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Das junge Ägypten hat einen Helden

cairo

Die Revolution hat ein Gesicht, endlich. Seit gestern Abend, 14 Tage nach Beginn der Proteste. Oder genauer: seit dem aufwühlenden TV-Interview mit Wael Ghonim, Online-Aktivist und Google-Angestellter, gerade eben freigekommen, nachdem er 12 Tage zuvor vom Staatssicherheitsdienst entführt worden war. Sara Duana Meyer hat wieder mit dem Filmemacher Ahmed Zeidan in Kairo telefoniert.

Die ägyptische Revolution hat einiges Auf und Ab erlebt, in den letzten zwei Wochen. Der anfänglichen Euphorie waren Angst und Zweifel gefolgt, nach dem Albtraum des Mittwochs, an dem sich plötzlich wie aus dem Nichts Pro-Regierungs-Demonstranten formierten, und die Straßen sich in einen Bürgerkrieg verwandelten.

Kurz vor Mitternacht am Abend des 7. Februars aber ist der Enthusiasmus in Zeidans Stimme zurück gekehrt. Um nicht zu sagen: er ist völlig aus dem Häuschen. „Wir haben einen Helden, ein Symbol! Wir sind ein Volk, endlich gibt es eine gemeinsame Identifikationsfigur!“

Der neue Held der Revolution heißt Wael Ghonim. Ghonim brach in einem live Interview des allseits beliebten ‚Hausfrauensenders‘ Dream TV am späten Montagabend weinend zusammen, nachdem er zum Zusammenhalt aufgerufen und noch einmal betont hatte, dass die Revolution nicht durch religiöse Motive gelenkt würde, sondern einzig und allein der jungen Generation und damit der Zukunft Ägyptens gehöre.

Vor 12 Tagen war er vom Staatssicherheitsdienst entführt worden, und dann hörte man bis zu seiner Freilassung nichts mehr. Und dann dieses Interview.

„Es war ein perfektes Drama“, erzählt Zeidan und seine Worte überschlagen sich fast, „so unglaublich bewegend! Und jeder hat es gesehen – ein Freund meines Vaters rief mich direkt nach dem Interview an, ein wirklich zäher Kerl, ein gestandener Mann, und ich habe ihn fast nicht verstanden, weil er so weinte. „Es gibt Hoffnung, es gibt Hoffnung”, hat er die ganze Zeit geschluchzt.“

Tatsächlich ist diese Hoffnung, dieser neue Fokus nötig in einer Revolution, die nach den eher enttäuschenden Gesprächen zwischen einigen Oppositionsmitgliedern und dem neu ernannten Vizepräsidenten scheinbar an einem toten Punkt angekommen war. Und zunehmend hatte die Fehlinformationspolitik der Regierung Früchte getragen, so absurd sie auch sein mochte. Gezielt waren Ausländer und Journalisten verunglimpft und festgenommen worden. Sie alle seien afghanische Terroristen, iranische Aufrührer oder israelische Spione, unterstützt von KFC, der amerikanischen Hühnerbratereikette.

„Das Schlimme ist, dass die Leute so verunsichert waren, dass sie wirklich anfingen das zu glauben“, erzählt Zeidan. „Ich wurde fast festgenommen, weil ich auf der Straße auf Englisch telefonierte. Und meine Wohnung war ein paar Tage ‚Flüchtlingslager‘ – als die Lügenpolitik der Regierung Erfolg zeigte und jeder Ausländer auf der Straße Gefahr lief festgenommen zu werden, hatte ich auf einmal fünf Leute aus der ganzen Welt bei mir zuhause, eine ‚auberge egyptienne‘. Es war richtig nett.“

Dann wird er wieder ernst und berichtet von der Politikverdrossenheit der Leute. Dass keiner der Politiker den Geist der Revolution verkörpern kann, die eine Revolution der Jugend und des Volkes ist. Wie diese Symbolfigur nun aus dem Nichts aufgetaucht ist, und wie sich von einer Sekunde auf die andere die Hoffnungen auf Ghonim richteten.

„Wir haben ganz genau zugehört, was er in den Interviews sagte. Wir hatten solche Angst. Ein einziges falsches Wort hätte die Revolution ruinieren können. Aber er hat alles richtig gemacht!“ Sofort nach dem Interview entstand eine Facebook-Seite, die Wael Ghonim zum Sprecher der Revolution machen will. Binnen von zwei Stunden hatten 60 000 Nutzer per ‚like‘ Ghonim ihre Unterstützung ausgesprochen, und 12 Stunden später waren es fast doppelt so viele, stetig ansteigend.

„Ich sehe Kommentare von Freunden, die vor fünf Stunden noch davon sprachen, dass die Proteste aufhören müssen, weil sie dem Land schaden”, erzählt Zeidan und liest ein paar vor. „Und nun schreiben dieselben Leute atemlose und herzzerreißende Kommentare, dass wir nun alle wieder Hoffnung haben, die endlich berechtigt ist, und dass wir diese Hoffnung nicht loslassen werden.“

Die über Facebook initiierte Revolution ist wieder in den virtuellen Raum zurück gekehrt, um dort weiter getragen zu werden. Vor ein paar Tagen haben Zeidan und einige andere beschlossen, sich verstärkt den Medienberichten zu widmen. Information weiterzuleiten. Ähnlich wie Ghonim die virtuellen Netzwerke zur Aufklärung zu nutzen. Und auf individuelle Überzeugungskraft zurück zu greifen, um letztendlich auch wieder die Massen auf die Straße zu bringen. „Ich lebe in einem Hochhaus, da wohnen ziemlich viele Leute“, sagt Zeidan, und kichert leise. „Und seit ein paar Tagen klingele ich bei den Nachbarn, um mit ihnen ein paar Worte zu wechseln. Da gibt es Leute, die waren seit Beginn der Proteste nicht mehr auf dem Tahrir Square, weil sie Angst haben. Die nur das kennen, was das ägyptische Fernsehen zeigt. Die muss man überzeugen.“

thsquare

Tahrir Square ist mittlerweile das Basiscamp der Revolution. Einige sind seit zwei Wochen hier. Die Festivalatmosphäre lässt sich nicht leugnen. „Von wegen KFC“, lacht Zeidan. „Die Leute sind großartig, die Kreativität und der Humor sind wirklich überwältigend. Auf dem Platz wird viel Kuchari verkauft, ein traditionelles ägyptisches Gericht, und die Händler stellen ein Schild auf ihren Wagen, auf dem KFC steht, und jeder lacht sich kaputt.“

Tahrir Square ist aber nicht nur Basiscamp, sondern auch Touristenort geworden. Und so nett es ist beim Verabschieden gesagt zu bekommen, man solle doch recht bald mal wieder vorbeischauen, so sehr die Menschen angesichts von vermutlich weit mehr als 300 Toten allein in Kairo auch ausruhen müssen, von den Anspannungen, der Gewalt, der Ungewissheit – Routine ist Gift für die Revolution. „Die Demonstranten sahen zunehmend verloren aus“, gibt Zeidan wiederwillig zu, „es wird irgendwann schwierig, wenn man keine gemeinsamen Forderungen formulieren kann, keine symbolisch Figur hat, auf die sich die Aufmerksamkeit richtet.“

Dies ist nun anders. „Wir erleben gerade einen gewaltigen Umschwung. Wir haben Hoffnung. Wir haben einen Helden! Die Revolution wurde wiedergeboren. Warte Dienstagnachmittag ab! Da werden wieder Millionen auf die Straße gehen“ sagt Zeidan zuversichtlich, und seine Stimme bricht ein ganz klein wenig – so unglaublich bewegend ist all das.

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