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Gastbeitrag: Das Dorf in der Stadt – Wie sich unsere Warenhäuser ändern müssen!
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- Gastbeitrag: Das Dorf in der Stadt – Wie sich unsere Warenhäuser ändern müssen! - 16. Januar 2025
- Laim im Blick: 100 Seiten Zukunft für das Stadtviertel – lies jetzt unser Whitepaper! - 24. Oktober 2024
Text: Benedikt Esche (Architekt und Dozent / Kollektiv A)
Dieser Text erschien zuerst im „MUNICH NEXT LEVEL – White Paper: Cities in Transition“ – hier das ganze PDF zum Download
Der Handel, die Stadt und die Gesellschaft stehen in einer dynamischen Wechselbeziehung zueinander. Die Entwicklung städtischer Siedlungen, wie wir sie kennen, basiert auf der wirtschaftlichen Grundlage des Handels. Allerdings beeinflusst das sich wandelnde Kaufverhalten der Konsument*innen, das zunehmend individualisierter und digitaler wird, die Entwicklung des stationären Handels und hat somit weitreichende Auswirkungen auf die Innenstädte.
In den letzten Jahren hat sich die Krise des Einzelhandels verschärft, wovon insbesondere die Kaufhäuser betroffen sind. Nicht nur die bauliche Struktur, sondern auch das soziale und städtische Gefüge, das diese Handelsriesen geschaffen haben, ist gefährdet.
Seit mehr als 20 Jahren sprechen wir von der Warenhauskrise. In den 90er Jahren gab es noch fast 400 Warenhäuser in Deutschland, doch 2010 war deren Zahl bereits auf knapp die Hälfte gesunken. Während früher die Gebäude fast ausschließlich für den Handel genutzt wurden, ist dies heute nicht mehr realistisch. Die stets neuen Ankündigungen über die Schließung deutscher Warenhäuser verdeutlichen den dringenden Bedarf an einer Strategie zur nachhaltigen Umnutzung dieser großflächigen Strukturen, die bisher ausschließlich dem Konsum gewidmet waren. Dafür müssen wir lernen umzudenken und versuchen aus unserer europäischen Kultur neue Möglichkeiten zu schöpfen, denn gerade jetzt, mehr denn je, sehnen wir uns auch nach Orten der Zugehörigkeit, nach Erlebnisräumen und Orten der Identifikation mit der Stadt. Denn Raum in der Stadt ist ein heiß begehrtes Gut. Das Finden und Entdecken von solchen Flächen ist und wird eine unserer spannendsten Aufgaben in den kommenden Jahren.

Kaufhaus neu gedacht: Die ehemalige Galeria-Filiale am Stachus wurde 2023 kurzzeitig in die Zwischennutzung „Lovecraft“ verwandelt (Foto während der Umbauphase; ©Thess Riva Fischer/storiestobetold)
Globale Player setzen auf das „Dorf in der Stadt“
Es geht jetzt also darum, diese Objekte nicht nur als leere, große und dunkle Räume zu lesen, sondern Sie als Gefäße und Möglichkeitsräume zu begreifen, denn diese Strukturen können als dreidimensionale und vielschichtige Marktplätze in der Stadt neu verstanden und gelesen werden. Die großflächigen Strukturen bieten die Möglichkeit, vielfältige Nutzungen in einem einzigen Raum zu integrieren und zusammenzufassen. Eben ein echtes Dorf in der Stadt. Längst schon setzen globale Player wie Apple, Google oder Microsoft auf den Campusgedanken. All das ist aber der Stadt schon lange vertraut. Es muss nur liebevoll kuratiert und ansprechend gestaltet werden.
Wieso nicht die eierlegende Wollmilchsau?
So ein dreidimensionaler Marktplatz umfasst nicht nur den traditionellen Handel, sondern auch kulturelle, soziale und wirtschaftliche Aktivitäten. Die verschiedenen Ebenen und Räume eines ehemaligen Kaufhauses können unterschiedlichen Zwecken dienen: Während in einem Bereich beispielsweise Kunstgalerien und Ateliers eingerichtet werden können, bieten andere Stockwerke Platz für Büros, Schlaf und Hotelnutzungen, Co-Working-Spaces oder Start-ups. Gemeinschaftsräume und Veranstaltungsflächen können für Konzerte, Theateraufführungen oder öffentliche Versammlungen genutzt werden. Und am Abend trifft man sich auf dem Dach mit Blick über die Stadt oder tanzt bis spät in den Morgen in den Lagerhallen oder Kellern des Bauwerks.
Surfen im Kaufhaus: Ein Blick nach Osnabrück, Barcelona und Paris
Blicken wir nach Osnabrück, wo seit nun fast acht Jahren eine Surfwelle im Kaufhaus Menschen aus der gesamten Stadt anzieht. Man trifft sich, weil es Freude macht und alle Freunde sowieso schon da sind, weil es lässig ist und auch, weil eben alles an einem Platz vereint ist. Gehen wir etwas weiter und sehen wir auf Corte Inglés in Barcelona mit seinen vielen kleinen einzelnen Shops und vielschichtig kuratierten Stockwerken. Oder nach Paris, wo ich am Kaufhaus Lafayette erst letzten Winter Valentin traf, der ganz selbstverständlich den ganzen Tag hier verbrachte. Es gäbe hier nun einfach einmal das beste Croissant und einen sehr guten Brunch. Zwischendurch vertreibe sich Valentin die Zeit mit seinen jüngeren Kindern im Innenraumspielplatz, wo Malkurse von lokalen Künstlerinnen und Künstlern stattfinden, während Clara noch mit der ältesten Tochter einkaufen war, bis dann am Abend zum gemeinsamen Sonnenuntergang ansehen alle wieder zusammenkommen.
Video: Surfen im Kaufhaus in Osnabrück auf der „Hasewelle“
Mehr Multinutzung: Packen wir es an!
Dieser Ansatz der Mischnutzung transformiert das Warenhaus von einem reinen Konsumort zu einem multifunktionalen Zentrum, das vielfältige Bedürfnisse und Interessen der Stadtgesellschaft erfüllt. Durch die Einbindung unterschiedlicher Nutzungen entsteht ein lebendiger, dynamischer Raum, der die Interaktion und das Gemeinschaftsgefühl fördert und die Innenstädte wieder zu attraktiven, pulsierenden Orten macht, denn davon profitiert nicht nur das Kaufhaus, sondern auch die Nachbarschaft und Stadt. Drum: Es gibt viel zu tun. Packen wir es an!
Beitragsbild: Kaufhaus Galeria am Stachus während der Umbauten zum Zwischennutzungsprojekt „Lovecraft“ (© Thomas Mandl / Lovecraft; Bild redaktionell bearbeitet)