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Wenn ich München wäre… Günes Seyfarth in ihrer neuen MUCBOOK-Kolumne über Lebensmittelverschwendung

Günes Seyfarth

Ich liebe den Dialog mit Menschen zu verschiedenen gesellschaftlich oder wirtschaftlich inspirierten Themen. Viele Themen wirken komplex und bleiben oft auf einer abstrakten Ebene. So führt es nicht selten dazu, dass am Ende eines Gesprächs alle Gesprächsteilnehmer sich irgendwie leer, vielleicht sogar frustriert fühlen, wenn sie gesellschaftlich relevante Themen besprochen haben. Denn es wirkt, als ob man nichts ändern kann. 

So habe ich vor Jahren die Fragestellung verändert und mich damit von Ohnmacht zur Mitgestaltung gebracht. Dieses Gefühl des Ownerships lässt auch zügiger in die Umsetzung gehen. So wird aus einer Idee ein inspirierendes Projekt, eine erfolgreiche Kampagne oder ein erlebbarer Ort. Diese Frage stelle ich nun gerne auch in den Konferenzen, wie letztlich wieder auf einem Jugendgipfel passiert. Es ging um Schule und Bildung. Und wie so oft gibt es bei vielen Menschen auch viele Meinungen. Um den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, dass sie etwas verändern können, richtete ich meine spezielle Fragemethode an sie. Bitte fragt euch: Wenn ich Deutschland wäre, wie würde dann Schule aussehen? Was würde ich mir dann wünschen? 

„So wird aus einer Idee ein inspirierendes Projekt, eine erfolgreiche Kampagne oder ein erlebbarer Ort.“

Plötzlich wurde es still. Denn das änderte die Perspektive und gab ihnen Wirkungsmacht. Die Schülerinnen und Schüler sprachen plötzlich über Lösungen. Darüber, welche Ziele sie erreichen wollen und welche Verantwortung sie als Deutschland trügen. Die Diskussion ging weg von Kleinteiligem im Chaos zu einer Meta-Ebene mit einer Vision. Diese konnte dann produktiv in kleinere Maßnahmen heruntergebrochen werden. Was so ein Perspektivwechsel bewirkt. 

Ich mache mir als Münchner Bürgerin gerne Gedanken dazu, wie ich unternehmerisch Veränderungen für Menschen bewirken würde.

In dieser Kolumne nehme ich die Perspektive als München ein. Die Stadt in der ich lebe und die ich liebe. Wie sieht das Ganze nun aus, wenn wir uns das Thema Lebensmittelverschwendung anschauen? Die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung ist laut www.drawdown.org die wirksamste Maßnahme im Klimaschutz. Ein Grund, warum hier viele Möglichkeiten stecken. In die Lebensmittel, die wir tagtäglich konsumieren, gehen riesige Mengen an Wasser, Energie, Pestiziden, Dünger und Menschenkraft hinein. Zusätzlich werden diese verpackt und transportiert. Das alles heizt das Klima durch den Ausstoß von CO2, Methangas und anderen Treibhausgasen weiter auf. Das wäre vielleicht vertretbar, würden wir diese Lebensmittel auch alle essen.

Doch fast 11 Millionen Tonnen Lebensmittel landen allein in Deutschland  jedes Jahr im Müll. Zum Vergleich: Das sind rund 14 % der pro Jahr in Deutschland produzierten Lebensmittel. Die ersten Lebensmittel bleiben bereits beim Produzenten auf der Strecke, weil sie nicht der Norm entsprechen. Das sind rund 2 Prozent der nicht gegessenen Lebensmittel. Weitaus mehr bleibt bei der Verarbeitung auf der Strecke, nämlich 15 %. Der Handel trägt dann nochmal rund 7 % zur Gesamtmenge der Wegwerf-Lebensmittel bei. Deutlich mehr wirft man in der Gastronomie weg: 18 %.  Was viele überraschen wird: Mehr als die Hälfte der Lebensmittel, die nicht gegessen werden, werden in der heimischen Küche entsorgt. Ganze 6,3 Tonnen und damit 58 % kommen quasi auf direktem Weg vom Einkaufswagen in den Müllwagen (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft). Das ist nicht nur schade fürs Bankkonto, sondern vor allem eine unnötige Belastung unseres CO2-Kontos. Die Produktion von Lebensmitteln gehört mit bis zu 37 % (WWF) an den Klimagas-Emissionen zu einem der Haupttreiber der Erderwärmung: Deswegen ist  Lebensmittelwertschätzung ein enormer Hebel…

„Mehr als die Hälfte der Lebensmittel, die nicht gegessen werden, werden in der heimischen Küche entsorgt.“

Beim Klimaschutz geht es nicht um Flora und Fauna. Es geht nicht um die Bäume und Insekten, sondern es geht darum, dass es kein Privileg wird, bleiben zu können, wo man zuhause ist. Heute schon müssen Millionen Menschen in Folge von Extremwetter ihre Heimat verlassen. Und wenn man sich selbst mal fragt, ob man das machen möchte, dann wird klar: Nein. Deswegen überrascht auch die Meinung einiger Medien und Politikerinnen und Politikern, die so tun, als ob Migration einfach mit Abschiebung gelöst wäre. Das wird es nicht. Weil viele der Menschen nicht mehr dort leben können, wo sie herkommen. Sie finden dort weder einen sicheren Ort, noch Lebensmittel, geschweige denn Arbeitsplätze. Sie werden wieder kommen. Wenn wir nun Klimaschutz als notwendige Maßnahme empfinden, um in München auch in Zukunft friedlich leben zu können, ist es unabdingbar, wirksamen Klimaschutz zu betreiben. Die Frage ist immer. Was kann ich selbst tun? Denn das hält mich in der Wirksamkeit und mich als Menschen und Unternehmerin mental und emotional gesund.

Wenn wir also zurückkommen zu meiner Methode, stellen wir uns doch mal die Frage: Was könnte ich „als München“ tun, um Lebensmittelverschwendung wirksam zu vermeiden? Wenn ich München wäre, gäbe es ein paar Low-Hanging-Fruits, die kurz- und mittelfristig umsetzbar wären.

„In einer Stadt wie Alanya muss man als Fußgänger aufpassen, dass einem auf der Straße keine Orangen oder Zitronen auf den Kopf fallen.“

Essbare Gärten für München: Ein bauliches Umdenken

Baulich z.B. kann ich sofort bei allen Neu- und Umbauten verlangen, dass sogenannte essbare Gärten angelegt werden. In der Türkei gibt es diese noch. Dörfer wurden zu Städten. Menschen behielten ihre Grundstücke in Teilen und so findet man in kleinen und mittelgroßen Städten immer noch Vorgärten und Hinterhöfe, in denen Menschen noch einen Granatapfel- und Quittenbaum haben oder Tomaten, Gurken, Paprika, Auberginen, Zucchini, Kürbis, Bohnen und mehr in ihren Grünanlagen anbauen. Auch wenn das nicht für eine dauerhafte Selbstversorgung ausreicht, sehen alle Menschen, die vorbeigehen, wann welches Obst und Gemüse Saison hat. Zusätzlich können sie beobachten, wie sich Früchte und Pflanzen entwickeln. In einer Stadt wie Alanya muss man als Fußgänger aufpassen, dass einem auf der Straße keine Orangen oder Zitronen auf den Kopf fallen. Anstatt Laub- und Nadelbäume säumen Fruchtbäume den Weg. Das ist Casual learning, ohne dass es irgendwelche Programme braucht.

Lebensmittelwertschätzung in Schule und Kita

Dann bleiben wir doch am Besten im Bereich Bildung. Was können Kitas, Schulen und Kindertagesstätten tun, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren? Wenn ich eine Kita, Schule oder Kindertagesstätte wäre, dann würde ich erstmal das Gespräch mit dem KVR Hygiene suchen und auf meine konkrete Anfrage hin erfahren, dass man Lebensmittel, die das gesetzliche Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten haben nicht zwingend entsorgen muss. Sondern, dass es erlaubt ist, MHD-überschrittenes weiter in Umlauf zu bringen… Es bedarf einfach nur einer sensorischen Prüfung (Auge-Nase-Mund) durch geschultes Personal. Wichtig hier: Bitte das MHD nicht mit dem Verbrauchsdatum („zu verbrauchen bis“) verwechseln. Gesetzlich darf Verbrauchsdatum-überschrittenes NICHT mehr in Umlauf  gebracht werden, sondern muss entsorgt werden, weil hier echte gesundheitliche Schäden drohen. 

Kantine ohne Verschwendung

Das führt uns wohl zum naheliegendsten Punkt. Wie kann ich als München beim Essen Lebensmittelverschwendung reduzieren? Täglich werden in München 330.000 Menschen in Kitas, Schulen, Kantinen, Krankenhäusern und Altersheimen versorgt. Da machen kleine Veränderungen große Effekte.

Wir wissen nun, dass es nicht verboten ist MHD-überschrittenes in den Umlauf zu bringen. Ich würde das auch kommunal durchsetzen und die Menschen in Küchen schulen, wie sie die Verzehrfähigkeit von Lebensmittel in den Küchen in der Gemeinschaftsverpflegung beurteilen können. Und die Kür wäre es, wenn Kinder in Kitas und Schulen in ihren Kantinen mitarbeiten könnten. Sie würden neue Lebensmittel kennenlernen, die Arbeit hinter dem Handwerk Kochen kennenlernen, die Prozesse in einer Küche besser verstehen und durch die Mitarbeit eine höhere Wertschätzung für die Menschen in der Küche als auch die Mahlzeiten bekommen.

Was bedeutet der Umgang mit Lebensmitteln und das selbst Kochen für jedes unserer Kinder? Eine wichtige Orientierung im Bereich Lebensmittelkunde bzgl. gesunder Ernährung und Handwerk bzgl. Berufswahl und Wertschätzung von Menschen in diesen Berufen. Und um hier noch eins draufzusetzen, würde ich als Stadt München zu stark verarbeitete, zu zuckrige oder zu stark chemisch versetzte Lebensmittel aus Kitas und Schulen verbannen. Was auch für Getränke wie Energydrinks gilt und auch für die Werbung für diese Art Lebensmittelprodukte in München.

Lebensmittel teilen statt wegwerfen: Ich würde als Stadt München auch in alle Viertel fußgängernahe Lebensmittel-Fairteiler aufstellen und ein Team die tägliche Hygiene umsetzen lassen und dafür eine Kampagne starten. So bekommen Haushalte die Möglichkeit, untereinander Lebensmittel unkompliziert zu tauschen. 

Was das alles bringen würde?

Eine Reduktion von Lebensmittelverschwendung und damit die Stärkung des Bewusstseins für dieses Problem und sein Ausmaß. München könnte eine Stadt mit Strahlkraft für andere Kommunen werden und seinen Bürgerinnen und Bürger heute das starke Gefühl geben, das Richtige zu tun für unsere Münchner Kinder und deren Zukunft.

Bleibt gespannt, welches Problem wir nächstes Mal angehen.

Sonnige Grüße,

Günes