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Anstoß zu einer besseren Zukunft

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Rüdiger Heid will Jugendliche mit Sport von der Straße holen: Die von ihm gegründete Interkulturelle Straßenfußball-Liga Bunt kickt gut ist eine MünchnerErfolgsstory.

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Er arbeitet bis spät nachts im Büro, jettet zu Meetings mit Sportprominenz und Politik oder signiert Fußbälle beim Richtfest der neuen Super-Arena. So stellt man sich den Alltag eines Fußballbosses vor. Rüdiger Heid ist ein Fußballboss, aber einer der besonderen Art. Vor zwölf Jahren rief er die Interkulturelle Straßenfußball-Liga Bunt kickt gut ins Leben, eine Erfolgsgeschichte. Und geht es um die Qualifikation zur Champions League, kümmert sich der Boss persönlich um den Platz. Er kniet am Zaun eines kleinen Bolzplatzes in München und fieselt einen Kabelbinder durch den Zaun, um eine lange Fahne daran zu befestigen. Da darf es nicht stören, dass Ameisen über die Hand krabbeln oder der Schweiß von der Stirn rinnt. Rüdiger Heid ist mehr als nur der Boss, er ist auch Manager, Trainer und Platzwart in Person. Für beinahe 100 Kleinfeld-Teams ist Heid inzwischen zuständig. Die Spieler, Jungen und Mädchen zwischen 8 und 21 Jahren, kommen aus Flüchtlingsunterkünften, Freizeitheimen, Sportvereinen oder einfach von der Straße. Gespielt wird in fünf verschiedenen Altersklassen.

An diesem Tag spielt die U-17. Das erste Match soll um halb drei angepfiffen werden, doch zu dieser Zeit ist außer Rüdiger Heid auf dem Bolzplatz noch niemand zu sehen. Ohne sich davon verunsichern zu lassen, bereitet er schon einmal alles vor. Zwischendurch telefoniert er mit einigen Betreuern, um sicher zu gehen, dass irgendwann genügend Mannschaften eintrudeln und der Spieltag stattfinden kann. „Das ist eben Straßenfußball, da geht es oft etwas chaotisch zu. Jeder Spieltag ist ein neues Experiment und jedes Mal bin ich froh, wenn es klappt.“ Mit einiger Verspätung kommen sie dann alle. Die Mitglieder der Heimmannschaft Level 2 sind die ersten, auch Youth United, Niente Imposibile, die Lil Samba Kickers, der MKH Simba Club und die NPL Streetsoccer treffen ein. Jetzt kann das Turnier losgehen. Die Jugendlichen der Straßenfußball-Liga kommen aus beinahe allen Teilen der Welt, haben unterschiedliche Sprachen und Hautfarben, verschiedenste Lebensgeschichten. Und trotz aller Verschiedenheit haben sie zwei Dinge gemeinsam: Freude am Fußball und den Wunsch nach einer besseren Perspektive im Leben. Beides wollen Rüdiger Heid und seine Helfer von Bunt kickt gut ihnen ermöglichen. Keiner soll am Ende im Abseits stehen, weder auf dem Platz, noch im Leben.

Heid ist Sozialgeograph und arbeitete lange als Betreuer in einem Flüchtlingsheim. Dort entstand die Idee, Fußballteams zu gründen und gegen die Teams anderer Heime zu spielen. Aus diesen Anfängen wuchs ein preisgekröntes Integrationsprojekt, in dem längst nicht mehr nur Flüchtlingskinder betreut werden. Viele Jungen und Mädchen finden dort Beschäftigung und erhalten Aufmerksamkeit, die von der Gesellschaft ansonsten nur allzu leicht als Problemfälle abgestempelt werden. „Problemkids sind doch ganz oft die, die wir dazu machen, weil wir sie nicht verstehen wollen“, sagt Heid. Da sind zum Beispiel jene zwei Brüder aus dem Kosovo, die im Krieg mit ansehen mussten, wie ihr Vater erschossen wurde. Die Kinder sind deswegen bis heute traumatisiert, in ihrer Schule habe man aber nicht die Zeit oder den Willen, sich mit ihnen entsprechend auseinanderzusetzen. „In unserer Fußballliga werden sie ernst genommen, bekommen Verantwortung und lernen, damit umzugehen.“

Bei Bunt kickt gut organisieren die Jugendlichen ihre Liga selbst mit. Wie der 16-jährige Daivis aus Angola, er ist Schiedsrichter beim Spiel von Level 2 gegen Youth United. Daivis steht zu Beginn des Spiels etwas schüchtern am Spielfeldrand, er scheint sich in dieser Rolle nicht besonders wohl zu fühlen. Plötzlich regt sich bei einigen Spielern Protest, der Ball sei im Aus gewesen. Daivis hat die Pfeife schon im Mund, zögert aber einen Moment, weil die Mannschaften einfach weiterspielen und die Sache unter sich regeln wollen. Solche Szenen sind es, auf die Rüdiger Heid achtet. „Du musst dich durchsetzen, trau dich ruhig, du bist der Schiri“, ruft er Daivis zu. Die Aufmunterung gibt Daivis sichtbar mehr Selbstbewusstsein, ohne Probleme leitet er das Spiel. Am Ende steht es 1:1.

Bunt kickt gut funktioniert wie die Bundesliga, nur eben einige Nummern kleiner und mit anderen Zielen. Es gibt Mannschaftsräte, Ligaräte, Ausschüsse. Und bei allem sind die Kids mit dabei. Yasin, Drago, Cem, Mergim, Daivis – alle sind im Ligarat stimmberechtigt. An diesem Tag ist Sitzung. Bei einem der letzten Spieltage hatte der Spieler Fitim von den Albanien Tigers den Schiedsrichter beleidigt und dafür die Rote Karte gesehen. Fitim musste einen Entschuldigungsbrief schreiben und vor dem Ligarat erscheinen. Seine Sperre wird daraufhin aufgehoben, Fitim darf wieder mitspielen. Insgesamt zwölf Vorfälle werden vom Ligarat an diesem Tag behandelt. Unentschuldigtes Fernbleiben vom Spieltag, der Einsatz eines älteren Spielers bei der U-13, kleinere Diebstähle. In den meisten Fällen müssen sich die Ãœbeltäter schriftlich entschuldigen, manchmal werden ein Spieler oder eine ganze Mannschaft vorläufig gesperrt. Auch Organisatorisches, wie der Wechsel eines Spielers zu einem anderen Team, steht auf der Tagesordnung. Kleine Reibereien auf und neben dem Platz sind nicht selten, aber meistens harmlos. „Emotionen gehören dazu und wir wollen sie auch zulassen. Aber Regeln müssen eingehalten werden, da achten wir drauf.“ Trotzdem kommt es vor, dass ein Jugendlicher abstürzt. In die Kriminalität, in die Drogensucht, in den Knast. Einzelfälle, sagt Heid, aber jeder schmerze ihn sehr. „Wir wollen hier deshalb präventiv vorgehen, damit schwierige Kids gar nicht erst zu Problemfällen werden.“

Bunt kickt gut will Perspektiven schaffen und Barrieren abbauen. Entscheidend ist dabei der interkulturelle Ansatz. Früher seien etwa zwischen Türken und Kosovo-Albanern bei Turnieren regelmäßig die Fetzen geflogen, erzählt Heid. Hier die etablierten Immigranten aus der zweiten, dritten Generation, dort die neu dazu gestoßenen Flüchtlinge vom Balkan. Bei der Straßenliga lässt man in den jüngsten Spielklassen jetzt vermehrt diese beiden rivalisierenden Gruppen zusammen spielen, damit sich die Gegensätze in Zukunft gar nicht erst etablieren. Insgesamt sollen sich die Mannschaften aber frei entwickeln. Level 2 wurde im vergangenen Jahr ausgezeichnet als die „bunteste Mannschaft“ der Liga. Mit Spielern aus acht Nationen.

Während sich Rüdiger Heid in seinem kleinen Büro an der Ganghoferstraße mit seinem Mitarbeiter Matthias unterhält, klingelt das Telefon. Es meldet sich eine Frauenstimme. Sie sei Mitarbeiterin von der ambulanten Erziehungshilfe und bräuchte Auskunft über einen Jugendlichen, der angeblich bei Bunt kickt gut spielt. Rüdiger und Matthias können das schnell bestätigen, sie kennen den Jungen sehr gut. „Wenn Sozialarbeiter oder Betreuer wissen, dass die Jungs und Mädels nachmittags bei uns sind, dann sind sie beruhigt. Sie schätzen unsere Arbeit“, sagt Heid. Schon am nächsten Tag geht es weiter. Ein neuer Spieltag, heute ist die U-19 dran. Ein neues Experiment für Rüdiger Heid und seine Helfer.

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