Kultur, Leben, Live

Auf einen Drink mit Iggy Pop: 25 Jahre Substanz

Gloria Grünwald

Tibor Bozi hat in seiner Karriere als Starfotograf die Welt bereist und rund um den Globus Stars aus dem Musikbusiness fotografiert: Alice Cooper, Marylin Manson, Mary J Blige, Dr. Dre, Nirvana oder Guns’n’Roses kamen ihm unter anderem schon vor die Linse. Für große Magazine wie Vogue, Elle oder Harpers Bazaar hat er mehrere Modestrecken umgesetzt. Der gebürtige Ungar hat besonders in den 90er Jahren viel Zeit in München verbracht. Zum Partymachen traf man Tibor regelmäßig im Substanz Club an, mit dem Betreiber Jürgen Franke ist er gut befreundet. Das Substanz feiert diesen Monat 25-jähriges Clubjubiläum. Nach der Schließung des Atomic ist das Substanz somit der einzige Club in München, der aus der goldenen Ära der Live-Clubkonzerte übrig geblieben ist. Heute Abend, am 12. März, steigt eine große Geburtstagsparty, um das Jubiläum mit alten Freunden zu zelebrieren. Tibor Bozi schwelgt mit uns in Erinnerungen:

MUCBOOK: Clubs kommen und gehen. Wie konnte das Substanz 25 Jahre überdauern. Gibt es sowas wie ein Erfolgsgeheimnis?

T.B.: Ich glaube, dass der Erfolg bei diesen Clubs eigentlich nicht vorauszusagen ist und es gibt auch eigentlich nur ein einziges Geheimnis: nämlich, dass die Leute, die diese Clubs betreiben, tatsächlich nach zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren genauso viel Herzblut hineinlegen wie am ersten Tag. Auch beim Atomic Café ist es so gewesen, dass die Betreiber bis zum letzten Tag vor der Schließung voll hinter der Sache standen und immer das Maximum aus jedem Abend rausholen wollten. Und das ist unglaublich wichtig, wenn du Clubbetreiber bist. Nicht nur am Anfang, wenn die Leute zu dir strömen, sondern auch danach, weil sonst werden die Leute irgendwann wegbleiben.
Eine zweite Sache sind die Bookings, die von den Substanz Jungs an den Start geholt worden sind. Natürlich kennt die heutige Generation junger Leute die Hälfte dieser Künstler nicht mehr – aber in seiner Hochzeit hat das Substanz die Besten aus Independent, Grunge, Heavy Metal und Alternative dagehabt. Und selbst, wenn die Bands nicht im Substanz gespielt haben, sondern richtig groß in der Olympiahalle, dann kamen die Musiker immer wieder danach noch zum Substanz, um abzuhängen. Weil sie wussten, dass das DER Club in München dafür ist.

MUCBOOK: Im Substanz haben schon bekannte Bands gespielt, bevor sie berühmt geworden sind. Welche Bands hast du in 25 Jahren Substanz als Geheimtipp erlebt?

T.B.: Zum Beispiel Stone Temple Pilots, deren Sänger Scott Weiland jetzt mit den ehemaligen Guns’n’Roses-Musikern ein neues Projekt macht. Dann Vic Chesnutt, der mal mit den Leuten von R.E.M. gearbeitet und gespielt hatte, aber durch einen selbstverschuldeten Autounfall später querschnittsgelähmt wurde – betrunken am Steuer. Während R.E.M weltberühmt wurde, blieb er auf der Strecke und hat später Selbstmord begangen. Oder da waren Mudhoney da, Mule, eigentlich all die wichtigen Grunge Bands, die es eben damals so gab.
Das Substanz war der vielleicht einzige Ort für gute Musik in München. Da gab’s in den 90ern nicht so viele Clubs, außer das Atomic. Irgendwie ist es tatsächlich so gewesen, dass der ganze Grunge und die Heavy Metal Szene in München im Substanz losgetreten wurde. Weil natürlich Franz Dahlmeier und Jürgen Franke auf die Musik standen. (heute wird das Substanz von Jürgen Franke alleine betrieben, Anm. d. Red.)

VicChesnutt_L Vic Chesnutt im Substanz

MuleMule

MUCBOOK: Du hast uns eine Auswahl mit Fotos von dir zusammengestellt. Darauf sind berühmte Persönlichkeiten zu sehen, die z.B. schon im Substanz aufgetreten sind. Ein paar dieser Künstler hast du eben schon erwähnt. Warum hast du genau diese Fotos ausgesucht und was verbindest du mit ihnen?

T.B.: Ich wollte euch ein Sortiment bieten mit Fotos, die nicht im Substanz Magazin erscheinen werden. Zum Geburtstag kommt noch ein Magazin mit Bildern raus, das an der Geburtstagsparty am 12. an die Gäste verteilt wird. Da sind tatsächlich andere Fotos drin. Aber es ist so, dass wir mit vielen Künstlern persönlichen Kontakt hatten, weil das Substanz natürlich nicht nur ein Austragungsort war, sondern auch ein sozialer Treff. Es kamen sehr viele Leute, die musikbegeistert waren. Und die Musiker, die auf Tour nach München kamen, kamen sehr gerne zum Substanz, weil sie wussten, das sie dort verstanden werden und weil sie wussten, dass die Leute für die Musik kommen und nicht (nur) zum Saufen. Ich war damals ja weltweit unterwegs und habe als Fotograf gearbeitet. Wenn man zu den Musikern sagte “Wir treffen uns” dann konnte man sich im Substanz treffen. Heute geht sowas nicht mehr. Heute gibt es Manager, Tourmanager, die Leute von der Plattenfirma usw. und die Bands touren nur noch, damit sie Geld verdienen. Für die Plattenfirma, das Management und für sich selbst. Damals haben die Leute in München gespielt und wenn sie dann ihre Konzerte beendet hatten, z.B. auch Iggy Pop nach seinem Konzert in der Olympiahalle, dann ist man halt mit dem Manager, der Plattenfirma und seinen Kumpels schlicht und einfach noch ins Substanz gekommen und hat einen gekippt. Melissa Etheridge kam, Ben Becker. Für ihn war das Substanz so ein bisschen Berlin, weil er München eigentlich spießig fand. Im Grunde genommen wussten alle: Im Substanz kann man immer gut abfeiern.

BenBeckerMBBen Becker

StephenMalkmus_MBStephen Malkmus (Pavement)

MUCBOOK: Das Substanz ist also “ein bisschen Berlin” in München?

T.B.: Also in den 90ern unbedingt. Als das Substanz Anfang der 90er gerade aufgemacht hatte, da ging auch gerade die Post ab in Berlin, also durch die Wiedervereinigung. Für viele deutsche und auch internationale Künstler war München so ein ruhiger, kleiner, spießiger Ort. Daher war das Substanz genauso wie z.B. auch das Baader Cafe für kreative Leute immer ein Treffpunkt, wo man sicher wusste, dass eine gute Stimmung herrscht und man andere Künstler oder Bekannte treffen kann.

MUCBOOK: Du erzählst gerade sehr viel von früher. Steht das Substanz für ein München, das es so heute nicht mehr gibt?

T.B.: Definitiv! Weil man einfach reingehen und sich völlig stressfrei unterhalten konnte und rechts und links die Leute ansprechen. Ich finde es unglaublich wichtig, dass man einfach irgendwo hinkommen kann, sich nicht zuerst mal behaupten muss wie heutzutage – so nach dem Motto: sehen und gesehen werden – sondern schlicht und einfach sein Bier trinken kann und währenddessen mit jemandem einen Plausch halten. Und dann ist man entweder abgefüllt oder auch ein bisschen klüger aus dem Laden raus geganen. Sowas gibt’s mittlerweile natürlich nur noch sehr sehr wenig. Beim Substanz und den anderen alten Clubs wie dem Atomic ist das so, dass man die Leute nicht ständig mit einem Programm unterhalten muss, die haben sich selbst auf einem sehr hohen Niveau unterhalten und überhaupt waren die alle sehr cool!
Und natürlich saßen damals ja in München auch noch die großen Plattenfirmen: Virgin Music, Ariola Music und große Büros von EMI und diese Leute waren im Substanz auch immer anzutreffen. Patrick Orth, der Manager von den Toten Hosen, oder Udo Lange, der der Boss von Virgin war. Man kam einfach ungezwungen rein und man wusste, dass man interessante Leute trifft, mit denen man plaudern und den Abend ausklingen lassen kann. Das war das Motto, mehr war das nicht!

MUCBOOK: Neuerdings feiert das Milla im Glockenbachviertel große Erfolge. Gibt es ein Comeback der kleinen Live-Bühnen?

T.B.: Das Milla ist meiner Ansicht nach das Pendant zur damaligen Zeit. Wobei ich auch sagen muss, dass das Milla primär ein Austragungsort ist und nicht so auf Kneipe eingerichtet, d.h. sie sind nur dann offen, wenn ein Konzert stattfindet. Aber beim Substanz ist es so, dass es eben auch eine Kneipe ist: man konnte früher einfach so hingehen, auch wenn kein Konzert war, und Musik hören. Dann waren da die berühmten Spex Brüder aus München, die dann aufgelegt haben, oder die Leute von NoNoYesNo, also diese Münchner Musiker. Die haben dann ihre Lieblingsvinyls unter dem Arm mitgebracht und für ein, zwei Stunden aufgelegt.

MUCBOOK: Man hat sich damals schon im Substanz getroffen und auch heute noch ist das Substanz für seine Abstürze bekannt. Was war denn dein schlimmster Absturz?

T.B.: Naja, von den vielen Abenden einen zu nennen ist natürlich schwierig. Wir sind dort sehr oft und sehr gepflegt abgestürzt. Aber was natürlich legendär war, war das sogenannte Stahlhelm-Getränk. Es gab glaube ich zwei oder drei Stahlhelme an der Bar und die haben das einfach mit Wodka vollgemacht, das war ein ziemlich berühmter Drink. Auch beliebt bei den Musikern, die so vorbeigeschaut haben, zum Beispiel auch Urge Overkill. Dann wurden natürlich peu à peu die Stahlhelme geklaut, sozusagen als Souvenir und das war dann das Ende der Geschichte. Es gibt so viele Erinnerungen und es ist auch einfach schwer zu erklären: gerade die jüngere Generation versteht das nicht, die wächst ganz anders auf, ich sehe das ja an meinen Assisstenten.

UrgeOverkillMBUrge Overkill

MUCBOOK: Du hast ja vorhin schon gesagt, die heutige Generation junger Erwachsener ist anders aufgewachsen, geht anders feiern und in Clubs. Wir haben gemerkt, dass viele junge Leute in München das Substanz nicht mehr kennen. Warum sollte man deiner Meinung nach immer noch ins Substanz gehen?

T.B.: Wegen Jürgen Franke, der das Substanz ja mittlerweile schon länger alleine leitet, weil Jürgen einfach ein so großes Herz hat. Er versucht nach wie vor junge Künstler wie z.B. von Flowerstreetrecords am Wochenende einzubuchen und den Leuten zu zeigen, was es in München an guter Musik gibt. Im Grunde ist das Substanz eine nette Studentenkneipe geworden, viele aus der Gegend gehen hin und die Konzerte sind nach wie vor den Besuch wert. Es gab in den letzten Jahren aber auch viele Probleme wegen der Lärmbelastung in der Nachbarschaft. Ich glaube sie dürfen nur noch einmal im Monat Konzerte veranstalten. Das war ein regelrechter Kampf, aber irgendwann haben sie dann damit aufgehört, weil ihnen das einfach zu blöd war. Dazu kann dir Jürgen aber mehr sagen. Ich kenne mich beim Geschäftlichen nicht so aus. Aber eines weiß ich: dass er viel weniger Konzerte veranstalten darf als früher und nicht so spät in den Abend rein.

Scream - Dave GrohlDave Grohl (l.v.; Scream, Nirvana, Foo Fighters)

MUCBOOK: Was möchtest du Jürgen als Glückwunsch zum Clubjubiläum mitgeben?

T.B.: Ich wünsche ihm natürlich, dass es das Substanz noch weitere 25 Jahre gibt – wenn er die Kraft und Lust dazu hat! Aber sicherlich bin ich heute Abend bei der Geburtstagsparty, weil es für mich wie eine Art Klassentreffen sein wird, bei dem man viele alte Bekannte trifft. Andererseits ist es aber auch dumm, wenn man zu sehr an der Vergangenheit hängt. Es waren sicherlich schöne 15 Jahre – die ersten – und was Jürgen jetzt seit ein paar Jahren macht ist auch super entspannt, nur eben anders. Er hat ein paar Studenten, die bei ihm jobben, es gibt bisschen was zu essen und zu trinken, es gibt nach wie vor gute Musik und es ist immer noch einfach stressfrei.

 

Fotocredits: Tibor Bozi

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