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Alt gegen Jung

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Das nächste mucs-Magazin erscheint im Februar unter dem Motto “Vielfalt & Vorurteil”. Das aktuelle Heft hatte das Thema “jung & alt” – da durfte die Suche nach dem Generationenkonflikten nicht fehlen. Gibt es den Konflikt überhaupt noch? Oder ist der Kampf der Generationen in der Postmoderne nur noch ein Mythos vergangener Zeiten? Bürokollege Michael Moorstedt geht im mucs auf Spurensuche.

“Immer die selben alten Geschichten!“ Ich war 14, meine Haare waren in Regenbogenfarbengetönt und standen in alle Himmelsrichtungen ab, als ich diesen Satz ausrief, aus dem großen Haus im Vorort rannte und die Tür hinter mir zuschmetterte. Schwer pubertierend und gegen alles rebellierend.

Vor allem gegen meine Großeltern, die zu besuchen mich meine Mutter überredet hatte, und die mal wieder vom „Damals“ erzählten. Und, dass in diesem „Damals“ alles besser gewesen sei. Nie, sagte ich mir,wolle ich so werden wie diese Generation. Ich würde immer im „Jetzt“ leben und niemals in der Vergangenheit.

Knapp 30 Jahre liegen laut Demografie zwischen zwei Generationen. Genügend Zeit für Missverständnisse. Der Schriftsteller
Douglas Adams hat das einmal folgendermaßen in Worte verpackt:

„Alles, was bereits existiert, wenn man geboren wird, ist normal und üblich und gehört zum selbstverständlichen Funktionieren der Welt dazu. Alles, was zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu, aufregend und revolutionär und man kann damit Karriere machen. Alles, was nach dem 35. Lebensjahr erfunden wird, richtet sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge.“

Jung gegen Alt. Dieser Konflikt schien lange in der Gesellschaft festgeschrieben.

Es herrschte Stillschweigen, Unverständnis oder gar Ignoranz zwischen den einzelnen Altersschichten. Die Jungen fanden die Alten langweilig und bieder, und die wiederumwunderten sich über die ausgeflippte Mode und Haartracht oder die politische Einstellung ihrer Kinder und Enkel. Die Alten fühlten sich von den Jungen in ihrer gesellschaftlichen Vormachtstellung bedroht, und die wiederum wollten endlich selbst was zu sagen haben.

Jeder hatte am anderen etwas zu nörgeln. Miteinander geredet wurde selten. Wer in diesem Klima um Verständnis oder Rücksicht warb, wurde schnell als naiv abgestempelt. Die Fronten waren verhärtet. Früher hieß das dann Generationenkonflikt. Andere werden noch deutlicher: „Es droht Krieg“, schreibt der FOCUS zum Thema: „Ein Krieg, der keine Ländergrenzen und keine Rationalität mehr gelten lassen könnte. (…) Es droht der globale Konflikt zwischen Jungen und Alten.“

Auslöser dieses Krieges sei der Generationenvertrag. Der lautete lange Zeit so: Heute geben, morgen nehmen. Doch der Vertrag gilt nicht mehr.

Lothar Späth, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg, pflegt einen optimistischeren Ansatz. In seinem Buch
„Der Generationen-Pakt: Warum die Alten nicht das Problem, sondern die Lösung sind“, vertritt er die These, dass nicht nur
Geld zwischen den Generationen umgeschichtet werden müsse. Sondern es gehe vor allem um Zeit. Eine Ressource, die gerade ältere Menschen im Übermaß besitzen. „Schauen Sie sich doch die heutige Generation 60plus an“, sagt Späth.

„Warum sollte sich ein ‚junger Alter‘ nicht um einen ‚alten Alten‘ kümmern? Mal mit ihm spazieren gehen, ihm vorlesen. Einfach ein bisschen Zeit investieren – die man dann als ‚alter Alter‘ auch wieder zurückbekommt.“ Es ist ein einfacher Vorschlag, der vieles in sich trägt.

Als ich aus dem Auslandssemester zurückkam und das erste Mal nach vier Monaten meine Studentenwohnung betrat, erwartete mich Chaos. Mein Untermieter hatte in meiner Abwesenheit offenbar die Küche in Brand gesteckt. Das Badezimmer stank nach Bahnhofsklo und im Parkett klafften tiefe Löcher. Da war ich nun in einer neuen Stadt, allein und komplett überfordert. Die Eltern waren nicht zu erreichen. Der einzige Anruf, der mir blieb, war bei meiner Großmutter.

Ich berichtete von der Lage und auf einmal erkannte ich die kleine Person nicht wieder, die so gerne vom „Damals“ erzählte. Sie wusste von Gesetzen und Verordnungen, von denen ich noch nie gehört hatte, sie erklärte die Situation dem Vermieter, sie erreichte eine Einigung. Lernen von den Alten.

Die Entdeckung der Alten

Die Abgrenzung zwischen den Generationen verschwimmt. Doch es ist nicht nur der demografische Wandel, der für die Aufweichung der Grenzen sorgt, sondern auch ein neues Selbstverständnis alter Menschen. Digitale Medien machen es leichter, am Alltag teilzunehmen. Selbst im hippen In-Club oder auf Popkonzerten treffen mittlerweile Generationen aufeinander. Schließlich haben auch unsere Eltern und Großeltern schon Rockmusik gehört. Warum sollten sie auf einmal damit aufhören und zur Volksmusik wechseln?

In einer Welt, die in einer Flut von Informationen versinkt, in der ein Ereignis das andere jagt und dann ebenso schnell verdrängt wird, in einer Zeit, in der vieles ungewiss erscheint, macht es plötzlich wieder Sinn, einen Moment inne zu halten und den Alten zuzuhören. Die haben schließlich genügend unsichere Zeiten miterlebt. Und nur weil es damals nicht um schlecht entlohnte Kreativarbeit, Wohnungsnot oder ewigwährendes Praktikantendasein ging, sondern um Wiederaufbau, Ölkrise oder Nato-Doppelbeschluss, heißt das nicht, dass der Wandel, dem die Menschen ausgesetzt waren, weniger tiefgreifend oder angsteinflößend war.

Zeit und Raum für dieses neue Miteinander gibt es genügend. Urlaubsveranstalter haben längst „Mehr-Generationen-Reisen“ im Angebot. In München gibt es Generationengärten, in denen Alt und Jung zusammen Gemüse pflanzen. Neue Mentoringprogramme wie „Big Brothers Big Sisters“ versuchen den Dialog zu fördern. Und zwar nicht nur mit Wörtern, sondern auch mit Taten. Kinder und Erwachsene können sich hier anmelden, um gemeinsam zu spielen, zu lernen oder einfach nur Zeit miteinander zu verbringen.

Mehrgenerationenhäuser sind ein weiterer Ansatz. Über 500 dieser Einrichtungen gibt es in ganz Deutschland, zehn davon stehen allein in München und seinem Umland. Doch was passiert dort eigentlich? Man trifft sich zu Spielnachmittagen und Kochabenden, es gibt meist einen großen Gemeinschaftsraum, in dem man nicht mehr aneinander vorbei, sondern miteinander lebt. Was sich zunächst banal anhört, steht für eine Tugend, die in der Auseinandersetzung zwischen den Altersschichten rar geworden ist: Offenheit.

Sicher, noch immer gibt es viele Hürden zu überwinden. All diese Programme und Aktionen sind nur ein Anfang, sind Inseln, von denen aus sich diese neue Idee verbreiten kann. Und gegenseitiger Respekt ist die Währung, mit der wir die Annäherung bezahlen.

Mittlerweile bin ich über 30, beruflich und privat gefestigt. Ich zahle meine Rentenbeiträge und wundere mich selbst über die Mode der Teenager. Wenn sie mich nach einer Zigarette fragen, werde ich gesiezt. Einmal die Woche aber begebe ich mich auf eine Reise. Ich verlasse die Großstadt und besuche meine Großeltern, die noch immer im selben Haus wohnen, das ich damals oft so wütend verließ. Im Frühling helfe ich ihnen imGarten, im Winter schippe ich den Schnee. Was ich dafür bekomme, lässt sich schwer beziffern. Anerkennung einer Art, wie ich sie im Job nicht kriege. Die Gelegenheit, auf der Terrasse im Vorort für einen Tag Urlaub zu nehmen. Guten Rat und einen Blick auf die Dinge, den mir mein Alltag versperrt. Heute freue ich mich sogar über die Geschichten von “Damals”.

geschrieben von: Michael Moorstedt, 31, arbeitet unter der Woche als freier Journalist in München. Am Wochenende als Gärtner in der Vorstadt.

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