hamburg lebend, hat es trotzdem geschafft, mit ihrem Debütalbum “1984–1994”ihrer Kindheit eine musikalische Spur gegeben. Nicht mehr, sie hat ihre Kindheit nicht vertont, liefert aber auch keinen Seelenstriptease mit dem Thema Kindheit als nur vorgetäuschtem Abstandshalter. Mohna, ihre Musik, ihre Kindheit bleibt immer ungreifbar, seltsam unerreichbar.

Das Magische und Dunkle der Kindheit schimmert durch die Song-Miniaturen. Hingetupftes Klavier und Stimme, das ist das Gerüst, an dem andere Instrumente hochgezogen werden: Streichinstrumente, Klarinette, ein schüchternes Schlagzeug, geschichtete Gesangsspuren, alles selbst aufgenommen im eigenen Wohnzimmer. Das wirkt spröde, wunderbar unfertig: vollkommen in der Unvollkommenheit.

Zerbrechlich, schlicht und dennoch vielschichtig, atmosphärisch, unsicher, sanft klingen die Lieder. Und so gar nicht nach „schüchternes Indie-Mädchen verklebt einem mit ihren uninteressanten Befindlichkeiten die Gehörgänge.“ Das liegt vor allem an der Kühle, die alle Songs trotz viel Moll und Melancholie umschließt – und an den Freiräumen, die Mohna ihren Liedern lässt. Die so angenehme Abstraktheit, die sie dadurch erreicht, hat das Solodebüt der 24-Jährigen dann auch mit ihrer Band me succeeds gemein. Und natürlich die Stimme: brüchig, maunzend, ein bisschen wie eine befreite Björk.

 Und deshalb, hey, ist nichts einfacher, als Kindheit und Popmusik zusammenzubringen: Denn Pop ist oft dann besonders gut, wenn der Musiker nicht weiß, was er weiß. Oder wenn er es schafft, dass seine Musik so klingt, als wüsste er nicht, was er weiß. Genau so klingt “1984-1994”.

Reinhören: http://www.myspace.com/mohna

“1985-1994” von Mohna ist auf CD und LP erschienen bei Sunday Service/Indigo.

Der München-Ort zum Album:

Vielleicht der kleine See am Flaucher, nahe der Eisenbahnbrücke, im Dezember. Ein angereifter Morgen. Der See ist zugefroren, aber noch nicht begehbar. (Welcher München-Ort fällt Euch zu dem Album ein? In die Kommentare.)

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