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„The dream is still on“ – Neuigkeiten aus Kairo

Mittlerweile ist bekannt, dass die steinewerfenden Pro-Mubarak Truppen weitgehend dafür bezahlt worden waren, Unfrieden zu stiften. Dennoch hat es der jungen Revolution einen ordentlichen Schlag versetzt. Nach den Freitagsdemonstrationen der vergangen Woche sieht es aber wieder rosiger aus. Sagt jedenfalls der junge Fotograf und Filmemacher Ahmed Zeidan aus Kairo am Telefon.

EGYPT-POLITICS-UNREST-RELIGION

„Hast Du Tahrir Square gesehen? Der Traum lebt noch“, rief Zeidan nach den letzten Freitagsdemonstrationen ins Telefon. Lange Reihen von Männern wogten regelmäßig auf und ab, weltabgewandt, versunken, während Christen einen Kreis bildeten, um die Betenden zu beschützen. Später wurde eine Messe abgehalten, im Gegenzug bewacht von Muslimen. Hand in Hand mit Christen und: Atheisten. „Zum ersten Mal existiere ich in diesem Land überhaupt offiziell“ sagt Zeidan etwas ungläubig, buchstäblich.

Ganz anders, erschöpft und ausgelaugt hatte er noch wenige Tage vorher geklungen, nach dem Albtraum des Mittwochs, an dem plötzlich und unerwartet militante Mubarak-Unterstützer auftauchten, in Hundertschaften, trotz vermeintlich gründlicher Sicherheitschecks bewaffnet bis an die Zähne, und die bis dahin vorwiegend friedlichen Protesten in einen Bürgerkrieg verwandelten. Steine flogen. Schüsse fielen. Plötzlich Jagd auf Journalisten gemacht wurde.
Zeidan war mit der Kamera unterwegs gewesen und hatte Hals über Kopf flüchten müssen. „Einen traurigen traurigen Tag“ nannte er den 2. Februar. Wollte eigentlich gar nicht reden. Und redete dann doch, wie ein Wasserfall. Davon, dass er im Fernsehen zusehen hatte müssen, wie seine Freunde umgebracht wurden. Von der Paranoia, die sich trotz der Euphorie in manchen Nächten auf dem Tahrir Square breitgemacht hatte. Von den Streichen, die die Vorstellungskraft einem spielt, wenn man übermüdet und nervös ist. „Wir sind nun mal nicht daran gewöhnt, Schüsse zu hören.“

Überhaupt sah es nicht mehr so gut aus, für die junge Revolution. Stimmen wurden laut, die einlenkten, die sich damit zufrieden geben wollten, was Mubarak angedeutet hatte. Dass er nicht mehr kandidieren würde, im September, nach 30 Jahren Amtszeit. Immerhin. Stimmen, die ihrer Müdigkeit und Erschöpfung Ausdruck gaben, die endlich wieder zurück wollten, in den gewohnten, seit 30 Jahren bestehenden Ausnahmezustand. Normalität, immerhin.
Am Sonntag haben zum ersten Mal wieder die Banken und einige Geschäfte geöffnet, obwohl alle pleite sind. Das wird langsam auch an der Stimmung bemerkbar, wie Zeidan festgestellt hat: „Ich habe die Befürchtung, dass sich die Bewegung aufspaltet, dass einige sich gegen die Demonstrationen richten. Sie machen die Revolution dafür verantwortlich, dass sie kein Geld mehr haben. Ich selbst habe ja auch keine Ahnung, wie ich meine Miete zahlen soll. Kaum jemand arbeitet, wie auch, wenn alles still steht.“ Zeidans eigene Projekte sind erst mal auf Eis gelegt, zwangsläufig: das Filmmaterial aus München, das er hier im Januar gesammelt hatte, wartet immer noch auf Bearbeitung. Es gibt gerade dringendere Dinge.

Man stellt sich darauf ein, dass die Sache länger dauern könnte. Die Gespräche zwischen dem Vizepräsidenten und Vertretern der Opposition sehen nicht wirklich erfolgsversprechend aus. Keine Anstalten Mubaraks, abzutreten. Vage Andeutungen. Vorsichtiges Abtasten.
Immer noch herrscht Ausgangssperre. „Ich wurde vor kurzem gestoppt, als ich nachts mit dem Taxi vom Tahrir Square nach Hause wollte. Ob ich nicht von der Ausgangssperre wüsste. Und beim nächsten Mal soll ich zuhause oder auf dem Platz bleiben“, erzählt Zeidan.

camp

Tahrir Square ist immer noch das physische Zentrum der Revolution. Hier sind die Gesetze andere. Manche sind seit zwei Wochen auf dem Platz. Um diesen Ort war erbittert gekämpft worden, hier haben bewegende Szenen stattgefunden. Immer noch ist der Platz bevölkert von Demonstranten, die ihn in ein Basiscamp verwandelt haben. Zelte stehen in der Mitte. Es gibt Krankenstationen, Hotspots, Straßenhändler verkaufen Essen. Bands spielen auf der nunmehr fest installierten Bühne, es herrscht Festivalatmosphäre. Eine Hochzeit hat stattgefunden, weil die Brautleute sich keinen anderen Ort vorstellen konnten, mit dem sie mehr Emotionen verbanden.

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So ganz vertraut man nicht, auf die scheinbare Ruhe. Doch man hat sich arrangiert, auch mit den Panzern auf dem Platz, scheinbar unbeweglich wie Dinosaurier. Schläft um und unter ihnen, um zu verhindern, dass sie nachts an eine andere Stelle rollen, der hart erkämpfte Boden doch Angreifern von außen preisgegeben wird.

Ein bekannter Musiker hat ein Konzert gegeben, Protestsongs stehen hoch im Kurs. Die religionsübergreifenden Verbrüderungen haben Mut gemacht. Die Stimmung ist wieder besser, hier und da ist wieder Euphorie zu spüren. Die Revolution hat die Feuerprobe nach dem vergangenen Mittwoch bestanden. Der Traum geht weiter – vorerst.

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