Aktuell, Kultur

“Body Talk”: die Kammerspiele setzten sich für mehr Diversität im Stadttheater ein

Caroline Giles

Männlich. Weiß. Hetero. So sieht es aus, in den Münchner Stadttheatern. Die Kammerspiele scheinen davon nun genug zu haben, denn sie wollen sich stark machen für mehr Vielfalt auf und hinter der Bühne, und für die Sichtbarmachung von Minderheiten: Frauen, Queers, Dunkelhäutigen, all denjenigen, die sich den männlich-weiß-heterosexuellen Standards der Stadttheater-Szene nicht unterordnen, sondern ihre eigenen Geschichten erzählen wollen. Bisher war das vor allem in der Freien Theaterszene möglich, allerdings oft unter prekären Umständen. Wie kann das sein? Das von Stefanie Lohaus und Christoph Gurk organisierte “Body Talk – ein Festival über Körper und Märkte, Geschlecht und Sichtbarkeit im 21. Jahrhundert” (14./15./16. Juli) versucht sich dieser Frage vorsichtig zu nähern, selbstkritisch und selbstreflexiv, und bietet dabei gleichzeitig all den Künstlern und Performern eine Bühne, die sonst “unsichtbar” bleiben. Auf dem Programm des Body Talk Festivals stehen Diskussionsrunden, Vorträge und Performances, es wird also auf gar keinen Fall langweilig. Dabei dreht sich alles um vier Themenschwerpunkte: die (Unter-)Repräsentation im Theater, Sexarbeit, die sexuellen Übergriffe in der Kölner Sylvesternacht, sowie Bodyshaming und Optimierungszwang.

13617489_10209653385515915_445600774_n

Männlichkeit im Instagram-Zeitalter

Alexander Giesches Performance Normcore beschäftigt sich beispielsweise mit der Frage, wie der Körperkult sich in Zeiten von Instagram und Self-Improvement auf Männer auswirkt, und wie sich das “traditionelle” Verständnis von homosexueller und heterosexueller Männlichkeit dabei verändert hat. Dabei stellt sich natürlich auch die Frage, was denn dieser ominöse Begriff – “Männlichkeit” – eigentlich bedeutet. Der Frage nach (angeblicher) Hypermaskulinität gehen auch das Berliner Kollektiv “Talking Straight” nach, indem sie Workshops sogenannter “Pickup-Artists” (Männer, deren Lebensziel es ist, möglichst viele Frauen zum Sex zu manilpulieren) gemeinsam mit dem Publikum simulieren. Der Clue: alle Performer*innen und Zuschauer*innen werden als “lernbedürftige” heterosexuelle Männer angesehen, ganz egal welches Geschlecht oder welche Gender-Identität sie tatsächlich haben. Mit dem Konzept der romantischen Liebe befasst sich hingegen Anta Helena Reckes Produktion Lovepiece, die auch gezielt unser Verständnis von dem, was “normale” Liebe eigentlich ist, hinterfragt. Dabei wirft Recke auch ein Auge auf den Einfluss, den Filme, Musik und Literatur auf unser (vermeindliches) Wissen über Liebe haben.

Brain Orgasms

Ein weiteres Highlight des drei-tägigen Festivals dürfte “The Agency”’s fiktive Agentur ASMR yourself darstellen. Bei ASMR (= Autonomous sensory meridian response – danke, Wikipedia), auch “brain orgasms” genannt, handelt es sich um ein Phänomen, bei dem durch bestimmte sinnliche Reize (Geflüstere, scharfe Fingernägel auf der Haut, Lavendel-Duft – der Fantasie sind quasi keine Grenzen gesetzt) ein kribbeliges Glücksgefühl im ganzen Körper einstellt. Jeder Besucher kann einen Termin mit “The Agency” vereinbaren und in one-on-one Beratungsgesprächen seinen persönlichen ASMR “trigger” bestimmen – ganz intim, auf der großen Bühne. Neben der Erkenntnis, dasS das deutsche Theater nach wie vor vor allem weiß, männlich, hetero ist, hat wohl sicherlich auch das aktuelle Zeitgeschehen dazu beigetragen, das Body Talk Festival ins Leben zu rufen. In Zeiten, in denen anti-feministische, rassistische und islamophobe Bewegungen immer mehr an Zulauf erhalten, setzten die Kammerspiele durch konstruktive Diskussionen und inspirierende Performances ein klares Zeichen für ein tolerantes Miteinander.


In aller Kürze:

Was? Body Talk Festival

Wann? 14.-16. Juli

Wo? Kammerspiele München

Wieviel? Festivalpass (für 3 Tage): 45 / erm. 30 Euro TAGESTICKET: 20 / erm. 15 Euro

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons