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Dein Holocaust ist nicht mein Holocaust

Lena von Holt

Kurz vor der Projektion von “Ein Appartment in Berlin” haben wir Regisseurin Alice Agneskirchner im Stadtcafe getroffen. Als gebürtige Münchnerin freut sie sich, mal wieder in der Heimat zu sein – obwohl dies nicht ihr erster Besuch auf dem DOk.fest ist.

Drei junge Israelis, die mittlerweile in Berlin wohnen, versuchen gemeinsam mit Alice Agneskirchner die ehemalige Wohnung der jüdischen Familie Adler nachzubilden, die im Jahre 1905 nach Berlin immigrierte und 1944 deportiert wurde. Dafür treiben sie sich auf Flohmärkten herum und versuchen anhand von Unterlagen ihre damalige Lebenssituation zu klären. Zuerst muss die Familie ihren Eierhandel aufgeben, dann scheitert eine gemeinsame Flucht daran, dass dem behinderten Sohn Heinrich die Ausreise verweigert wird. Mittelpunkt des Films ist jedoch die Identitätsfindung von Yael, Yoav und Eyal, die sich alle aus verschiedenen Gründen für ein Leben in Berlin entschieden haben.

Agneskirchner hat es auf überraschend lockere Art geschafft, verschiedene Sichtweisen auf den Holocaust zusammenzuführen: die Täterrolle, die sich noch heute junge Deutschen vor allem selbst zuschreiben – und die des Opfers, repräsentiert von den Israelis, die eigentlich gar nicht mehr in dieser passiven Rolle stecken wollen.

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Was hat Sie zu diesem Film bewegt?

Vor  fünf Jahren war ich in einem Archiv in Brandenburg und habe Vermögenserklärungs-Akten gesehen. Das sind standardisierte Akten,  die damals jeder ausfüllen musste, bevor er deportiert wurde. Diese dokumentieren den Besitz und geben beispielsweise an, was sich in der Wohnung finden lässt: von Möbelstücken bis hin zu Tellern und Handtüchern. Diese Akten existieren Größtenteils noch – wie die von Familie Adler.

Ich hatte das Gefühl,  man müsse da was machen. Als ich die Akten eingesehen habe, bemerkte ich immer wieder, dass ich die Straßenname kenne. Ich habe Orte und Häuser wiedererkannt, die ja heute  immer noch die selben sind, sie sind immer noch da. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Zuerst wollte ich mich dann eigentlich nur auf die Familie konzentrieren und ihre Geschichte mit Hilfe dieser Akten recherchieren. Dazu räumten wir die Wohnung  aus und versetzen sie in den Zustand, wie sie vor etwa 70 Jahren ausgesehen hatte. Plötzlich kam dann aber dochdie Frage, wer denn die Hauptfigur im Film sein solle. Bin ich das? Kann man Tote wirklich so zum Leben erwecken, ohne reale Personen in das Geschehen einzubeziehen? Da in Berlin etwa 20.000 Israelis leben, habe ich mich dann dazu entschieden, das Projekt mit drei Isrealis zu machen.

Wie und nach welchen Kriterien haben Sie die Protagonisten ausgewählt?

Ich habe auf der Plattform “Junge Israelis in Berlin” einen Aufruf geschaltet. Daraufhin haben sich 400 Leute bei mir gemeldet.

Nach welchen Kriterien man die Hauptdarsteller dann auswählt, ist das Geheimnis eines guten Dokumentarfilmers. Es kommt darauf an, herauszufinden, wer ein guter Protagonist ist und wer nicht,  was für mich eher ein Gefühl war und wohl jeder für sich selbst entscheidet.

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Wie stellen Sie als Regisseurin sicher, dass der Film authentisch bleibt?

Ich habe mit allen Darstellern die Vereinbarung getroffen, sich wirklich wahrhaft darauf einzulassen. Diese Vereinbarung ist vielleicht künstlich, weil sie im Vorhinein getroffen wurde. Die wichtige Aufgabe der Regie war hier, die Protagonisten immer wieder für die Thematik zu interessieren und dann eben auch festzustellen, was sie nicht interessiert, um dann einen anderen Weg zu gehen. Im Laufe der Dreharbeiten habe ich mich auf Situationen und Wünsche der Protagonisten eingelassen, statt einem starren vorgefertigten Konstrukt zu folgen. Das Gespräch, das dann letztendlich dazu geführt hat, dass wir einen ganz anderen Weg eingeschlagen haben, ist auch Teil des Films geworden.

Als Hauptdarsteller haben Sie sich drei junge Israelis aus Berlin ausgesucht. Was macht deren Hintergrund für den Film so besonders?

Naja, es ist doch für einen jungen Juden schon eine Besonderheit, nach Deutschland zu gehen. Was für die Generation ihrer Großeltern das Land der Täter ist. Es ist sowohl für die Berliner, also die Deutschen, als auch für die Israelis eine extreme Besonderheit, das so viele junge Israelis jetzt hier in Berlin leben.

Im Film zieht einer der drei Juden eine Nazi-Uniform mit Hakenkreuzbinde an. Er geht damit sogar auf die Straße und spricht Passanten an. War das Ihre Idee oder die des Protagonisten?

Ich wusste von seiner Faszination für Uniformen. Er hat als Kind schon gerne mit Soldaten gespielt und wollte damals immer die Rolle Nazi-Deutschlands einnehmen. Wir waren dann ein Tag zuvor im Kostümverleih, zu dem er leider nicht mitkommen konnte. Also habe ich ihm die Uniform am nächsten Tag in sein Zimmer gehängt. Wie erwartet, hat er sie ohne Hemmungen angezogen. Der Vorschlag damit raus vor die Tür zu gehen, war dann sein eigener. Dort trafen wir bei einigen Betrunkenen auf Zustimmung, ein Engländer reagierte dagegen völlig empört. Wir waren selbst verwundert, als uns dann sogar die Straßenbahn mitgenommen hat.

Konnte man denn am Ende des Drehs sagen, dass Sie Ihre Vergangenheit ein Stück aufgearbeitet haben?

Ich glaube, man ist ein Stück Weg zusammen gegangen, auf dem man viel voneinander gelernt hat. Ich habe genauso von ihnen gelernt, wie sie von mir gelernt haben. Am Ende ist mir klar geworden, dass jeder seinen eigene Verbindung zum Holocaust hat: Denn mein Holocaust ist nicht der von Yael, Yoav oder Eyal – jeder hat seine eigene Geschichte.

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Fotos: DOK.fest München – Ein Apartment in Berlin

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