Aktuell

Tagebucheintragungen März 2020

können möglicherweise den Psychotherapeuten ersetzen …

Täglich grüßt das Murmeltier

Stell Dir nur vor, was alles gut gehen könnte!

Jeden Morgen, wenn ich aufstehe und das Kissen mir eine Falte ins Gesicht geschrieben hat, denke ich, ich habe nur schlecht geträumt. Wenn ich gleich aufstehe, gibt es keine Pandemie, kein Covid-19, das täglich grüßt. Aber es ist nicht so. 

Und dann schüttel ich mich und suche nach meiner Affirmation, die ich mir fest vorgenommen habe: „Ich bin ein alter Mann und habe viel Schreckliches erlebt. Zum Glück ist das meiste davon nie eingetroffen.“ Mark Twain. Und ja, ich gebe zu, dass mir meine Glücksmantras für Alltagshelden, noch im Februar von einer Freundin geschenkt wurden, da waren wir alle noch ausgelassen beim Fasching im Künstlerhaus München und wirkliche Sorgen ganz weit weg. Wir waren ja noch ahnungslos, welch schöner Schutz, denn „Wer sich ständig sorgt, erlebt nicht weniger unerfreuliche Dinge, verpasst aber, sich an allem Schönen zu erfreuen. Stoppe das aufkommende Gedankenkarussell und stell Dir lieber vor, was alles gut gehen könnte! Deine Wahrnehmung für alles Positive wird so geschärft, und dir wird auffallen, dass die meisten Sorgen unbegründet sind“. Und ja, ich bin nun – wie wir alle spätestens seit dem 14. März 2020 – zum Alltagshelden geworden.

Sobald mein zweiter Fuß den Boden tatsächlich berührt, weiß ich wieder um mein Ziel: In zwei Monaten dieses Innehaltens wird alles wieder, wie vorher. Zumindest das Gute, dem ich dann wieder frönen darf. Ganz bestimmt!

Der Münchner Shutdown und was dann passierte

Schnell wurden aus Berichten aus Wuhan in München Taten: plötzlich durften Messen und Veranstaltungen mit über 1.000 Personen, dann mit bis zu 100 Personen nicht mehr stattfinden, die ersten Fußballspiele wurden ohne Publikum übertragen, Oper und Theater mussten schließen und dafür wurden Live-Streamings zur Verfügung gestellt. Schulen, Kindergärten und Altersheime, Kaufhäuser, kleiner Läden, Restaurants durften nur noch beschränkt öffnen oder wurden ganz geschlossen. Habe ich eben noch im Künstlergarten Franz von Stucks gesessen, sind nun alle Institutionen seit Samstag, 14. März geschlossen. Erst dachte ich nur: „Abgefahren!?“  

Der Alltag geht weiter, die Menschen weiterhin zur Arbeit. Auf allen Kanälen wurde übermittelt, dass es bei Personen, die älter sind oder die ein instabiles Immunsystem haben, zu einem schweren Krankheitsverlauf kommen kann. Gut, dachte ich noch, vielleicht fällt dann für mich und meine Familie der Krankheitsverlauf unauffällig aus. Da war ich noch irgendwie beschwingter. Schließlich war ich nicht in Italien oder Tirol im Urlaub, unsere Freunde mussten sich nicht in häuslicher Quarantäne begeben und wir hatten keinen Kontakt zum Patienten Null oder Corona-Infizierten, wo dann ganze Firmen vom Gesundheitsamt geschlossen werden, und Personen auf die Isolierstationen geführt werden. 

Die Begriffe Hausquarantäne und Ausgangsbeschränkungen, nicht Ausgangssperre, wurden später erklärt, zuerst aber wurden alle Kinderspielplätze abgesperrt, Verbotsschilder aufgehängt, Hygieneregeln manifestiert. Zum Selbstschutz. Und zur Rücksichtnahme für die Mitmenschen. 

Paul, unser Nachbar, bot sich per Aushang an, älteren Personen Einkäufe zu erledigen – diese Einkäufe werden dann, um Kontakt zu vermeiden, nur vor die Tür gestellt. Danke Dir Paul, für Deine Achtsamkeit!

Erst da dämmerte mir langsam die Frage, ob alles überhaupt so weiter geht:

Als eine große Live-Samstagabend-Show zu ruhig verlief (das Publikum war bereits ausgeladen), der Vorentscheid zum Eurovision Song Contest im kleinsten Rahmen ausfiel und das Finale bereits heute abgesagt wurde, ebenso wie die Fußball-Europameisterschaft, als Ausgangsbeschränkungen per Lautsprecher in rumfahrenden THW-Autos verkündet wurden: „Bei Nichtachtung drohen Geldstrafen bis zu 25.000 € …“. George Orwell hätte es nicht besser inszenieren können. Haben wir jetzt eine handfeste Krise? 

Ich muss eben nicht Toilettenpapier horten – sondern dringend meine Börsengeschäfte und Geldanlagen überdenken, ich muss doch beginnen, Hamstereinkäufe zu machen. Wieso nur sind mir die anderen da schon weit voraus? Ich muss meine Hände nunmehr ständig desinfizieren, Desinfektionsmittel sind auch aus, wie Hefe und Mehl und natürlich Atemschutzmasken, die, die der Bundeswehr in Kenia zu 6 Millionen unauffindbar verloren gegangen sind (klar, der Verkaufspreis liegt nun bei bis zu 8 Euro/Stück – vielleicht sollte ich an der Börse in Schutzbekleidung investieren?), niemanden mehr mit Handschlag begrüßen, mich wegdrehen, wenn mir Nachbarn begegnen, damit keine Tröpfcheninfektion zwischen uns hin- und herspringen kann. Ich muss in freiwillige Isolation gehen. Ich muss. Muss ich? Soeben wurden die Olympischen Sommerspiele in Japan abgesagt – nun ist klar: Wir werden für Monate zurückgeworfen, schlussendlich zurückgeworfen auf uns selbst, in einer Art Corona-Zeitmaschine …

Verschwörungstheoretiker haben in ungewöhnlichen Zeiten Hochkonjunktur

Im Park lernten wir die Mutter von Monika Gruber kennen – sie hätte es zumindest sein können. Unsere herzlichsten Grüße an Sie von hieraus! Es begann ganz harmlos, ob wir wissen, ob die S-Bahn noch fahren würde, das würde doch bestimmt auch schon verboten sein, so könne sie Ihre Tochter mit Enkelkindern nicht besuchen, die neben der Arbeit nun auch noch alle versorgen müsste. Dabei könnte sie doch so gut kochen und hätte Zeit. Aber sie darf ja nicht in die Wohnung, das dürfe sie nicht, nein, sie dürfe das nicht. Sonst würde sie ja eine Ordnungsstrafe bekommen. Und wenn sie sich dann aufregen würde, vor den Ordnungshütern, würde sie ja bloß abgeführt werden. Das ist wie mit Herrn Mollath. Das ist alles auch schon da gewesen. Wenn es was zu holen gibt, ist auch schnell jemand da, der ein Attest ausstellt. „Aber ich sage Ihnen was: Das ist doch alles nur gemacht, weil die Alten und Armen, die Flüchtlinge, die Überbevölkerung und die Wirtschaft weg sollen. Wie nach dem Krieg soll es eine Inflation geben, damit wieder ganz von vorne begonnen werden kann. Wahrscheinlich gibt es dann eh kein Bargeld mehr!“ Zum Schluss trug sie uns noch ein wirklich wunderbares und schönes selbstgeschriebenes Gedicht über den Tod vor – es war voller Leidenschaft, berührend und wahrhaftig zugleich. 

Mehr muss ich nicht sagen, außer (wir hätten Frau Gruber nur zu gerne gefilmt und online gestellt, leider hatten wir unsere Handys nicht dabei, schließlich waren wir zu dritt, also außerhalb des Familienkreises. Das ist ja verboten! Und wir wollten nicht getrackt werden): Große Open-Air-Bühne für Frau Gruber senior! Danke für die großartige und humorvolle Performance, wir haben es mehr als genossen!

Merkwürdigkeitendie ich auch bei mir beobachte

Menschen gucken nicht mehr so oft ins Handy – ich werde dafür angeschaut, beäugt ist wahrscheinlich treffender – Hundebesitzern war das eh immer egal. 

Die Hamstereinkäufe in Frankreich sehen anders aus als in Deutschland, in den Regalen fehlt dort der gute Wein, nicht das Toilettenpapier. Während nun nur noch Lebensmittelläden und Frisöre offen haben dürfen, bleiben der Münchner Zoo und das Münchner Volksbad noch bis Montag, 16.3., geöffnet – dennoch sind wir nicht mehr gegangen, obgleich das Robert-Koch-Institut mitteilte, dass das Virus die Hitze über 40 Grad nicht überleben kann. Die Frage ist nur, ob es vor dem Dampfbad mit einem Lächeln auf mich wartet …

Wenn das Pangolin in Asien wirklich der Wirt für Covid-19 ist, dann sind wir eben aus Protest vor Diskriminierung einer Randgruppe am Montagabend doch noch ein letztes Mal, bis zum Ende dieser Ausnahmesituation, zu unserem Lieblingsasiaten essen gegangen. In meinem Glückskeks stand drin „Nehmen Sie sich vor, glücklich zu sein. Das ist förderlich für Ihre Gesundheit“. Genau dies wünsche ich Ihnen auch, Freude durch Empathie. Liebe durch Verstehen.

Das Gute, dem ich nach CORONA frönen werde

Wissenschaft und Forschung werden uns wieder retten und einen Impfstoff entwickeln – was mir jetzt aber hilft, ist mein Tagebuch, Mitgefühl und kleiner Alltagshumor. Tine hat mich schon ausgelacht, „Wer will sich denn mit einem nicht lang genug erprobten Impfstoff impfen lassen?“ Hm, da hat sich auch wieder recht. Ich überdenke mein Konzept, ich gehe jetzt wieder gerne Lebensmittel einkaufen, extra mit Bargeld! Vielleicht bin ich dann bei den ersten Kranken dabei, für die es dann noch eine Beatmungsmaschine im Krankenhaus geben wird und schäme mich nur ein bisschen für diesen Gedanken.

Mein persönliches Entertainmentkonzept lautet: Tagsüber rede ich mal wieder länger mit Freunden – telefonisch, alle sind in Homeoffice und gehen schließlich auch ans Telefon. Ich lese zur Entspannung wieder wie früher das Lustige Taschenbuch

Sonntags gehen wir jetzt regelmäßig ins Konzert: Um 21 Uhr, wenn die Kirchenglocken gemeinsam läuten, Menschen auf Balkone treten und Fenster öffnen, um gemeinsam Freude, schöner Götterfunken zu singen (was für ein Beethoven-Jahr 2020 wohl noch wird) und Lichter der Solidarität ins Fenster stellen, sich gegenseitig Applaus spenden, dann ja dann gehe ich mit meinem Hund spazieren. Mein Hund ist wie immer, er ist jeden Tag voller Freude. Freude auch darüber, dass die Luft in München nun besser ist, Autos fahren nun kaum mehr.

Wahrscheinlich ist es wahrscheinlich

Wenn wir uns alle live wiedersehen, liebe Freunde und Bekannte, ist eins gewiss: Meine Haare werden viel zu lang sein, wahrscheinlich mit noch mehr grau durchsetzt oder Du erkennst mich nicht auf Anhieb, wenn ich einen langen Bart trage, schließlich bleiben die Frisöre noch länger geschlossen. Ich denke aber, wir werden uns wiedersehen, voller Freude!

Heute, am 4. April?? gefühlte zwei Wochen nach dem Shutdown in München, fühle ich mich wie Harrison Ford in BLADE RUNNERwo er am Ende des Films mit seiner Replikantin flieht und laut denkt: „Wir wissen nicht, wieviel Zeit uns noch bleibt, aber wer weiß das schon?“

BLEIBEN SIE GESUND!


Text/Foto: AWunknown

Foto: RIO KINO, München

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